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Wie eine Trauerübung Fröhlichkeit schenkt

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Vor einem Trauerkreis sprechen, vor Menschen, die mit den Verlust geliebter Personen überwinden müssen. Das erscheint als unglaublich belastende Aufgabe. Und doch wurde MT-Kolumnistin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann garade daduch in gute Stimmung versetzt.

Vom schmerzlichen Umgang mit der Trauer hieß der Vortrag, zu dem ich von einer mir schon lange bekannten Organisatorin eines Trauerkreises eingeladen wurde – allerdings nicht als Zuhörerin. Als Referentin!


Nun sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass ich mit der Organisatorin schon lange befreundet bin, sie immer ein offenes Ohr für mich hat(te). Und das bedeutete im Endeffekt: Ich konnte ihr diese Bitte nicht abschlagen. Neben allen positiven Effekten einer solchen Vortragsvorbereitung wie intensive Beschäftigung mit dem Thema, das Erinnern an Trauerfälle im eigenen Leben und deren Verarbeitung (trotz aller psychotherapeutischen Professionalität) bedeutet so ein Vortrag Stress – vor allem, wenn einem die Kunst des Auftritts nicht gerade in die Wiege gelegt wurde.


Über „Lampenfieber“-Symptome könnte ich ein Buch schreiben! Außerdem frisst die Vorbereitung Zeit, insbesondere Freizeit. Und auch die Möglichkeit, eigene Ideen und Gedanken einer größeren Anzahl von betroffenen Menschen nahezubringen und sich mit ihnen auszutauschen, senkte meinen Stresspegel nicht wirklich.


Kurzum: Ich hatte die recht selbstquälerische Aufgabe übernommen und musste wegen des starken Andrangs der Zuhörer in der Kirche des Klosters, in dem dieser Trauerkreis sich regelmäßig trifft, vom Ambo* aus mit Mikrofon sprechen. Beides, ungewohnter Ort und Mikro trugen nicht gerade zu meinem Wohlbefinden bei. Durch den akustischen Hall-Effekt in dem großen Raum musste ich außerdem viel langsamer sprechen, als es meinem Naturell entspricht. Anspannung pur!


Aber – es hat sich gelohnt! Während meines Vortrags war es nach den üblichen anfänglichen Kritiken: „Bitte sprechen Sie lauter ... leiser ...langsamer ...“ mucksmäuschenstill. Die meisten Zuhörer konnten sich auf die von mir vorgeschlagene, kleine Imaginationsübung einlassen. Und ich konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass viele von ihnen ergriffen und berührt waren. Manche weinten, bei diesem Thema ja nicht weiter überraschend.


Anschließend hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, sich untereinander und mit mir auszutauschen. Nach Überwinden der anfänglichen Scheu vor der unbekannten Frau Doktor erzählten sie mir von ihren Schicksalen: Da war die Mutter mit der völlig überforderten Lebensgefährtin des Sohnes, die beide dessen plötzlichen Tod vor ein paar Wochen noch kaum begriffen hatten. Außerdem hatten sie Angst, in finanzielle Nöte zu geraten, weil er der Verdiener gewesen war und die Lebensversicherung erst nach Abschluß der pathologischen oder rechtsmedizinischen Untersuchung zahlen würde – doch dieses Ergebnis ließ seit Wochen auf sich warten.


Da war die „mittelalterliche“ Frau, die bereits zwei Kinder durch Unfall verloren hatte. Nun war sie nicht mehr Mutter, sondern kinderlose Ehefrau mit der Perspektive, ohne Nachkommen alt werden zu müssen. Da war der kleine Mann in den Siebzigern, der mir unter Tränen berichtete, dass ihm das Leben ohne seine Ehefrau keinerlei Freude mehr machte. Auf meine Nachfrage, wann denn die Frau gestorben sei, meinte er: „Das ist schon fünf Jahre her.“


Da war die Hospizhelferin, die einen Teil ihrer Lebensgeschichte durch einen Nebensatz in meinem Vortrag begriffen hatte und noch ein paar spezielle Fragen an mich richtete – und später ganz nachdenklich nach Hause ging. Da war die junge Frau, die sich selbst nicht mehr verstand, weil der Tod ihrer Katze so viel mehr Trauer bei ihr auslöste als der Tod des Ehemannes vor einem Jahr.


Und da war meine gute Freundin, die einen ganz anderen Blick auf manch einen ihrer Schützlinge bekommen hatte und deren Seelenlage nun besser einschätzen konnte. Ja, ich gebe es gerne zu: Ich wurde reich belohnt durch das Vertrauen, durch die bewusst oder unbewusst gegebenen Rückmeldungen, die mir zeigten, dass vieles vom Inhalt meiner Botschaft angekommen war.


Und so paradox es klingt: Ich kehrte an jenem Abend fröhlich und dankbar von diesem Trauervortrag nach Hause zurück.


*Platz, wo die Lektoren aus der Bibel vorlesen

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