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Wir bleiben kollegial – jetzt erst recht!

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

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MT-Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner zu den Problemen des ärztlichen Miteinanders.

Liebe Kollegen, wie halten Sie es denn mit der Kollegialität? Diese grundsätzliche Frage an alle Fachgenossen, Partner, Gefährten, Kumpels, Mitspieler im Medizinbusiness sei einmal erlaubt. Denn in gefühlten achtzig Prozent beschließen sie ihre Arztbriefe mit dem Satz: „Mit freundlichen kollegialen Grüßen!“

Warum müssen kollegiale Grüße freundlich sein?

Das hört sich doch gut an! Ja aber, fragte schon mein Sohn im Grundschulalter sophistisch, warum müsst ihr denn das „freundlich“ extra dazuschreiben? Ich erklärte ihm damals etwas hilflos, man möchte so die Wertschätzung für den Adressaten besonders deutlich zum Ausdruck bringen. Natürlich sagte ich es in einfacheren Worten. Sodass ein Achtjähriger es verstehen sollte. Daraufhin fragte er, ob es auch unfreundliche kollegiale Grüße gebe. „Nein“, sagte ich, „ich glaube nicht.“ Aber Mediziner gehen lieber auf Nummer sicher. „Das verstehe ich nicht“, maulte er nach.


Vielleicht hilft ja jetzt der Plan einer Kollegenvereinigung dabei, sich besser zu verstehen. „Wir alle sind in der Ausbildung durch die Klinik-hierarchien geprägt und haben uns da durchgebissen; jetzt besteht die Gefahr, dass wir selber kleine Diktatoren werden könnten,“ fürchten diese Kollegen. (Höflich, wie sie sind, verwenden sie die Möglichkeitsform.) Um eben dies zu verhindern, wollen sie sich gegenseitig in den Sprechstunden besuchen. Beim Kollegen hospitieren, zugucken und hinterher darüber reden. Hört sich gar nicht schlecht an. Mit deutscher Gründlichkeit gibt es dafür Urkunden, den Titel „Hospitationspraxis“ und nach Möglichkeit Fortbildungspunkte.

Gute Kollegialität ist die beste Qualitätskontrolle

Ich drücke fest die Daumen, dass sie bei ihrer Hospitation beim Kollegen nicht zu häufig auf eigene Patienten treffen, was zweifelsohne der Fall sein wird, wenn sie die eigene Praxis zu sehr brachliegen lassen.


Aber vielleicht erschließt sich uns durch diese gut gemeinte Aktion der Begriff „kollegial“ ein bisschen besser, sodass wir nicht mehr jedes mal, wenn wir „kollegial“ meinen, „freundlich“ dazu schreiben müssen. Dreißig Allgemeinmediziner haben sich schon gefunden und das Ganze ist durchaus ausbaufähig bei ca. 60 000 Hausärzten in Deutschland (Fachärzte nicht mitgerechnet). Wenn wir uns bei der Gelegenheit gleich gegenseitig behandeln, werden wir vielleicht völlig unabhängig: Ein perpetuum mobile für Hausärzte unter sich, völlig ohne Patienten und Kassenärztliche Vereinigungen. Einen ganzen Tag, ein ganzes Leben – nur unter Kollegen! Welche Vorstellung.


Aber zurück zur schnöden Sachlichkeit. Es soll ja ehedem Berufsgruppen gegeben haben, die Kollegialität miteinander eher schwerfällig als leichtfüßig praktizierten. Wie sagte damals der Chefanästhesist über den Chefchirurgen nach einem spektakulärem Eingriff: „Wenn dem einmal etwas gelingt, kommt er gleich mit Bild in die Zeitung!“


Diese herzliche Form der Abneigung dürfte in einer Zeit, in der Kollegialität notwendigerweise geprägt wird von Teamarbeit und gegenseitigem Vertrauen zum Nutzen des Patienten, doch als Anekdote gelten. Die Arbeitsabläufe der verschiedenen Fachgruppen verzahnen sich immer mehr. Das System muss funktionieren wie eine Kühlkette. Damit der Patient nicht in eben einer solchen endet. Denn betroffen ist immer der anvertraute Kranke.


Gute Kollegialität aber ist die bes­te Qualitätskontrolle. Sie bedeutet Informationsweitergabe, sich verantwortlich fühlen, auch wenn ein anderer gerade zuständig ist.


Unter uns Selbstständigen ist Kollegialität vermutlich einfacher zu handeln. Man muss ja nicht den ganzen Tag mitsammen auskommen. (Verheiratete kennen dieses Naturgesetz.) Da geht es eher um gemeinsame Interessen, es ist Solidarität gefordert im Kampf gegen einen mutmaßlichen gemeinsamen Gegner, der sich Bürokratie, Regelungswahn und unzumutbare Arbeitsbedingungen schimpft. Doch nichts schweißt besser zusammen als ein gemeinsamer Gegner. Und daran gibt’s nach wie vor keinen Mangel.  Allein schon aus diesem Grund wird Kollegialität unter den Niedergelassenen nicht aussterben. Da mache ich mir keine Sorgen.

Nichts schweißt mehr zusammen als ein Gegner

Aber dennoch ist ein Paradigmenwechsel im Gange. Die nachwachsende Studentenschaft will immer weniger in die Einzelpraxis, immer mehr in Gemeinschaftspraxen oder medizinischen Versorgungszentren arbeiten. Selbstständig und gemeinsam, dieser Spagat sollte doch gelingen, mihilfe, ja, der Kollegialität. Zudem nimmt die Zahl der Praxisnetze permanent zu. Schleswig-Holstein ist das Land mit der größten Netzdichte. Zwischen Nord- und Ostsee haben sie bald mehr Praxis- als Fischernetze. Stadtnetze, Landnetze, Facharztnetze in Kiel, Lübeck, Wedel. Man liest von guter Zusammenarbeit und Kollegialität unter den Nordlichtern. Wir sind uns also immer mehr verbunden, liebe Kollegen.


Als ich übrigens das erste Mal als „Kollege“ angesprochen wurde, hat mich das ziemlich verunsichert. Es war als Medizinstudent im ersten klinischen Semester. Im vorklinischen Bereich war die Ausbildung damals noch nicht so patientenbezogen wie es jetzt selbstverständlich ist. In den klinischen Semestern änderte es sich grundlegend. Dazu kam der weiße Kittel, der zusammen mit den Kitteln anderer Studenten hinter dem Professor wie eine weiße Schleppe durch die Flure zog. Und als der Professor dann zu mir an einem Krankenbett sagte: „Herr Kollege”, dachte ich zunächst an eine Falle. Der will mich bestimmt mit einer gemeinen Frage reinlegen. Dabei meinte er doch nur: „Willkommen im Club!“ Er war schlicht und einfach kollegial. Ich empfand ihn dennoch als sehr freundlich!

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