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Wie sich berufstätige Mütter oft übernehmen

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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Unsere Kolumnisten Cornelia Tauber-Bachmann über Marzipan, häusliche Pflege und die Ökonomisierung der Frau.

Vor ein paar Wochen war wieder einmal Muttertag – und bei aller Geschäftemacherei, dem Ärger darüber und der Kritik am „Konsumterror“ ist es für mich mal wieder ein Anlass über das Muttersein und die aktuellen Diskussionen nachzudenken. Zunächst sei jedoch zugegeben, dass ich es genieße, wenn eines (oder mehrere) meiner Kinder um die Ecke biegt mit einem verschmitzten Grinsen einen Blumenstrauß und ein Marzipanherz-Konfekt hinter dem Rücken versteckend. Klar finde ich es ziemlich kitschig, aber da ich Marzipan nun mal gerne esse, sehe ich großzügig über die kitschige Form hinweg!

Konservatives Familienbild als Grundlage für die Erfindung des Muttertags

Nun aber Spaß beiseite: Als berufstätige Mutter habe ich ein ambivalentes Verhältnis zum Muttertag. Natürlich wurde dieser Tag kreiert, als das konservative Familienmodell üblich war: ein Verdiener, der das Geld nach Hause bringt, meistens der Mann, und eine Person, die zuhause ohne Lohnerwerb arbeitet, meistens die Frau. Dieses Modell, so führende Arbeitssoziologen, war „für die Kapitalverwertung in Zeiten der Globalisierung“ zu teuer.

Und so war es ein Leichtes, unter dem Deckmantel, Frauen nicht weiter diskriminieren zu wollen, Vollzeittätigkeit und eigenverantwortliche Existenzsicherung von jeder und jedem zu fordern. Was ist nun der Preis dafür? Starker Termin- und Leistungsdruck, gerade für uns Frauen, Doppelbelas­tung durch berufliche Belastungen und familiäre Sorgeverpflichtungen. Eben all die Fürsorgearbeit.

So benötigen einerseits die Kinder Förderung und Fürsorge. Ich denke nur an die konstante Hausaufgabenbetreuung, weil Kinder häufig selbst schon früh einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt sind, dem sie auch innerlich standhalten müssen und der durch Gespräche, Sport und Spiel je nach Alter ausgeglichen werden sollte. Welches Kind schafft es schon, allein die Balance zu halten und anhaltend zu verschiedenen Arbeiten und zum Lernen motiviert zu sein?

Die Frauen leisten die Pflege in den Familien

Und gleichzeitig brauchen die immer älter werdenden Eltern und Schwiegereltern zunehmend Betreuung. 70 % der Pflege wird in den Familien geleistet. Und wer macht das? In den meisten Fällen in meinem Patienten- und auch Bekanntenkreis doch die Frauen! Ohne Entlohnung, unter Verzicht auf berufliche Karriere – oder zumindest unter Zurückschrauben der beruflichen Tätigkeit und des Gehalts auf eine Teilzeitbeschäftigung. Mit entsprechend weniger Rentenanspruch später.

Familienpolitik ist getarnte Wirtschaftspolitik

Nicht zu vergessen: der Verzicht auf die eigene Weiterbildung und den Erhalt der eigenen Gesundheit. Und was gleicht die Familienpolitik aus? Nach Ansicht von Gabriele Winkler, Professorin für Arbeitswissenschaft und „Gender Studies“ an der TU Hamburg-Harburg ist „Familienpolitik nichts anderes als versteckte Wirtschaftspolitik“. Alles wird der „heiligen Kuh Wirtschaftswachstum“ untergeordnet.

Kein Wunder, dass sich viele Arbeitnehmer und damit auch viele Frauen erschöpft fühlen und die Arbeitsunfähigkeiten und vorzeitigen Berentungen aufgrund psychischer Erkrankungen zunehmen. Angeblich sind, so Prof. Winkler, 17 % der Arbeitnehmer „aktiv unmotiviert“. Was das heißt, kann sich jede und jeder selbst ausmalen. Eine medizinische Fachangestellte mit solch einer Einstellung wäre für jede Praxis der Weg in den Ruin.

Ich denke, es werden sich erst Änderungen ergeben, wenn diese Fürsorgearbeit nicht mehr unsichtbar bleibt. Wenn sie entlohnt wird, wenn sogenannte personennahe Dienstleistungen besser bzw. überhaupt bezahlt werden. Wenn es differenzierte Entlastungsangebote gibt. Und wenn diese Arbeit nicht nur im innersten Familienkreis, sondern auch gesellschaftlich anerkannt wird. Und bis dahin finde ich den Muttertag wichtig – so werden zumindest einmal im Jahr diese Tätigkeiten ins Bewusstsein gerückt.

Also sollten wir ihn im nächsten Jahr wieder feiern – oder würde der 1. Mai als Tag der (unsichtbaren) Arbeit besser passen?

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