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Wieviel Notdienst braucht man eigentlich?

Autor: Dr. Frauke Höllering

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Kennen Sie das auch? Von der Sprechstunde sind Sie schnell in den KV-Notdienst gehechtet und dann komm kein einziger Patient. Wir sollten die "heilige Kuh" der ärztlichen Rundumversorgung endlich schlachten, meint MT-Kolumnistin Dr. Frauke Höllering.

Es war Spätherbst, es war Dienstag und dunkel. Draußen heulte der Sturm. Regen peitschte gegen die Praxisscheibe und ich beeilte mich, zügig durch die Abendsprechstunde zu kommen. Im nahen Krankenhaus wurde ich erwartet, um den kassenärztlichen Notdienst bis 22 Uhr zu übernehmen. Sicherheitshalber hatte ich eine Flasche Mineralwasser in die Aktentasche gesteckt, um notfalls gleich durchstarten zu können; man weiß ja nie, wie groß der Andrang in der Sprechstunde sein wird. Auf das Butterbrot allerdings hatte ich verzichtet; nicht nur, weil sich schon der erste Winterspeck an meine Hüften geschmuggelt hatte, sondern weil ich hoffte, doch noch zu Hause einen Happen essen zu können, bevor ich bis 22 Uhr wieder eingespannt werden sollte.


Punkt 18 Uhr meldete ich mich telefonisch bei der Notfallpraxis. Die MFA dort meinte, dass alles ruhig sei und ich ruhig nach der Sprechstunde in meiner Praxis nach Hause fahren sollte; sie würde mich benachrichtigen, wenn jemand käme. Um 19 Uhr war ich zu Hause, das Telefon schwieg. Nachdem ich sogar die Tagesschau gesehen hatte, rief ich um 20.15 Uhr wieder an: „Haben Sie vielleicht die falsche Telefonnummer? Treten sich bei Ihnen schon die Patienten auf die Füße?“ Die MFA lachte: „Nein, ich habe die richtige Nummer und hier ist kein Mensch! Ich rufe Sie an, wenn sich das ändert!“ Ich legte auf.

»Den ganzen Abend kommt kein Patient«

Immerhin war diese Notfallpraxis für einen Radius von 20 km zuständig; die Ruhe schien mir trügerisch. Ein gutes Buch vertrieb mir die Zeit; nur hin und wieder schaute ich zweifelnd auf die Uhr, bis um Punkt 22 Uhr das Telefon klingelte. „ Ich  bin’s“, sagte die MFA, „ich wollte ihnen nur eine gute Nacht wünschen. Es ist keiner gekommen, tut mir leid!“ „Mir tut es für Sie leid“, entgegnete ich, „denn Sie haben in einem fensterlosen Raum herumgesessen, während ich gemütlich auf dem Sofa lag!“ Sie lachte wieder. „Aber ich wurde dafür bezahlt“, sagte sie vergnügt.


Das brachte mich ins Nachdenken. Im letzten Jahr durfte ich monatlich 110 Euro für die Organisation des zentralen Notdienstes bezahlen, in diesem Jahr waren es schon 134 Euro. Dabei war unter der Woche eine überflüssige Notfallpraxis geschlossen worden, und man hatte auch den Fahrdienst reduziert – allerdings bemängelt, dass die von uns gefahrenen Kilometer nicht richtig abgerechnet wurden … (Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte rechnen Sie so ab, wie es vereinbart wurde, sonst zahlen wir bald 200 Euro monatlich!).


Wie viele Mediziner(innen) hatten an diesem unwirtlichen Abend vergeblich und für „taube Nüsse“ auf Patienten gewartet? Sind keine Patienten gekommen, weil keine krank geworden sind oder fühlten sich ihre Krankheiten weniger bedrohlich an, weil man keinen Hund vor die Tür jagen mochte? Hatte der Fahrdienst sich heiße Reifen gefahren, weil er mit Betteln und heillosen Übertreibungen ans Krankenbett durchaus mobiler Menschen gerufen wurde? Ich würde es niemals erfahren.


Es gibt, so erfuhr ich neulich, gerade in Großstädten Hausärzte, die keine Hausbesuche machen. Wie sich das mit dem Berufsbild vereinbart, möchte ich nicht sagen, aber wie die Patienten damit umgehen, weiß ich nun. Sie warten das Sprechstundenende ab und wenden sich dann an den Notfalldienst. Dadurch bekommt der Fahrdienst zu tun; ansonsten braucht man ihn eigentlich nicht. Ist nicht jeder, der nach Sprechstundenende einen Doktor braucht, so krank, dass er gleich ins Krankenhaus muss, oder so wenig krank, dass es noch bis zum nächsten Morgen Zeit hat? Was, außer Leichenschau und Zwangseinweisung, bleibt an wirklich sinnvollen Aufgaben für den Notfall-Fahrdienst?

»Rundumversorgung verschwendet doch nut Ärztegeld«

Wer, so grübelte ich weiter, braucht eigentlich wirklich den Abend-Praxisnotdienst? Insektenstiche, Rückenschmerzen, Magenprobleme, Bluthochdruck … Kann es nicht gelingen, für dererlei Beschwerden eine persönliche Hausapotheke zu verordnen, mit der man sich über die Stunden bis zum Morgen rettet? Müssen wir wirklich rund um die Uhr ärztliche Zuwendung zur Verfügung stellen, die oft gar nicht wirklich so aktuell benötigt wird?


Bei allen meinen Einsätzen, ob fahrend oder sitzend, hatte ich bei zirka 90 % der Fälle erkannt: Mit ein bisschen mehr Nachdenken bzw. Voraussicht wäre das nicht nötig gewesen. Schlachten wir doch die heilige Kuh „Rundumversorgung“, machen wir unseren Patienten medizinisch so fit, wie es unsere Eltern schon immer gewesen sind (ohne ärztlichen Rundumservice) und bieten wir Fahr- und Sitzdienste nur noch am Wochenende an. Mit diesem schönen Traum ging ich ins Bett und schlief wie ein Baby.

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