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Über Gutmenschen und Zitronenfalter

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Ein Arzt ist qua Beruf(ung) ein guter Mensch. Sollte man meinen. Doch es gibt neue Erkenntnisse über Gutmenschen. Und die kratzen am Weltbild unseres Kolumnisten Dr. Robert Oberpeilsteiner.

Erinnerungen an einen Notarzteinsatz, der Jahre zurückliegt: Ein kardialer Notfall, nachts, weitab auf der Höh. Rasende Fahrt über Bergstraßen, das Blaulicht rotiert noch, als ich aus dem Wagen springe. Angehörige passen mich vor dem Gartentor ab. „Psst, warten’s noch ein bisserl, Herr Doktor, der Herr Pfarrer ist gerade drinnen und gibt der Oma die letzte Ölung.“


Die besorgten Kinder haben, sehr pragmatisch, erst das Pfarramt und dann – schaden kann’s ja nicht – auch die Notarzt-Leitzentrale alarmiert. Denn bei so ernsten Sachen geht man in Bayern kein Risiko ein. Da begibt man sich lieber auf die sichere Seite. Dann muss halt der Doktor ein wenig warten, bis er mit seiner Kunst drankommt.


Dabei brauchen wir Ärzte uns nicht zu verstecken. Wir genießen in der Bevölkerung hohes Ansehen. 78 Prozent wählten uns bei einer Befragung über das Image der Berufe an die erste Stelle. Wir sind eindeutig die Guten! Und die Jungen werden in unsere Fußstapfen treten.


Zum Beispiel Jynie, offensichtlich Medizinstudentin, im Internet: „Man sollte aus Idealismus Arzt werden und weil man es sich zur Aufgabe gemacht hat, anderen Menschen zu helfen.“ Bravo, Jynie! Das geht einem nach einem Vierteljahrhundert Landarztpraxis runter wie ein samtener Roter. Die Guten werden nicht aussterben. Und seien wir doch ehrlich: Es macht uns glücklich, fast so wie das Stückchen Schokolade vorm Fernseher.

"Mit dem Gutsein kann man es auch übertreiben"


Doch jetzt lässt uns eine Studie der University of Toronto am Sinn des Gutseins zweifeln. Nina Mazar und Chen-Bo Zhong stellten fest, dass Versuchspersonen, die Bioware im Laden kauften, sich anschließend unsozialer verhielten. Häufiger als die Vergleichsgruppe drängelten sie an der Kasse, betrogen oder stahlen Ware. Die Fachwelt erklärt uns dies mit dem „licensing effect“. Wer Gutes tut, glaubt Anspruch auf Belohnung zu haben. Das kann man sich wie so eine Art Ansparkonto vorstellen. Man muss also nur genügend Biomöhren, Naturnüsse und von frei laufenden Hühnern gelegte Eier kaufen. Dann kann man rüpeln, drängeln, stehlen, bis das Konto leer ist.


Das alles erschüttert nicht unerheblich mein Weltbild. Denn wenn sogar Erdenbürger, die nachhaltig Verantwortung für unseren Planeten übernehmen, plötzlich die Sau – pardon, das Öko-Schwein – rauslassen, kommen mir doch so manche Zweifel über den Sinn unserer beruflichen Ethik. So drängt sich der Schluss auf, dass es vielleicht gar nicht so vernünftig ist, auf Dauer zu den Guten zu gehören. Man könnte schnell ins Gerede kommen.

"Wer Gutes tut, glaubt Anspruch auf Belohnung zu haben"


In Bayern haben wir das übrigens schon lange gewusst. Und so haben wir immer wieder zaghaft versucht, wenigstens ein bisschen böse zu sein. Zuletzt bei der Rückgabe der Kassenzulassungen an die KVB. Da ließen sich die Guten nur noch wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen. Da gab es Gesetzesbrecher, verantwortungslose Gesellen, Revoluzzer und Trittbrettfahrer. Je nachdem, welchen Blickwinkel man bevorzugte. Den von der AOK, den von den Aussteigern oder den vom großen unentschlossenen Rest der organisierten Ärzteschaft. Die Mehrheit entschied sich letztlich, nicht zu wissen, was gut oder böse ist. Blöd gelaufen.


Wenn gute Taten Böses hervorrufen, wäre es doch interessant zu wissen, ob auch das Gegenteil der Fall sein kann. Da war doch kürzlich ein Kollege zu mir auffallend freundlich. Beim Einkaufen bei Aldi an der Wursttheke begrüßte er mich per Handschlag, fragte, wie’s der Familie gehe und ob wir nicht einmal zum Essen kommen wollten. Ganz ungewohntes und verdächtiges Verhalten! Vorher hatte er immer die Straßenseite gewechselt. Vielleicht war bei ihm in der Praxis an diesem Vormittag nicht viel los. Er konnte sein Guthaben-Konto nicht auffüllen, also hatte er auch keine Notwendigkeit, es an mir böswillig abzuarbeiten. Vermutlich sollten wir daher alle die Sprechstundenzeiten etwas reduzieren.

"Erst Biomöhren kaufen, dann nach Herzenslust stehlen"


Zitronenfalter falten keine Zitronen, Gutmenschen tun nichts Gutes. Woran soll man sich noch halten? „Yippie-Yeah-Yeah, Schweinebacke“, sagt Bruce Willis in „Stirb langsam 2“ und bringt ein Flugzeug zum Explodieren. Er darf das. Er gehört zu den Guten. Also, ich finde, irgendwo sollte eine Grenze sein mit dem Gutsein. Man kann das auch übertreiben.


Der Patientin aus dem Notarzteinsatz ging es übrigens sehr bald wieder prächtig. Es war wie ein Wunder. Da Wunder aber nicht in unseren Zuständigkeitsbereich fallen, war auch die Reihenfolge beim Notarzteinsatz voll in Ordnung.

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