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Sport – nein Danke! Lieber Lifestyle auf Kasse

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

© fotolia/georgerudy/MT-Archiv
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Werden Bewegungsübungen von der Krankenkasse bezahlt? Eine Frage, die auch Dr. Robert Oberpeilsteiner auf das Angebot der Kassen aufmerksam machte.

Ich war mit meinen Gedanken schon im Feierabend. Gerade noch hatte ich junge Leute für gesundheitsbewusste Ernährung geschult. Hatte versucht ihnen beizubringen, was sie dafür tun oder – noch besser – lassen sollten. Es war ganz gut gelaufen. Und ich freute mich schon darauf, Schluss machen zu können. Denn so konnte ich noch eine Runde entspannt Sauerstoff tanken in bergkräuterduftender Alpenluft. (Ja, ja, "Landarzt oder nix", würde Pep Guardiola dazu sagen.)

Jetzt hatte mir aber noch ein junger Mann eine Frage gestellt und wartete auf meine Antwort. Er hätte mein Enkel sein können. Vom Alter her. Von der Statur her eher nicht, denn er hatte gefühlt mein Lebendgewicht, aber doppelt. Ich hatte in meinem Vortrag versucht deutlich zu machen, dass bei der Ernährung nichts am Prinzip von Einfuhr gleich Ausfuhr vorbeiführt. Auch wenn dies manchmal schwer fällt, was unser Wirtschaftsminister bestätigen dürfte. In jeder Hinsicht.

»Beim Abnehmenvertrau ich auf mein Bauchgefühl«

Ich hatte mich dabei bemüht, nicht zu kopflastig zu argumentieren. Beim Abnehmen vertrau ich ohnehin am liebsten auf mein Bauchgefühl. Dem properen jungen Mann jedenfalls waren offensichtlich meine Worte zu Herzen gegangen. Er wusste bestimmt selbst längst, dass er übergewichtig war. Und als er den Finger hob, dachte ich, sieh an, wenigstens einer, der dich ernst nimmt. Er hatte dann auch nur eine Frage, die ihn beschäftigte: "Sie haben gesagt, dass viel Aktivität gut ist. Zahlt die Bewegungsübungen dann auch die Krankenkasse?" Bewegungsübungen – er sagte es ganz fachgerecht.

Das Wort Sport schien ihm offenbar völlig fremd zu sein. Ich verstand allmählich. Er dachte exakt so, wie wir als Mediziner denken. Seine Adipositas war schließlich eine Krankheit mit einer respektablen Bezeichnung. Die Kassen gieren ja nach fetten Diagnosen. Und daher sollten sie, seiner Meinung nach, auch gefälligst für die Behandlung und Vorsorge zahlen. Klingt logisch.

Ich sah auf seine giftgrünen 200-Euro-Sneakers. Er trug sie offen. Die Schnürsenkel hingen heraus wie trockene Petersilie. Mich wundert immer wieder, wie man mit solchen Stolperfallen verletzungsfrei durch den Tag kommt. Vermutlich nur mit möglichst methodischer Bewegung. Das heißt mit reduzierter. Ich dachte, "verwöhnter Bursch, heb’ erst mal deinen Hintern und schnür dir deine schicken Schuhe! Zum Joggen sind diese nämlich mindestens genauso geeignet wie zum Abhängen im McDonalds bei einem Big Caesar Chicken, viel Pommes und leckerer Cola. Dann weißt du auch, wofür diese Schnürl an den Schuhen eigentlich einmal angedacht wurden: Damit man Laufen kann, ohne auf die Nase zu fallen. Laufen, Junge. Nicht schlurfen mit der Jeans in den Kniekehlen."

»Die Kassengieren janach fetten Diagnosen«

Glücklicherweise hatte ich nicht laut gedacht. Ich murmelte etwas von Selbstverantwortung. Wie stolz und fröhlich das alles machen könne. Aber irgendwie klang ich wohl nicht sehr überzeugend. Wir verstanden einander nicht mehr. Wie es im Leben halt oft passiert, wenn es im Gespräch plötzlich um Grundsätzliches geht. (Versprochen, das war die letzte Kalenderweisheit für heute.)

Durch unseren Disput neugierig geworden, wühlte ich mich am nächsten Tag durch die speziellen Angebote der Kassen. Nordic Walking, Joggen werden bezuschusst. Auch Marathonlaufen – soll offensichtlich auch etwas mit Gesundheit zu tun haben. Daneben gibt es Gesundheitsreisen, die von gesetzlichen Krankenkassen unterstützt werden. Scrollt man durch die Seiten kommt man sich vor, als wäre man in einem Lifestyle-Journal oder auf der Homepage eines Reisebüros, aber nicht bei einer GKK. Alles für den Kunden. Schau an, dachte ich mir, aber wehe er geht einmal zu oft zu seinem Hausarzt.

Dann geht das Gejammer der Kassen los. (Siehe meine letzte Kolumne.) Ich könnte jetzt mit Vergnügen über das Anspruchsdenken einer jungen Verwöhn-Gesellschaft lästern. Aber das ist nicht mein Ding (hüstel, hüstel!). Ich bin Kassenarzt (noch...). Also kläre ich seit hundert Jahren gebetsmühlenartig über Risiken auf und versuche, möglichst wenig kopflastig Jung und Alt zu gesundheitsbewusstem Verhalten zu motivieren. Und ja, wenn es denn letztlich ein Krankenkassenbonus sein sollte, der die Dicken dazu bringt, ihre Schnürsenkel zu binden um zu sporteln, soll es mir auch recht sein. Aber wehe, es meckert noch einmal jemand über zu viele Arztkontakte meiner Patienten.

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