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Wenn das positive Chi durch die Praxis rast

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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Wenn tolle Ratschläge zur Praxisgestaltung bei der Helferin auf fruchbaren Boden fallen, muss der Doc sich auf einiges gefasst machen, weiß Dr. Robert Oberpeilsteiner aus Erfahrung.

Das Ganze begann damit, dass Mathilde, meine Sprechstundenchefin, plötzlich systematisch unseren Presseeingang durcharbeitete und intensiv in den medizinischen Zeitschriften blätterte. „Was ist los?“, fragte ich. Ein tadelnder Blick, die Augenbrauen hochgezogen. Solche Fragen hält sie für überflüssig. „Es sind einfach tolle Ratschläge auch für unsere Praxis drin“, sagte sie.

»Ich komme mir vor wie ein altes Stück Möbel«

Aha, dachte ich und erinnerte mich an die letzten tollen Ratschläge, wenige Jahre, nachdem ich die Praxis von meinem Vorgänger übernommen hatte. Bis dahin waren dessen alte Schulschreibtische an der Anmeldung auch für uns immer gut genug gewesen. Aber nur solange, bis ein externer Praxisflüsterer sie sah. Der war von ihrem Anblick in meiner Praxis sichtlich mitgenommen, brachte zunächst kein Wort heraus und schlug daher alternativ die Hände vor das Gesicht. Ich kam mir gleich selbst wie ein Stück altes Möbel vor.


Die Folge war, dass  ich jetzt seit einem Vierteljahrhundert, zwischen Designermöbeln sitze, deren Farbe ich nicht mehr sehen kann. Violett! Und das Schönste ist: Diese Mega-Investition hat außer dem Möbelhändler keinen in irgendeiner Weise interessiert. Eine Patientin merkte sogar an: „Etwas ist bei Ihnen in der Praxis anders. Es ist irgendwie nicht mehr so gemütlich.“ Daher mein Vorbehalt gegenüber tollen Ratschlägen.


Andererseits wollte ich mein Ein-Frauen-Team nicht ausbremsen. Mathilde leidet in ziemlich regelmäßigen Abständen unter Attacken von Kreativität. Ich finde, wenn das neue Ideen mit einbringt, ist dies gut für die Motivation, damit gut für die Praxis und für mich.


Als sie beim letzten Mal so einen Anfall hatte, lief es allerdings nicht so gut. Sie hatte mich beschworen, ich sollte doch mehr delegieren. Ich weiß nicht, wieso sie darauf kam. Ich hatte das doch bereits vor zwanzig Jahren, als sie bei mir anfing, getan. Ich versuche mich seither ohnehin soweit wie möglich auf das rein ärztliche Tun zu beschränken. Das Darüberhinaus – Labororganisation, EKG, Lufu, Software-Updates, Formularkram – war doch längst delegiert. Das Einzige, worauf ich immer noch Wert legte, war, sie im Notfall ersetzen zu können. Also, technologisch gesprochen, Mathildes Back-up zu sein.

»Extra-Energie wäre super bei den Strompreisen«

Aber zurück in die Gegenwart. „Wie wäre es denn mit Feng-Shui?“ Sie teilte mir ihren Beschluss wie immer in Frageform mit. „Wie kommt sie denn gerade auf so was?“, war mein erster Gedanke. Vorsichtshalber hütete ich mich aber davor, spitze Kommentare abzugeben, die das Raumklima womöglich negativ belastet hätten. Andererseits, was sollte  denn bei diesem esoterischen Stühlerücken schon schiefgehen? Und wenn man wirklich positive Energie dazugewinnen konnte ...? Das wäre bei den steigenden Strompreisen auch nicht verkehrt.


Als ich weiter darüber nachdachte, wie ich mein Leben, respektive die Praxis, weiter entrümpeln könnte, um Platz für Yin und Yang nebst allen guten Elementen  zu schaffen, fiel mir ein, dass ich die zwei halb verdorrten Kakteen im Wartezimmer schon lange hatte wegwerfen wollen. Aber ich bringe es immer noch nicht übers Herz, lebende Pflanzen einfach so zu entsorgen. Da könnte Mathilde bei dieser Gelegenheit ja schon mal anfangen mit ihrer chinesischen  Kreativität. Dornige Pflanzen sollen ja ohnehin Streitereien begünstigen. Jedenfalls stand ich dem Ganzen, wie man sieht, ziemlich aufgeschlossen gegenüber.


Es ließ sich zunächst alles  ganz gut an. Die Kakteen fanden sich zwei Tage später in der Mülltonne wieder. Und die Praxis durchwaberte ein spiritueller Wind aus dem Osten. Mathilde schien plötzlich völlig versöhnt mit den Kräften des Kosmos. Das positive Chi muss offensichtlich mit Lichtgeschwindigkeit durch die Räume geflutscht sein, nachdem es sich zuvor an EKG und Sono vorbeigeschlängelt hatte. Grad so, als wärs ein Materieteilchen im Beschleuniger des CERN.


Dass das Ganze dann doch nicht in völliger Harmonie endete, lag schließlich an den Designer-Möbeln. Denn Mathilde bestand darauf, wir müssten unbedingt zwei der scheußlichen  Stühle nachbestellen. Violett bestehe aus Rot und Blau. Rot sei Wärme und Lebenskraft und Blau stehe für Harmonie. Dagegen sei doch wohl nichts einzuwenden. Ich fand es schon.


Vor allem, wenn am Ende Violett dabei herauskommt. Seither kümmere ich mich wieder selbst um die Praxiszeitschriften. Mathilde ist dabei nur mein Back-up.

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