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Walking mit Krücke - so vergeuden Kassen Geld

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Dr. Frauke Höllering bemängelt kostspielige Unsinnsprogramme der Krankenkassen.

Unsere Mitarbeiterinnen können aufatmen: Keine von ihnen wird ihren Job verlieren, weil die absurde Forderung der Krankenkassen, unser Einkommen um 7 % reduzieren zu wollen, glücklicherweise ohne Erfolg blieb.


Ich möchte nicht über die Frage lamentieren, wie wir mit einer einprozentigen Steigerung des Einkommens den Inflationsanstieg und die um mehr als das Doppelte gestiegenen Gehälter unserer Mitarbeiterinnen finanzieren wollen. Stattdessen möchte ich mit Ihnen die Erkenntnis teilen, dass die Krankenkassen das uns vorenthaltene Geld dringend brauchen.


Gestern nämlich besuchte mich ein betagter Herr, der sich der Tatsache erfreute, dass er mit einer Gehstütze noch halbwegs mobil war und den Weg durchs Städtchen zu mir bewältigen konnte.

Berät eine Schwester besser als die Ärztin?

Er entfaltete einen Zettel und meinte: „Schauen sie sich das mal an. Meine Enkelin will mir immer Gutes tun und hat mich da angemeldet. Aber ich kann so gar nichts damit anfangen!“ Auf dem Brief an den Patienten prangte das AOK-Logo und ein Willkommensgruß zum „HerzAs Programm“. Neugierig las ich, womit man denn meinen schwerkranken Patienten erfreuen wollte: „Eine Krankenschwes­ter wird Sie regelmäßig anrufen und Ihrem Gesundheitszustand entsprechend beraten!“, stand da an allererster Stelle.

30 Jahre Medizin sind nicht mehr ausreichend ...

Ich schnappte hörbar nach Luft. War meine fachärztliche Ausbildung, waren meine 30 Jahre Medizinerfahrung nun nicht mehr ausreichend, meinen Patienten „seinem Gesundheitszustand entsprechend“ zu beraten? Was wusste die Krankenschwester, das ich nicht wusste?


Die Unverschämtheit, meine haus­ärztliche Beratung durch Anrufe einer Krankenschwester zu ersetzen, raubte mir den Atem. Ich halte ganz große Stücke auf deren Zunft und nicht nur als Ärztin, sondern auch als Patientin habe ich erlebt, wie anspruchsvoll der Beruf einer Krankenschwester ist. Aber die ärztliche Beratung? Pardon, das ist mein Aufgabengebiet, das kann ich besser!


„Machen sie gern einen Mittagsschlaf?“, fragte ich meinen Patienten und er bejahte. Wir beide stellten uns vor, wie ihn der AOK-Anruf aus dem Schläfchen riss mit der Frage: „Wie geht es Ihnen heute?“ Oder von der Toilette. Oder vom Fernseher weg.


„Ich werde gar nicht gerne angerufen“, sagte der alte Herr sinnend. „Was soll das? Wenn ich krank bin, komme ich zu Ihnen!“ Das hoffte ich doch!


„Aber ich habe eine sprechende Waage bekommen“, sagte er dann unverhofft, „die wiegt mich und schickt die Ergebnisse direkt nach München. Was die in München damit wollen, kann ich aber nicht sagen.“ Ich gebe zu, mir nicht die Mühe gemacht zu haben, nachzufragen, ob das Körpergewicht meines Sauerländer Patienten nun in eine riesige bayerische Datenbank eingepflegt wird. Denn er ergänzte sofort: „So ein Quatsch. Was wollen denn die in München mit meinem Gewicht?“

Sprechende Waage schickt Gewicht nach München

Ein Blick auf den Brief, den mein Patient bekommen hatte, beantwortete das: „Wir werden Ihnen Broschüren mit Bewegungs- und Ernährungstipps senden“, stand da sinngemäß. Wir mussten beide lachen, als wir uns vorstellten, dass man ihm Nordic Walking oder Wassergymnastik empfehlen würde; ihm, der mit seiner Gehstütze ganz gut zurecht kam, aber mehr auch nicht.


Außerdem: Lag es nicht an mir, dafür zu sorgen, dass mein Patient mobil blieb? War es nicht meine Aufgabe, ein bisschen mit dem Zeigefinger zu drohen, wenn das gute Sauerländer Pils zu Gewichtszunahme oder einem erhöhten Zuckerspiegel geführt hatte? Da braucht er doch keinen Anruf aus einem Callcenter!

Jetzt stört die AOK die Patienten sogar vom Klo auf

Er wusste genau, dass ich auch ein Fan der heimischen Veltins-Brauerei bin. Wenn ich also sagte, dass man es mit dem Bierkonsum nicht übertreiben sollte, dann tat ich das nicht aus sauertöpfischer Missgunst, sondern um ihm noch einen angenehmen Lebensabend ohne Diabetes-Spätkomplikationen zu verschaffen.


Darum hatte ich doch viel bessere Chancen, dass er meinem Rat folgte! Immerhin tat er das schon seit 15 Jahren und war bisher recht gut damit gefahren.


„Werfen Sie das einfach in den Papierkorb“, entschied er, „das brauche ich nicht. Wenn ich Probleme habe, komme ich zu Ihnen, denn Sie haben mich immer gut betreut.“ Dann erhob er sich, griff nach seiner Gehstütze und ging langsam, aber durchaus sicher aus der Tür.


Ich blieb zurück, mit Groll im Bauch. Dafür also brauchten die Krankenkassen die Versichertengelder! Vielleicht würden sich einsame, schlecht betreute Herzkranke im tiefen Sauerländer Wald über die Anrufe einer Krankenschwester freuen. Aber gewiss nicht, weil ihre Ärzte sie schlecht betreuen und die Patienten diese „Unterstützung“ brauchen!

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