Vertragspartnerschaft nutzt Kassen und Ärzten
Vor knapp zwei Jahren brachte Dr. Wolfgang Hoppenthaller in der Nürnberg-Arena mehr als 40 % der bayerischen Hausärzte dazu, für einen Austritt aus der KV Bayerns zu votieren. Der Bayerische Hausärzteverband scheiterte mit dieser Politik. Seither erlebt er auf dem Weg maßvoller Verhandlungen einen erfolgreichen Neuanfang.
Damals hatte die AOK Bayern wegen der Ankündigung des Systemausstiegs durch Dr. Hoppenthaller den attraktiven Direktvertrag mit dem BHÄV außerordentlich gekündigt und damit vor den Sozialgerichten auch Recht bekommen.
Eine späte Rechtfertigung des Ausstiegsplans
Jetzt, im August 2012, emotionalisierte der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Hans Magnus von Stackelberg, die Vertragsärzte, weil er zur Vorbereitung der Verhandlungen unter Hinweis auf ein selbst bestelltes Prognos-Gutachten eine Absenkung des KV-Honorars um gut zwei Mrd. Euro verlangte. Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler hatte eine Steigerung von 3,5 Mrd. Euro verlangt. Im erweiterten Bewertungsausschuss bildete daraus der neutrale Vorsitzende Professor Dr. Jürgen Wasem aufgrund der gesetzlichen Vorgaben eine Honorarsteigerung von 0,9 %.
Der bayerische Plan, aus dem System der KV-Versorgung auszusteigen, erfährt eine späte Rechtfertigung, weil Krankenkassen und KBV mit ihrer Aufgabe nicht mehr zurechtkommen, die Patientenversorgung so zu regeln, dass sie nach den gesetzlichen Vorgaben funktioniert und die Ärzte mit ihrer Vergütung zufrieden sein können. Vielmehr sollen jetzt Sozialgerichte und der Minister den Schiedsspruch kippen.
Die außerhalb der KV auf der Grundlage frei ausgehandelter Direktverträge mit der AOK Baden-Württemberg, Techniker Krankenkasse und IKK honorierten Ärzte werden sich an den nun anstehenden Kampfmaßnahmen nicht in nennenswertem Umfang beteiligen, weil sie im Wesentlichen zufrieden sind.
Bei Direktverträgen wenig Anlass zu Kampfmaßnahmen
Offensichtlich schafft die ruhige und sachliche Verhandlung mit Anerkennung der Probleme der Gegenseite eine bessere Grundlage für das Miteinander von Krankenkassen und Vertragsärzten. Und bei einem Überschuss von mehr als 20 Mrd. Euro im GKV-System kann man nicht behaupten, dass die Kassen nicht in der Lage wären, die erforderlichen Investitionen in zukunftsweisende Vertragssysteme zu tätigen.
Erfreulich ist, dass es aus Kreisen der Krankenkassen auch maßvolle Stimmen gibt. Soeben hat der Nomos-Verlag eine Doktorarbeit von Thomas Nebling (Beiträge zum Gesundheitsmanagement Nr. 38) über „Strategisches Verhalten bei selektiven Verträgen“ publiziert. Herausgeber ist Professor Dr. Norbert Klusen, der jüngst pensionierte TK-Chef.
In dem Buch ist zur Kooperation von Krankenkassen und Leistungserbringern zu lesen: „Ohne den Leistungserbringer als Kooperationspartner würde der Versicherungsvertrag im Wesentlichen lediglich aus einer Kostenerstattungszusage bestehen. Gegenüber ihren Wettbewerbern könnte sich die Krankenkasse daher nur über die berücksichtigungsfähigen Leistungen und die Höhe der Kostenerstattung sowie Selbstbehaltstarife differenzieren. Instrumente, um das Versorgungsgeschehen zu beeinflussen, Versorgungsangebote zu gestalten, zu organisieren, zu strukturieren und zu koordinieren, stünden ohne Versorgungsverträge nicht zur Verfügung. Sämtliche über eine reine klassische Versicherungsfunktion hinausgehenden Mehrwertleistungen, die Bestandteil des Geschäftsmodells des selektiven Kontrahierens sind, könnten gegenüber den Versicherten nicht erbracht werden (...). Die Kooperation mit dem Leistungserbringer hilft der Krankenkasse, Versicherte zu binden und neue zu gewinnen und damit ihre langfristige wirtschaftliche Existenz zu sichern (...).
Die Partner sind voneinander abhängig
Die Interaktionspartner (Krankenkassen und Vertragsärzte!) sind gegenseitig voneinander abhängig.“
Neblings Doktorarbeit ist für die Herren von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband und Dr. Köhler von der KBV sowie für jeden anderen, der Versorgungsverträge aushandelt oder aushalten muss, aus meiner Sicht eine Pflichtlektüre.