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Unfallopfer im Glück! Sechs Ärzte als Ersthelfer

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Im Notfall wünscht man sich wahrscheinlich genau das: Sechs Ärzte sofort als Ersthelfer vor Ort. Dr. Robert Oberpeilsteiner berichtet von dem Einsatz seines Familien-Notfallteams und erklärt, warum sie ein Arzt zuwenig waren.

Mit einer Medizinerfamilie hat man manches Mal ganz schön sein Kreuz! Wären die Kids doch bloß anständige Bankangestellte, idealistische Meeresbiologen oder ökologische Almbauern geworden. Seufz! Dann könnten wir jetzt anders mitsammen über den rundum gelungenen Familienurlaub plaudern. Darüber zum Beispiel, wie die grätenreichen Fische hießen, die sie meuchelten und die ich essen musste. Oder über den Gegensatz zwischen der dreckigen Brühe im Hafen von Pula und der blauen Lagune mit den Delphinen, in die wir segelten. Wunderbare Gesprächsthemen nach einem gemeinsamen Urlaub. Aber nein, wir reden von Thoraxtrauma, instabilem Kreislauf, auslaufendem Benzin und ob ein alter Mann wohl überlebt hat.


Hintergrund des Ganzen ist ein schwerer Unfall. In den letzten Jahren kam ich glücklicherweise selten zu einem Notfall. In meiner Tasche fand ich jetzt Medikamente, die das Ablaufdatum überschritten hatten. Daher brachte ich vorher noch alles auf den neuesten Stand, inklusive frischer Batterien für das Laryngoskop. Und die Infusionen reichten garantiert für einen mittleren Flugzeugabsturz. Schließlich wollte ich im Falle eines Falles gewappnet sein.

"Unterwegs mit einem Notfallteam erster Klasse"

Mit mir unterwegs war nämlich geballte medizinische Power. Ein Chirurg, ein Anästhesist, eine Gyn­äkologin, lauter junge dynamische Experten. Ein Premium-Sorglospaket für Unfallopfer und Gebärende. Ich wollte ihnen bei einem eventuellen Zwischenfall wenigstens das passende Werkzeug reichen können. Wenn schon nicht das Wasser.


Als hätte ich eine Vorahnung gehabt: Kurz vor Triest lagen zwei total zerstörte Autos, ein bewusstloser älterer Mann war hinter dem Lenkrad eingeklemmt. Benzin lief aus und es bestand höchste Brandgefahr. Alles Weitere lief dann – den jungen Profis sei Dank – sehr ruhig und routiniert ab.


Der Anästhesist übernahm die Führung der Rettungscrew. Alle machten konzentriert ihren Job, „trotz auslaufenden Benzins und obwohl der Verkehr weiterhin an uns vorbeipfiff“, wie unsere Tochter, die Gynäkologin, es sehr drastisch kommentierte. Ich bemühte mich, möglichst wenig zu stören. Ach ja, und nicht überfahren zu werden, da es geraume Zeit dauerte, ehe die Unfallstelle abgesperrt wurde. Auch zwei italienische Kolleginnen kamen dazu. Ein Polizist, zehn Meter entfernt, rauchte derweil ganz gelassen eine Zigarette.

"Berlusconi darf landen, der Notarzt aber nicht"

Es dauerte gefühlt sehr lange, bis zuerst die Feuerwehr und danach der Hubschrauber mit dem Notarzt am Unfallort waren. Aber wahrscheinlich dehnt sich die Zeit in so einer Situation. Auch durfte der Hubschrauber nicht auf der Autobahn landen. Die Retter mussten samt Gerät über ein Feld zur Unfallstelle laufen.


Als sie endlich ankamen, fanden sie einen bereits rundum versorgten Patienten vor. Intubiert, beatmet, mit diversen Zugängen, schon aus dem zerstörten Wrack geborgen und bereit für den Abtransport. Der Hubschrauberarzt war, na ja, konsterniert. Ich konnte das zutiefst nachvollziehen. Nicht gebraucht zu werden, ist ein komisches Gefühl.


Hinterher lief bei uns das Internet heiß. Auszüge aus O-Ton WhatsApp, inklusive Tippfehler:


Phimü (der Anästhesist): „Man merkt bei solchen Einsätzen nicht den Standard, den wir in Deutschland haben, sondern welche Ausnahme wir und max. Österreich/Schweiz haben. Unverständlich das Fegen der Straße noch vor der Notfallversorgung. Und die Reisebusse in Schrittgeschwindigkeit während der Rettung durch die Feuerwehr.“


Eule (Gynäkologin): „Wunderbar war die kleine italienische Ärztin. Flink wie ein Wiesel. Und vor lauter Freude hat sie mich angegrinst und kurz gedrückt als wir tatsächlich ne Ableitung auf dem EKG hatten. Verständigung ohne Worte. Und natürlich, unbedingt zu erwähnen, dass Berlusconi mit seinem privat Hubschrauber auch auf dem Marktplatz landen dürfte, und die Notarzt Hubschrauber nicht auf der Autobahn!“


Ich: „Der Berlusconi landet seit seiner Verurteilung höchstens im Seniorenheim wo er zur Altenpflege antanzen muss.“


Eule: „Man braucht nur nach München-Großhadern zu schauen wo die Anwohner gegen nächtl. Hubschrauber-Landungen protes­tieren. Man könnte dann denen die dagegen sind so nen Ausweis ausstellen dass sie künftig auch in der 30er Zone ohne Blaulicht im Notfall ganz langsam ins Krankenhaus gefahren werden. Da kommts wohl aufn paar Gehirnzellen nicht an?“


Ben Zuerich Handy (Chirurg): „Der Chef einer Notfallaufnahme hat mal zu mir gesagt: wenn ein Unfall passiert und ein Chirurg als Notarzt zur Unfallstelle kommt, dann wird der versuchen alles Chirurgische vor Ort zu erledigen, Thoraxdrainage, Wundversorgung, Brüche stabilisieren, Herztamponade entlasten ... Wenn ein Anästhesist als Notarzt kommt, dann wird dieser versuchen zu intubieren, einen ZVK zu legen, suffiziente Analgesie durchführen ... Die besten Überlebenschancen hast du wenn ein Internist als Notarzt kommt. Der packt den Patienten ein und wird ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen. Eine Studie aus Amerika hat gezeigt dass die Patienten unabhängig von der Erstversorgung das beste outcome haben wenn sie die kürzeste Zeit bis zur Einlieferung ins Spital haben.“


Ich habe einige Anmerkungen der engagierten Lebensretter weggelassen. Sie waren mit noch zu heißer Nadel gestrickt. Schließlich sollen uns die Italiener endlich mal bei der Fußball-WM gewinnen lassen.


Gemeinsame Recherchen, einige Tage später, ergaben, dass der alte Mann ins Hospital in Udine gebracht worden war und überlebt hat. Viel hilft also manchmal doch viel. „Il Piccolo“, die Tageszeitung aus Triest, berichtete von dem Unfall und erwähnte lobenswert, dass „einige“ deutsche Ärzte die Erstversorgung durchgeführt hatten.


Als ich es las, fiel mir ein, dass in meinem Auto ja eigentlich fünf Personen Platz haben. Wir können also im nächsten Urlaub noch jemanden mitnehmen. Genau, einen Internisten. Und einen Feuerlöscher.

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