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Vertragsärzte und Pharma-Industrie: Richter vertreiben Bestechungs-Spuk

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

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Vertragsärzte sind keine „bloßen Funktionsträger einer öffentlichen Behörde“ – in der Ärzteschaft ist die Freude über die „Stärkung der Freiberuflichkeit“ durch Richter für Strafsachen des Bundesgerichtshofes groß. Kassenvertreter fordern jetzt ein anderes Strafgesetz gegen Korruption.

Die BGH-Beschlüsse (Az.: GSSt 2/11, 5 StR 115/11) werden zunächst mal für Beruhigung sorgen: Ärzte und Pharmareferenten, die befürchten mussten, dass sie bei einer anders lautenden Entscheidung gar noch im Nachhin­ein von strafrechtlicher Verfolgung bedroht sein könnten, dürfen sich den Schweiß von der Stirn wischen. Vertragsärzte, die von Geschenken, Marketingmaßnahmen und anderen Vergünstigungen der Pharma-Industrie, Medizinprodukte-Hersteller oder Kliniken profitieren, machen sich im Rahmen des geltenden Strafrechts weder einer Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr noch einer Vorteilsnahme bzw. Bestechung schuldig. Sie können nämlich weder als Amtsträger noch als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen angesehen werden.

Was nicht heißt, dass solche Gaben grundsätzlich als angemessen zu akzeptieren sind. Die ärztliche Berufsordnung definiert Einschränkungen für eine Vorteilsannahme bei Zuweisungen sowie für Zuwendungen (§§ 31ff. Muster-Berufsordnung). § 128 SGB V geht auf die „unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten“ ein.

Gleiche Maßstäbe für Klinik und Praxis

Viele Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller unterwerfen sich freiwillig einem Verhaltenskodex, damit es im Wettbewerb nicht zur unlauteren Beeinflussung von Beschaffungs-, Therapie- oder Verordnungsentscheidungen kommt. Dabei unterscheidet z.B. der Kodex des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie nicht zwischen Klinikärzten („Amtsträgern“) und niedergelassenen Ärzten.

Allerdings weisen die Rufe aus dem Kassenlager nach dem Gesetzgeber („Regelungslücke schließen!“) sowie Reaktionen bei SPD, Grünen und Linken auf den BGH-Beschluss darauf hin, dass das Thema noch nicht gegessen ist. Die SPD wird garantiert erneut die Bundesregierung auffordern, „durch ergänzende Regelungen im Strafgesetzbuch sicherzustellen, dass Korruptionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte Straftatbestände darstellen“ (Bundestagsdrucksache 17/3685).

„Rückvergütungen, Scheintagungen oder Verschleierungsverträge mit überhöhten Honoraren für evident wertlose Studien – all dem können die Kassen mithilfe des Sozialgesetzes nur vereinzelt etwas entgegensetzen. Hier muss die offensichtliche Strafbarkeitslücke geschlossen werden“, kommentierte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, die BGH-Entscheidung. „Der Gesetzgeber sollte jetzt den Widerspruch im Strafrecht zwischen angestellten Ärzten und Freiberuflern schnellstens abstellen, ansonsten gilt weiterhin zweierlei Maß.“

Ärztliche Behandlung im Auftrag des Patienten

Zufrieden mit der BGH-Entscheidung äußerten sich dagegen KV-, Kammer- und Ärzteverbands-Vertreter. Sie freuen sich über klare Worte der Richter wie diese: „Der Vertragsarzt ist nicht Angestellter oder bloßer Funktionsträger einer öffentlichen Behörde; er wird im konkreten Fall nicht aufgrund einer in eine hierarchische Struktur integrierten Dienststellung tätig, sondern aufgrund der individuellen, freien Auswahl der versicherten Person ... Sowohl der Gegenstand als auch die Form und die Dauer der Behandlung sind einem bestimmenden Einfluss der Krankenkasse entzogen und ergeben sich allein in dem jeweiligen persönlich geprägten Verhältnis zwischen Patient und Vertragsarzt.“

Und weiter: „Dass der Vertragsarzt bei der Verordnung von Medikamenten auch auf die wirtschaftlichen Belange der Krankenkassen Bedacht zu nehmen hat, ändert aber nichts daran, dass die ärztliche Behandlung, in die sich die Verordnung von Arzneimitteln einfügt, in erster Linie im Interesse des Patienten und in seinem Auftrag erfolgt ... Von daher kann die Verpflichtung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht bewirken, dass der Arzt aus dem Auftragsverhältnis zu dem Patienten gleichsam herausgebrochen und zum Beauftragten der Krankenkasse wird.“

„Bestechung im geschäftlichen Verkehr“

 

KARLSRUHE – Anlass für die Beschüsse des Großen BGH-Senats und des 5. Strafsenats war eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg. Dieses hatte eine Pharmareferentin wegen „Bestechung im geschäftlichen Verkehr“ nach § 299 Abs. 2 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in insgesamt 16 Fällen verschiedenen Vertragsärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18 000 Euro überreicht hatte. Dahinter stand ein vertriebsförderliches „Verordnungsmanagement“: Der verschreibende Arzt sollte 5 % der Hersteller­abgabepreise als Prämie dafür erhalten, dass er Arzneimittel des Pharma-Unternehmens verordnete. „Die Zahlungen wurden als Honorar für fiktive wissenschaftliche Vorträge ausgewiesen“, notiert der BGH.

Die Verurteilung wurde von der Pharmareferentin beim BGH - erfolgreich - angefochten. Das Landgericht war zudem davon ausgegangen, dass Vertragsärzte Beauftragte der Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB seien.

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