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Wenn der Doktor im Glashaus sitzt ...

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Über ihre Erfahrung mit "Whale-Watching" im Fitness-Studio berichtet Dr. Frauke Höllering.

Früher hätte ich es mir einfach gemacht: „Halten Sie sich mit dem Essen zurück und bewegen Sie sich mehr!“, hätte ich es prägnant auf den Punkt gebracht. Natürlich wäre ich durchaus bereit gewesen, noch ein paar weitere Erörterungen zu geben, aber das wäre es auch schon gewesen.


Jetzt, mit der beginnenden Abgeklärtheit des fortgeschrittenen Lebensalters und einigen damit einhergehenden eigenen „Jahresringen“, klinge ich schon bescheidener: „Haben Sie schon einmal versucht, ein bisschen weniger zu essen?“, frage ich meinen schwerbeleibten Patienten nun. Oder: „Wir müssen sehen, wie ein bisschen mehr Bewegung in Ihren Alltag kommt. Mögen Sie Fahrrad fahren? Oder waren Sie früher mal im Sportverein?“

Beim Stichwort Diät muss ich den Bauch einziehen

Das Ergebnis dieser Gespräche ist heute nicht erfolgreicher als früher, aber meine Patienten fühlen sich wohler dabei – und weniger Erfolg habe ich so auch nicht. Wenn ich über kulinarische Einschränkungen rede, habe ich leider eine etwas gepresste Stimme, weil ich währenddessen den Bauch einziehe. Ich erwäge natürlich täglich, mir anzugewöhnen, den Kittel fest zu schließen, weiß aber, dass dererlei Camouflage das Problem nicht grundlegend löst. Also habe ich mich im letzten Herbst dazu entschlossen, dem „Vorsichtig-mit-Essen-Sein“ noch mehr körperliche Ertüchtigung zur Seite zu stellen, und mich in einem Fitness-Studio angemeldet. (Ja, ich spiele immer noch Golf; aber irgendwie reicht das nicht aus. Komisch, oder?).


Seit meinem letzten Fitness-Training vor zirka 20 Jahren hat sich vieles getan. In „meinem“ Studio gibt es keine pickligen Bodybuilder und keine Traumfrauen in hautengen Trikots. Dafür einige Mitglieder in den Sechzigern und ganz normale Männer und Frauen, dicke und dünne, in unspektakulärer Sportbekleidung. Die Geräte wissen nach Einführen eines elektronischen Stöpsels, was von mir erwartet wird, und blinken vorwurfsvoll, wenn ich versage. Dabei gibt es nette Trainerinnen und Trainer, die jederzeit bereit sind, mir mit Tipps und Aufmunterung beizustehen.

Ach, Frau Doktor, was machen Sie im Fitness-Studio?

Nun reicht aber Gerätetraining nicht. Darum beschloss ich heroisch, mich noch in Gymnastikkursen zu quälen. „Ach, Frau Doktor, was machen Sie denn hier?“, wurde ich gleich beim ersten Pilates-Termin von einer Patientin gefragt. Was wohl? Ich versuchte, meinen Bauch auf extrem sportliche Weise einzuziehen! Immer wieder traf ich auf Patienten und musste damit leben lernen, dass sie mich angrinsten: „Nicht so einfach, was?“ Versuchen Sie doch mal, auf dem Bauch liegend mit Händen und Füßen zu paddeln, ohne dass Ihnen nach einer Weile der Rücken durchbricht! Ich stellte aber fest, dass gemeinsames Leiden verbindet. Statt Spott über mangelnde Dehnbarkeit erntete ich eher Respekt dafür, dass ich es nicht bei theoretischen Tipps beließ, sondern  mich selbst dem strengen Diktat der Fitnesstrainerinnen unterwarf.


Das Highlight meines Trainingstages aber war immer das angeschlossene Spaßbad, auf das man vom Crossstepper hinunterschaut. „Whale-Watching!“ hatte ich beim ersten Anblick spontan gedacht und mich gleich darauf heftig geschämt. Im warmen Wasser trieben Menschen, die schon lange keine zweistelligen Zahlen mehr auf ihrer Waage gesehen hatten. Aber immerhin gingen sie ins Wasser und „turnten“ oft sogar bei der kostenlosen Wassergymnastik mit. War das nicht weit besser, als mit einer Tüte Chips in der Sofaecke zu kauern? Erschreckend hingegen das Kinderbecken: Junge, dicke Frauen lagerten darin wie gestrandete Seelöwen, mächtig und bewegungslos, während ihre Kinder friedlich spielten. Was ist mit unseren jungen Leuten passiert?

Training in Gedanken intensivieren und Abendessen minimieren

Noch heute neige ich dazu, mein Training bei solchen Anblicken zu intensivieren und mein Abendessen in Gedanken zu minimieren – was ich nicht immer durchhalte. Aber auch ich dümpele nach dem Training gern bewegungslos im Sprudel von Solebad oder Whirlpool, im vollen Bewusstsein meiner überflüssigen Kilos und frage mich, ob oben auf dem Laufband ein Patient zum anderen sagt: „Schau mal, die Frau Doktor ist da unten! Wenn sie hier oben trainieren oder Bahnen schwimmen würde, statt im Whirlpool herumzulungern, täte das ihrer Figur eindeutig besser.“ Aber da muss ich durch. Immerhin war ich schon mal moppeliger und wer austeilt, muss auch einstecken können.

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