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Von Mitternachtsspitzen, Silvester und – oje – der KV

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Silvester und die neuen Wünsche für das kommende Jahr. Über was MT-Kolumnist Dr. Oberpeilsteiner für das neue Jahr sinniert, lesen Sie hier.

Silvester wäre heuer bei uns beinahe aus den Fugen geraten. Es begann damit, dass meine Frau am späten Abend ins Arbeitszimmer gestöckelt kam. Im kleinen Schwarzen. „Sag mal, hast du etwa vergessen, dass heute Silvester ist?“, fragte sie mich. Ihre Tonlage war mindes­tens eine Oktave zu hoch. „Nein, natürlich nicht“, antwortete ich. „Aber ich möchte noch ein wenig an der Kolumne feilen, die ich gerade schreibe.“ Sie trank den Rest von ihrem Prosecco aus. „Bitte, Trude, lass mich noch ein bisschen arbeiten“, sagte ich. „Du könntest mir den angebrochenen Roten bringen.“


Sie kam mit dem Rotwein und zwei Gläsern zurück und setzte sich zu mir an den Schreibtisch. „Worüber schreibst du denn?“ „Darüber, was wir Ärzte uns für das neue Jahr wünschen.“ „Sehr originell. Wem ist das denn eingefallen?“ Ich sah darüber hinweg und nahm einen Schluck von dem Roten. Je länger er offen stand, umso besser wurde er. Leider kann er bei uns nie wirklich zur Spitzenform ausreifen. „... also darüber, dass Medizin immer mehr zum Geschäft wird, über Ärger mit der KV, über Medikamentenhaftung ...“

»Gibt es bald Prämien für extreme Diagnosen?«


„Du warst schon einfallsreicher“, kommentierte sie über ihr Glas hinweg. Eindeutig gelangweilt. „Ja, ich weiß“, sagte ich. „Es ist wie im Märchen mit drei freien Wünschen.  Aber leider ist weit und breit keine gute Fee zu sehen.“ Irgendwie war ich doch froh, jetzt mit ihr reden zu können. „Ich bring uns noch Oliven“, sagte sie, „und ein bisschen Käse.“ Sie hatte fürsorglich eine neue Flasche Rotwein geöffnet. „Aber er sollte noch ein bisschen stehen, ehe wir ihn trinken.“ Ein frommer Wunsch, aber völlig lebensfremd.


„Ich habe da von einem Medizinhistoriker gelesen, Paul Ulrich Unschuld heißt er, der schreibt, Gesundheit ist in Deutschland nur noch eine Ware. Erstmals sei eine auf Rendite ausgerichtete Industrie erwachsen, die die Ware Gesundheit unter rein kommerziellen Gesichtspunkten vertreibt“, erläuterte ich ihr zwischen zwei Oliven.


„Ich dachte, du magst keine Zitate“, antwortete meine Frau. „Geklaute Intelligenz, sagst du immer.“ Wie sollte ich mich angesichts dieser Mitternachtsspitzen noch auf einen Text konzentrieren?  „Überleg doch mal“, sagte ich geduldig, „der Morbi-RSA zum Beispiel ...“ „Der was?“ „Der Morbiditätsrisiko- strukturausgleich. Je schwerer jemand erkrankt ist, umso mehr Geld bekommt die Krankenkasse. Die sind so scharf auf extreme Diagnosen, dass manche den Ärzten PC-Software zum ‚Upcoding‘ anbieten. Und  GKV-Mitarbeiter besuchen Patienten und überreden sie, zu einem genehmen Arzt zu wechseln.“


„Na, da wünsche ich euch viel Spaß im neuen Jahr. Da gibt es sicher bald einen Markt für schwere Erkrankungen. Mit Zertifikaten. Die werden dann versteigert – wie diese Umweltdings. Biete zwei zuckerkranke Couchpotatoes gegen einen debilen Krankenkassenchef.“


„Bitte, Trude!“, protestierte ich etwas matt. „Außerdem könntest du ausnahmsweise auch einmal bei mir nachschenken.“ Sie ließ nicht locker. „Eigentlich sollte der Patient eine Prämie bekommen, wenn er sich für den Morbi-RSA qualifiziert. Pro Quartal eine Stange Zigaretten. Damit möglichst bald Lungenkarzinom eincodiert werden kann.“ Ihre Logik war höchst ansteckend. „Um die Gesundheitsindustrie anzukurbeln, müsste man noch viel gezielter in Krankheiten investieren, finde ich. Rauchen in der Schule fördern, kostenlose Pommes in der Pause.“

»Den Regress endlich zum Teufel jagen und die KV verschlanken«

Sie verzog sich wieder in die Küche. Ich sah auf die Uhr. Es war schon kurz vor Mitternacht. Sie brachte Melone mit Schinken und dazu noch ein Fläschchen. „Was willst du jetzt noch schreiben?“ „Es muss irgendwas über die KV rein. Eine Kolumne, in der nicht über die KV gelästert wird, ist keine wirkliche Kolumne“, sagte ich. Ihr Blick war ziemlich skeptisch. „Ist das auf Dauer nicht ein bisschen dröge?“, fragte sie. „Wenn die wirklich so schlimm sind, warum macht ihr dann nichts dagegen?“


Ich war etwas ratlos. „Ich weiß auch nicht. Aber irgendetwas wird schon dran sein. Eine gewisse Dr. Enger hat vor ihrer Wahl in die bayrische KV jedenfalls gesagt, man müsse wieder angstfrei mit der KV reden können.“ „Und?“, fragte meine Frau, „jetzt wo sie drin ist, fürchtet sie sich wahrscheinlich vor sich selbst. Wenn ihr keine KV hättet, würde doch eine staatliche Behörde für euch alles organisieren. Wär dir das lieber? Ihr habt so ein verkrampftes Verhältnis mit denen doch nur, weil sie euch über den Kopf gewachsen sind und die Regresse durchziehen. Ich will dir mal was sagen ...“ Oje, dachte ich, was kommt jetzt? „... In dem Biotop von euch kreuzbraven Medizinern kann sich die Bürokratie ausbreiten wie dieser eine Frosch in Australien, der den ganzen Kontinent auffrisst.“


„Jaa, was solln wir machn?“, fragte ich mit schwerer Zunge. „Ihr müsst den Arzneimittelregress zum Teufel jagen, die KVen  verschlanken und einige Paläste zumachen“, sagte sie, „und in die frei werdenden Immobilien könnt ihr ...“ Die Ideen gefielen mir.


„Werfen die KV wir raus und machen draus ein Freudenhaus“, sang ich kichernd. Ja, warum nicht? Die Ergo braucht nicht mehr bis Budapest zu fahren und die AOK Bayern mit dem neuen Profil als „Erotik-Kasse“...  „Was ist das  für ein Lärm draußen?“, fragte ich etwas unwirsch. „Prosit Neujahr!“ rief meine Frau. „Komm her, Liebling, ich hab den Schampus geköpft! Jetzt sag ich dir meine Wünsche fürs neue Jahr.“

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