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TSVG: Berufsverbände und KV kritisieren Pflicht zu offenen Sprechstunden

Gesundheitspolitik Autor: Antje Thiel

Die offenen Sprechstunden könnten Patienten verleiten, wegen jeder Kleinigkeit zum Facharzt zu gehen, fürchten Kritiker. Die offenen Sprechstunden könnten Patienten verleiten, wegen jeder Kleinigkeit zum Facharzt zu gehen, fürchten Kritiker. © iStock/vm
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Die Verpflichtung zu offenen Sprechstunden, die grundversorgende Fachärzte seit September anbieten müssen, stößt Vertretern der KV Schleswig-Holstein und ärztlicher Berufsverbände sauer auf.

Schleswig-Holsteins KV-Vize Dr. Ralph Ennenbach ist davon überzeugt, dass die Vorgabe des Terminservice- und Versorgungsgesetzes zu fünf offenen Sprechstunden pro Woche in den Praxen zu einem Kapazitätsproblem führt. Sie widerspreche einer sinnvollen Patientensteuerung und störe die sorgfältig geplante Terminorganisation in den Praxen: „Da geraten Bedürfnisse und Bedarfe durcheinander. Wenn nun wirklich grundsätzlich immer allein der Patient entscheiden darf, dass er jetzt sofort einen Facharzt braucht, dann ist unser System am Ende. Arztzeit ist keine unendliche Ressource.“

Schnelle Hilfe bei akuten Problemen ist üblich

In der Vergangenheit sei man in den Facharztpraxen mit einer Mischung aus Termin- und offener Sprechstunde immer gut gefahren, bestätigt Dr. Klaus Gehring, Bundesvorsitzender des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte: „Wir versorgen viele chronisch kranke Menschen, die bei akuten Problemen schnell Hilfe benötigen – etwa bei einer Migräneattacke, einem akuten MS-Schub, epileptischen Anfällen oder akuten Psychosen. Diese Patienten konnten schon immer ohne Termin zu uns kommen.“

Auch für Akutfälle, die aus den Hausarztpraxen zum Neurologen weitervermittelt werden, habe es schon immer zeitnahe Termine gegeben. Doch mit den offenen Sprechstunden entfalle diese Sichtung und Einschätzung der Dringlichkeit durch den Hausarzt: „Was normalerweise der Hausarzt tun würde, muss bei der offenen Sprechstunde nun in der kostbaren Facharztzeit geleistet werden“, sagt Dr. Gehring.

Der Neurologe geht davon aus, dass sich die offenen Sprechstunden für viele Patienten als Enttäuschung entpuppen werden – vor allem für diejenigen, die sich durch die neuen offenen Sprechstunden eine sofortige und schnelle Lösung ihrer gesundheitlichen Probleme erhoffen. „Es gibt Leute, die wollten einfach schon immer mal checken lassen, ob sie eine neurologische Erkrankung haben. Wenn die nun reihenweise in die offenen Sprechstunden kommen, stören sie den Ablauf – zudem können wir ihnen in der Kürze der Zeit ohnehin nicht helfen und müssen einen gesonderten Termin vereinbaren.“

Mit dieser Klientel hat man auch im schleswig-holsteinischen Landesverband des Berufsverbandes der Augenärzte schon Erfahrungen gesammelt, wie dessen Vorsitzender Dr. Bernhard Bambas berichtet: „Die Rückmeldungen der Kollegen zeigen, dass diese Patienten schnell ungehalten sind, wenn nicht alles sofort möglich ist. Doch für eine Untersuchung des Augenhintergrunds bekommt man nun einmal pupillenerweiternde Augentropfen und darf im Anschluss erst einmal nicht Auto fahren.“ Bei einem geplanten Termin könne man derartige Besonderheiten absprechen, der Patient könne sich darauf einstellen und z.B. ohne Auto in die Praxis kommen. Bei einem Spontanbesuch in der offenen Sprechstunde hingegen sei das nicht möglich.

Letztlich förderten die offenen Sprechstunden die Anspruchshaltung „jetzt, alles, sofort“, die ohnehin schon viele Patienten pflegten. „Ich verstehe nicht, warum man dieser ungehinderten Inanspruchnahme Tür und Tor öffnet, wenn gleichzeitig über die hohe Zahl der Arztkontakte im deutschen Gesundheitswesen geschimpft wird“, kritisiert Dr. Bambas.

An jedem Wochentag eine Stunde vormittags

uch die KVSH fürchtet, dass die neuen, offenen Sprechstunden die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte ansteigen lässt. „Am Ende muss doch wieder ein Termin verabredet werden und der Patient ist umsonst gekommen“, warnt Dr. Ennenbach. Für die planbaren Termine wiederum stünden deswegen pro Woche fünf Stunden weniger zur Verfügung, sodass sich die Wartezeiten auf einen Termin für die – häufig chronisch kranken – Bestandspatienten verlängern. Um dieses Phänomen möglichst zu umgehen, bittet der Neurologe Dr. Gehring seine Bestandspatienten mittlerweile, bei akuten Problemen seine Praxis genau im Zeitfenster seiner offenen Sprechstunden aufzusuchen, die er an jedem Wochentag eine Stunde vormittags anbietet. Damit eigne sich dieser Zeitraum auch für Patienten, die wegen eines akuten MS-Schubs eine Kortison-Stoßtherapie benötigen und bei denen die Infusion immer vormittags angelegt werden sollte. Die offenen Sprechstunden machen also erfinderisch – die Zahl der Arztstunden erhöhen sie aber nicht.

Quelle: Pressegespräch – KVSH u.a.

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