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Teures Deutschland: 85 % der Mehrausgaben für Medikamente basieren auf steigenden Preisen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Therapiekosten  über 100 000 Euro sind bei Krebspatienten nicht selten.
Therapiekosten über 100 000 Euro sind bei Krebspatienten nicht selten. © Fotolia/RFBSIP
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Eine „Kostenexplosion bei Preisen onkologischer Arzneimittel“ beschreibt der Barmer-Arzneimittelreport 2018 für das vergangene Jahr. Es sind vor allem die hochpreisigen Präparate, die Kostensteigerungen verursachen.

Hämatologen und Onkologen verschrieben 2017 im Schnitt pro Patient für 11 003 Euro Arzneimittel (im Jahr 2013 waren es noch 8492 Euro). Berücksichtigt wurden bei der Barmer-Analyse die Ausgaben personalisiert abgerechneter Fertigarzneimittel sowie parenterale Rezepturen in der ambulanten Behandlung, die von der Kasse erstattet wurden. Die Krebsspezialisten liegen somit weit über den Verordnungskosten anderer Fachgebiete. Es folgten Rheumatologen (3102 Euro), Gastroenterologen (1701 Euro), Nephrologen (1651 Euro) und Neurologen (1017 Euro).

Für den Kostenzuwachs seien vor allem sehr hohe Arzneimittelpreise ursächlich. Die Ausgabensteigerung sei bei onkologischen Arzneimitteln mit 9 % mehr als doppelt so hoch wie bei Arzneimitteln insgesamt, konstatieren die Autoren um Professor Dr. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Mitglied im Vorstand der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Genannt werden beispielhaft die Arzneiwirkstoffe Palbociclib (Spitzenreiter mit einem Plus von 38 Mio. Euro), Pembrolizumab, Nivolumab, Daratumumab und Ibrutinib. Bei Onkologika der ATC-Gruppe L01 – antineoplastische Mittel – verursachten die fünf Wirkstoffe mit den stärks­ten Kostensteigerungen von 2016 auf 2017 Mehrausgaben in Höhe von 97 Mio. Euro.   Steigende Preise haben auch zur Folge, dass die Therapiekosten bei immer mehr onkologischen Patienten auf über 100 000 Euro anwachsen. 2017 lag der Anteil dieser Patienten mit 3,2 pro 1000 Ver­sicherten im Vergleich zu 2015 zweieinhalbmal so hoch.

In Deutschland sind Onkologika besonders teuer

Laut Barmer-Arzneimittelreport ist Deutschland bei den Preisen für onkologische Arzneimittel in Europa ein „Hochpreisland“. So heißt es: „In England liegen 83 % und in Frankreich 81 % der Preise onkologischer Arzneimittel unter dem ermittelten internationalen Medianwert, in Deutschland liegen 91 % der Preise über dem jeweiligen Medianwert.“

40 % der Ausgaben entfallen auf 1 % der Versicherten

Ausweislich ihres Reports gab die Barmer im vergangenen Jahr für Arzneimittel insgesamt rund 5,5 Mrd. Euro aus. Demnach fielen die Ausgaben um 4 % höher aus als 2016.40 % der Ausgaben der Kasse entstanden für 1 % der Versicherten.Steigende Arzneimittelausgaben sind dabei zu etwa 85 % auf Preissteigerungen und zu 15 % auf eine mengenmäßige Zunahme verordneter Arzneimittel zurückzuführen. Sechs der acht Arzneimittel mit einer Umsatzsteigerung (2016 zu 2017) von mehr als zehn Mio. Euro waren Biologika. Am umsatzstärksten (140 Millionen Euro) war 2017 der vollständig humane TNF-Alpha-Antikörper Adalimumab. Für diesen wird voraussichtlich ab Mitte Oktober 2018 in Europa ein Biosimilar verfügbar sein. Für die Autoren des Reports ist damit aber bezüglich Deutschland „nicht sichergestellt, dass zukünftiges Einsparpotenzial durch Adalimumab-Biosimilars auch im gebotenen Umfang genutzt werden wird“. 2017 sei über alle Regionen der Kassenärztlichen Vereinigungen und alle als Biosimilar verfügbaren biologischen Arzneimittel hinweg nur eine Bio­similarquote von 12,6 % erreicht worden (2016: 8,4 %). Große Unterschiede zeigten sich allerdings sowohl bei Substanzen als auch zwischen den KV-Regionen. Die Autoren betonen deshalb in ihrem Kapitel zu Biologika: „Ein Biosimilar ist dem Referenzarzneimittel strukturell und funktionell so ähnlich, dass es keine klinisch relevanten Unterschiede in Sicherheit und Wirksamkeit gibt.“ Sie gehen von einem Einsparpotenzial von 20 bis 40 % durch die Verwendung von Biosimilars aus. Deren Verordnung sei gemäß dem Wirtschaftlichkeitsgebot in §12 SGB V auch als die Therapie der Wahl anzusehen, sofern dem nicht patientenspezifisch im Einzelfall hinreichende Gründe entgegenstünden. In einer Tabelle listet der Report nicht genutzte Einsparungsmöglichkeiten (durch Verzicht auf Biosimilarverordnung) auf. Bei Infliximab betrug der Biosimilaranteil demnach 2017 47,9 %, bei Rituximab 13,2 %. Die zusätzlichen Einsparungen bei 100 % Biosimilar-Verordnung werden auf 7,7 Mio bzw. mit 8 Mio. Euro beziffert. „Der Verzicht auf die Verordnung eines preiswerteren Biosimilars führt zu Mehrausgaben ohne Zusatznutzen, deren einziger Effekt die Erhöhung des Gewinns der pharmazeutischen Industrie ist, ohne dass hier ein Mehrwert für den Patienten entsteht“, so die Autoren.
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