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Von Gesundheit kann man doch nicht leben!

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Was ist eigentlich Krankheit? Abwesenheit von Wohlbefinden oder Regelwidrigkeit? Es kommt immer auf den Blickwinkkel an, konstatiert MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner. Doch eigentlich sind solche Spitzfindigkeiten egal. Hauptsache man kann davon leben.

Gute Fahrt! Mein Autohändler wurde nicht rot, als er dies sagte. Dabei hätte er allen Grund dazu. Schließlich lebt er nicht von meiner guten Fahrt. Er lebt davon, dass am Auto etwas krankt.


Wir wiederum wünschen den Patienten gute Besserung. Nichts freut uns mehr als das Überbringen guter Nachrichten. Dabei sind wir in der Situation des Autohändlers. Denn, so wie dieser von der Vergänglichkeit einer alten Karre profitiert und nicht davon, dass sie läuft und läuft, so leben wir von der Raucherlunge, den Hämorrhoiden und den verkalkten Koronarien unserer Patienten. Von ihrer Krankheit also. Nicht von ihrem Wohlbefinden.

"Ärzte sind auch nicht besser als Autohändler"

Daher dachte ich mir, es wäre endlich an der Zeit, über den Begriff „Krankheit“ Näheres herauszufinden. Doch das war gar nicht so einfach. Die WHO kneift bei der Definition. Sie kennt den Begriff „Krankheit“ offensichtlich nicht. Gesundheit aber hat sie fürsorglichst und unerreichbar definiert. „Gesundheit ist der Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.“


Es führt zu nichts, wenn wir jetzt eine Diskussion über völliges geistiges Wohlbefinden führen (bei dem Ergebnis der Pisa-Studien und dem Fernsehprogramm in letzter Zeit!).


Und seelisches? Der typische Mediziner verhält sich zur gemeinen menschlichen Seele an sich schon sehr reserviert. Er ist ihr gegenüber skeptisch, hält sie für eine Laune der Natur, sie soll dem Lurch fehlen, ist wolkig, ätherisch und wenn sie Husten hat, dann schickt er sie zum Psychiater. Dort trifft sie auf andere kranke Seelen. Aber nie auf einen Lurch.


Man sieht, es ist schon ein Kreuz mit der Seele als solcher. Wie soll man sich dann erst eine sich wohlbefindende Seele vorstellen?


Fragen wir also lieber, wen sollen wir als krank bezeichnen? Den nicht Gesunden? Nur gut, dass es die Krankenkassen gibt, die uns sagen, wo’s langgeht. Sie eiern da nicht lange rum. „Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der die Notwendigkeit einer Heilbehandlung erfordert ...“


Regelwidrig, das ist doch ganz nahe dran an unerlaubt. An gesetzeswidrig, an einem Straftatbestand! Ganz klar, dass man da zuallererst an Sanktionen denkt. Also wird mit Zuzahlungen und Praxisgebühr die Dreistigkeit bestraft, Patient zu sein. Wo käme unser Sozialsystem denn hin, wenn wir alles durchgehen ließen!


Aber auch im Alltag wird der Begriff „Krankheit“ sehr beliebig gebraucht. Kürzlich war eine Bekannte gemeinsam mit ihrer Tochter bei uns zum Abendessen. Der Abend verlief zunächst ganz harmonisch.


Zum Dessert gab es, wider alle Regeln der Ernährungslehre, Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Lecker, lecker! Die Tochter unserer Bekannten, fasste zweimal nach. Hätte nichts ausgemacht, es war genügend da. Doch dann, wahrscheinlich um sich in einem Mediziner-Haushalt standesgemäß zu benehmen, sagte sie überflüssigerweise: „Übrigens, ich bin adipositaskrank.“


Dabei sah die Zwanzigjährige proper, lebensfroh und unbestreitbar gesund aus. Und satt. Reste vom Vanilleeis klebten noch am Kinn.  Ich atmete tief durch, um nichts zu sagen.


Ich verkniff mir also zu sagen: „Gnädige Frau, Sie haben zwar Fettreserven an Bauch und Hüften, die Sie einen Meteoriteneinschlag mit Verdunkelung der Atmosphäre jahrelang überleben lassen. Und natürlich ist – insbesondere für die Ausgewogenheit der Argumentation – ernährungsinduzierte Adipositas, vielleicht einhergehend mit Hyperlipidämie und Atheromatose nichts, worüber ich spaßen will. Doch neigen wir nicht immer mehr dazu, Krankheitsbegriffe ausufernd zu gebrauchen?


Immer mehr Syndrome, immer mehr Befindlichkeitsstörungen werden zu Leiden geadelt, als wäre der Sieben-Tage-Schnupfen ein Fall für die Intensivstation.


Und was bringt es, wenn undisziplinierte Esser, Menschen wie Sie und ich, schwach und fehlerhaft, als Fress-Aliens angesehen werden? Genetisch determiniert. Wir bestreiten damit ihre Selbstbestimmung, ihre Eigenverantwortung. Wir ziehen sie uns als Patienten heran!“


Gleich, nachdem ich dies nicht gesagt hatte, dachte ich mir noch: Der Autohändler in uns aber sagt: „... es bringt immerhin einen zusätzlichen Ölwechsel, man braucht neue Reifen und zwischenzeitlich kleinere Reparaturen."

"Der Schnupfen wird zum fall für die Intensivstation"

Mir fiel der Patient ein, von letzter Woche, in einer Reha-Klinik nach einem Vortrag über Ernährung. Er saß in der Lounge, vor sich ein kalorienreiches Getränk, kontrollierte gewissenhaft Blutzucker und Blutdruck.


Dann hörte ich ihn sagen: „Gottseidank, alles normal. Ich bin nicht krank. Ich bin ja nur dick.“ Darauf nahm er einen kräftigen Schluck.

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