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Wie sich weiterbildende Ärzte vor Ausbeutungsvorwürfen schützen können

Interview Autor: Michael Reischmann

Die KV muss die Beweise liefern, bravo! Rechts: Rainer Kuhlen, Rechtsanwalt für Medizinrecht Vellmar.
Die KV muss die Beweise liefern, bravo! Rechts: Rainer Kuhlen, Rechtsanwalt für Medizinrecht Vellmar. © privat, fotolia/Fontanis
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Was ist von dem Urteil des Berliner Sozialgerichts, dem noch weitere Instanzen folgen können, zu halten? Der Rechtsanwalt und Facharzt für Medizinrecht Rainer Kuhlen aus Vellmar gibt eine Einschätzung.

Was sollte ein Praxisinhaber tun, um sich nicht dem Vorwurf der Vergrößerung der Kassenpraxis mithilfe eines Arztes in Weiterbildung (AiW) bzw. eines übergroßen Praxisumfangs – und damit dem Risiko einer Honorarkürzung – auszusetzen?
Kuhlen: Um einem solchen Vorwurf zu entgehen, sollte der weiterbildende Arzt dokumentieren, welche Leistungen der Weiterbildungsassistent tatsächlich erbracht hat und in welchem Umfang dieser von ihm angeleitet und überwacht wurde. Weiterhin sollte er vor der Beschäftigung eines Arztes in Weiterbildung überprüfen, wie groß sein Praxisumfang ist, und abschätzen, in welchem Ausmaß er durch den Assistenten seine Fallzahlen oder sein abgerechnetes Punktzahlvolumen erhöht. Der Vertragsarzt sollte auch bei der KV darauf drängen, dass sie ihm mit der Genehmigung des AiW schriftlich bestätigt, dass zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung kein übergroßer Praxisumfang vorliegt und dass die Praxis ihre Fallzahlen bzw. das Abrechnungsvolumen um bis zu 25 % erhöhen kann, ohne dass Honorar gekürzt wird.

Ärzte sind unterschiedlich fleißig und beliebt; Limitierungen am Fachgruppendurchschnitt wirken da wohl immer willkürlich.
Kuhlen: In seiner Pressemitteilung vom 11.10.2017 führt das Sozialgericht aus, dass die Gruppe der Haus­ärzte in Berlin nicht homogen sei, sodass ein übergroßer Praxisumfang nicht automatisch ab dem Doppelten des Fachgruppendurchschnitts gegeben sei. Das Gericht hat den Grenzwert erst bei 250 % angesetzt. Irgendwo muss eine Grenze gezogen werden, um Missbrauch entgegenwirken zu können. Sofern aber die Fachgruppe eines überprüften Arztes sehr inhomogen ist, sollte dieser versuchen, geltend zu machen, dass der Grenzwert oberhalb von 250 % angesetzt wird.

In der Pressemitteilung des Gerichts wird auch eine „Ausbeutung“ des Arztes in Weiterbildung erwähnt. Wann ist das der Fall?
Kuhlen: Von Ausbeutung könnte man sprechen, wenn die KV einem Arzt nachweist, dass er einen Weiterbildungsassistenten nur deshalb angestellt hat, um seine Kassenpraxis zu vergrößern oder seinen übergroßen Praxisumfang aufrechtzuerhalten. In dem Fall dürfte der AiW vom Praxisinhaber über Gebühr zeitlich in Anspruch genommen werden – wobei diesem Aufwand in der Regel auch keine adäquate Vergütung gegenübersteht. Der weiterbildende Arzt darf sich übrigens Leistungen des Assistenten nur dann zurechnen, wenn diese unter seiner persönlichen Anleitung erfolgen. Da der Weiterbildungsassistent als approbierter Arzt in der Lage sein muss, medizinische Leistungen selbstständig zu erbringen, reicht es aber aus, dass sich der Weiterbilder in der Nähe, also in der Praxis, befindet, um den AiW überwachen und um eingreifen zu können.

Für wie interessant halten Sie das Urteil des Berliner Sozialgerichts?
Kuhlen: Die Ausführungen, wonach erst bei 250 % über dem Fachgruppendurchschnitt ein übergroßer Praxisumfang vorliegt, sind nicht neu. Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts* aus 2010 ist von einem übergroßen Praxisumfang ab dem doppelten bzw. zweieinhalbfachen durchschnittlichen Umfang auszugehen. Zur verbotenen Praxisvergrößerung hat das BSG übrigens ausgeführt, dass eine unzulässige Praxisvergrößerung auch dann vorliegen kann, wenn der Fallzahlzuwachs unter den kritischen 25 % bleibt, das abgerechnete Punktzahlvolumen jedoch um mehr als 25 % steigt. Interessant ist, dass das Berliner Gericht der KV auferlegt, kausal zu beweisen, dass die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten dazu dient, einen übergroßen Praxisumfang aufrechtzuerhalten. Dieser Nachweis dürfte der KV – außer bei offensichtlichen Fällen – nur schwer gelingen. Insoweit ist das Urteil für die Ärzte sehr begrüßenswert. Endlich wird einmal der KV – und nicht, wie sonst zumeist, dem Arzt – die Beweislast für „nicht leicht nachzuweisende Praxisumstände“ auferlegt.

* BSG-Urteil vom 17.3.2010, Az.: B 6 KA 13/09

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