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Vorsicht: Grober Arztfehler durch unterlassene Diagnostik

Autor: Ruth Bahners, Foto: fotolia/alphaspirit, fotolia/mast3r

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Der Vorwurf des groben Befunderhebungsfehlers wird bei Anwälten immer beliebter, denn damit ist die Beweislast des Arztes verbunden. Was sind Befunderhebungsfehler und welche Folgen haben sie für die Haftung?

 

In Nordrhein hat die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler von 2007 bis 2013 in 3125 Fällen den Vorwurf des Behandlungsfehlers bestätigt. Bei der Hälfte dieser Fälle waren Befunde fehlerhaft unterlassen worden.

Das Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein hat die  65. Veranstaltung seiner Reihe "Aus Fehlern lernen" diesem Thema gewidmet. Die Gutachterkommission ist Partner dieser Veranstaltungen.

In der Regel muss der Patient beweisen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden besteht, erläutert Rainer Rosenberger, Vorsitzender am Oberlandesgericht Köln a.D. und stellvertretender Vorsitzender der Gutachterkommission Nordrhein. Anders bei einem "groben Fehler": Dann kehrt sich die Beweislast um.

"Grob" heißt: So etwas darf einem Arzt nicht unterlaufen

Von Juristen wird regelmäßig ein Fehler als "grob" angesehen, wenn dieser aus "objektiver medizinischer Sicht" nicht mehr verständlich erscheint, weil "er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf", sagt Rosenberger.

Unterbleiben bei der Diagnostik Untersuchungen, obwohl sie bei standardgerechtem Vorgehen geboten gewesen wären, lägen Befunderhebungsfehler vor. "Der Vorwurf der unterlassenen Befunderhebung kann erhebliche rechtliche Konsequenzen haben", so Rosenberger, nämlich die Umkehr der Beweislast.

§ 630h BGB stellt dazu fest: Die Beweislastumkehr "gilt auch dann, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen geboten hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre".

Aus Fehlern lernen: Beispiele, wie etwas leider schiefging

Prof. Dr. Johannes Köbberling, Internist und Mitglied der Gutachterkommission bei der Ärztekammer Nordrhein, nennt drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Beweislast­umkehr eintritt:

  1. Die versäumte Erhebung eines medizinisch gebotenen Befunds ist behandlungsfehlerhaft, d.h. für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar.

  2. Bei Befunderhebung wäre mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (50 %) ein Ergebnis erbracht worden, das Maßnahmen erfordert hätte.

  3. Das Unterlassen solcher Maßnahmen ist grob fehlerhaft, d.h. ein nicht mehr verständlicher Fehler, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Nach Auffassung von Dr. Werner Jörgenshaus, Allgemeinarzt aus Schwalmtal und ebenfalls Mitglied der Gutachterkommission, gibt es Arbeitsbereiche, die besonders "anfällig für Befunderhebungsfehler" sind. Bei der gebotenen Befunderhebung von Tumorerkrankungen führt der Hausarzt die verzögerte Diagnose eines Kolonkarzinoms oder anderer Darmtumoren durch Unterlassung abklärender Untersuchungen nach auffälliger Klinik an.

Vor allem im Notdienst passiere es, dass gebotene Maßnahmen wie EKG, Akutlabor oder die Notfalleinweisung bei abklärungsbedürftigen Befunden wie unklaren Thoraxschmerzen, Dyspnoe oder Herzrhythmusstörungen unterbleiben.

Arzt ließ sich zu viel Zeit: Grober Behandlungsfehler

Bei Verletzungen und Frakturen komme es zu ungenügenden klinischen Befunden der Verletzung oder zur Unterlassung weiterer Diagnostik wie nicht veranlasste Bildgebung oder die Kontrolle des Erstbefundes.

Ein besonderes Problem stellt die Dokumentation dar. So berichtete Rosenberger von einem Fall, bei dem die CRP-Konzentration gemessen, aber der erhöhte Wert nicht dokumentiert wurde. Folglich sei darauf nicht reagiert worden. Nachdem sich zwei Tage später Zeichen einer beginnenden Sepsis einstellten, wurde ein Antibiotikum gegeben. Trotzdem folgte ein schwerer Krankheitsverlauf mit bleibenden Gesundheitsschäden.

"Hier haftet der Arzt, obwohl nicht sicher ist, dass sich eine frühere Antibiotikagabe günstig ausgewirkt hätte", so der Jurist.
Der CRP-Wert hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen reaktions­pflichtigen Befund ergeben. Die mangelnde Reaktion des Arztes sei als "grob fehlerhaft zu qualifizieren".

Richter hält Dokumentation bei Ärzten für "durchweg unzureichend"

Mangelnde Dokumentation beklagt auch Hausarzt Dr. Jörgenshaus. In 80 % der Fälle von Befunderbungsfehlern gibt es hier Probleme. Denn "was nicht dokumentiert wurde, wurde auch nicht durchgeführt".

Ex-Richter Rosenberger hält die Dokumentation vor allem bei den niedergelassenen Ärzten "für durchweg unzureichend". "Sie dürfen das nicht vernachlässigen, aus Selbstschutz, aber auch wegen der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Patienten", lautet sein Appell.

Prof. Köbberling stellt fest: "Der Arzt haftet auch für Fehler der Mitarbeiter – selbst dann, wenn alle organisatorischen Vorkehrungen zur Vermeidung solcher Fehler getroffen waren."

In einem konkreten Fall hatte die MFA ein Fax mit dem Befund des Pathologen, dass es sich doch um einen seltenen malignen Tumor handelt, entgegen der Anweisung des Arztes diesem nicht sofort vorgelegt, sondern in einem Ordner abgeheftet. So unterblieb eine notwendige Nachresektion, was zu einer Teilamputation des Fußes führte.

Befunderhebungsfehler bei Patientenanwälten beliebt

"Alle Fehler, auch die Befunderhebungsfehler sind durch die Berufshaftpflicht abgedeckt", beruhigte Rechtsanwalt Patrick Weidinger, Abteilungsdirektor Deutsche Ärzteversicherung. Aber "die Patientenanwälte springen auf den Vorwurf Befunderhebungsfehler wegen der Beweislastumkehr". Diese Fälle erleichterten die Anspruchserhebung "wesentlich".

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