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Werden wir immer dümmer?

Aus der Redaktion Autor: Maria Fett

© MT
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Miesen Tag gehabt? Falls ja, tröstet Sie vielleicht der Gedanke, dass Sie vor 100 Jahren als hochbegabt gegolten hätten. Das ändert vermutlich nichts an Ihrer Laune, ist aber nicht einmal gelogen. Ein Kommentar.

Im Mittel stieg unsere Leistung in IQ-Tests jährlich um etwa 0,3 Punkte, von 100 Punkten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf 130 Punkte. Wer heute also zum Durchschnitt zählt, war einst ein Genie. Es gibt nur einen Haken: Wir werden wieder dümmer.

Dieses als „Flynn-Effekt“ bekannte Phänomen stagniert seit einigen Jahren. In Ländern wie Norwegen beispielsweise ist die Leistung in gängigen Intelligenztests sogar rückläufig, um rund zwei Punkte pro Jahrzehnt. Hierzulande geht’s nur teilweise bergab: Während sich unser räumliches Vorstellungsvermögen seit 1995 allmählich verabschiedet, kompensieren wir das mit besseren Leistungen in allgemeinen IQ- und Vokabelaufgaben. Eine Frage aber bleibt: Werden wir dümmer? Liegt der Gipfel der kognitiven Entwicklung bereits hinter uns?

Abseits populärwissenschaftlicher Erklärungsversuche lässt sich die Diskussion abkürzen, wenn man sich vor Augen hält, was Intelligenz eigentlich ist – und was dementsprechend IQ-Tests aussagen. Jakob Pietschnig, der an der Universität Wien den Flynn-Effekt erforscht, brachte es in einem Beitrag für detektor.fm auf den Punkt: „Grundsätzlich dienen IQ-Tests nicht dazu, zu bewerten, ob jemand ein besserer oder ein schlechterer Mensch ist. Man muss sie als das ansehen, was sie sind: als ein Mittel, um bestimmte kognitive Fähigkeiten zu quantifizieren.“

Intelligenz ist nichts anderes als ein psychologisches Konstrukt, das verschiedene kognitive Fähigkeiten verknüpft. „Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen“, meint der Persönlichkeitspsychologe Jens Asendorpf. Das Ergebnis wird stets in Relation zu einer repräsentativen Population gesetzt. Der Wert, den wir erreichen, gibt also lediglich an, wie weit wir vom Durchschnitt dieser einen Gruppe abweichen. Nicht mehr und nicht weniger.

Selbstverständlich ist es für forschungs- und manch alltagsrelevante Fragestellung wichtig, sich mit den Ursachen des Flynn- und Anti-Flynn-Effekts auseinanderzusetzen. Dabei sollte man sich jedoch stets vor Augen halten, dass ein niedrigerer Gesamt-IQ-Wert sicherlich nicht per se bedeutet, dass wir „dümmer“ geworden sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich lediglich eine von vielen kognitiven Fähigkeiten verändert.

Maria Fett
Medizinredakteurin Medical Tribune

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