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„Wir haben die Versorgung verbessert"

Interview Autor: Ruth Bahners

Medizin AG-Vorstand Dr. Winfried Leßmann über die Vorteile von Konzernstrukturen.
Medizin AG-Vorstand Dr. Winfried Leßmann über die Vorteile von Konzernstrukturen. © Med 360° Rheinland GmbH
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Der Deutsche Ärzte­tag warnte im Mai vor einem „Ausverkauf von Arztpraxen an gewinn­orientierte Konzerne“. Kritikern von medizinischen Großunternehmen hält der Chef der Med 360o AG, Dr. Winfried Leßmann, entgegen: „Wir schaffen Freiheiten.“ Der einst niedergelassene Radiologe hat aus der Praxis seines Vaters einen Konzern gemacht.

Was ist der Vorteil eines Unternehmens Ihrer Größe für die ambulante Versorgung?

Dr. Leßmann: In den letzten 30 Jahren sind bei stetig steigenden Kosten die Vergütungen weitgehend gleich geblieben (GOÄ) oder tendenziell gesunken (EBM). Möchte man die Leistungen für die Patienten aufrechterhalten oder verbessern, kommt man kaum umhin, die Produktivität zu erhöhen und die Kos­ten zu reduzieren.

Die Produktivität kann man bei einem größeren medizinischen Unternehmen vor allem dadurch erhöhen, dass man zwischen der tatsächlichen Patientenversorgung und den zunehmenden administrativen Verpflichtungen eine klare Aufgabenteilung herbeiführt. Bei uns heißt das, dass sich Ärzte und nicht-ärztliche Mitarbeiter auf ihre Kerntätigkeit, die Patientenversorgung, konzentrieren.

Auf der Kostenseite ergeben sich auch verbesserte Einkaufsbedingungen und günstigere Wartungskonditionen für die medizinischen Großgeräte.

An 45 Standorten in 24 Städten

Die Aktiengesellschaft Med 360o mit Sitz in Leverkusen versorgt nach eigenen Angaben mit mehr als 1500 Beschäftigten jährlich rund 600 000 Patienten an 45 Standorten in 24 Städten in Nordrhein-Westfalen. Anfang 2016 wurde das „Radiologische Netzwerk Rheinland“ in die Med 360o AG umgewandelt. Neben der Radiologie werden heute medizinische Leistungen in weiteren Fachgebieten angeboten u.a. in den Bereichen Strahlentherapie, Nuklearmedizin, Orthopädie und Neurologie. Mit der Fachklinik 360o gehört auch ein Krankenhaus zur Gruppe, zudem ist man Partner des bundesweiten Mammographie-Screening-Programms.

Was haben die Patienten von dieser Versorgungsform?

Dr. Leßmann: Die Sprechstundenzeiten konnten deutlich erweitert werden. In einem Unternehmen unserer Größe ist auch ein ganzjähriger Betrieb selbstverständlich. Früher hat der Radiologe vom konventionellen Röntgen über CT und MRT die Mammographie, die Kinder-Radiologie und die Neuro-Radiologie abgedeckt. Heute ist es möglich, dass sich unsere Ärzte auf Teilgebiete spezialisieren – hierdurch steigt die Qualität der Versorgung. Unser Unternehmen konnte die Verfügbarkeit radiologischer Leistungen im ambulanten Bereich erweitern, vor allem durch die Kombination mit stationärer radiologischer Versorgung an Krankenhäusern. Zudem haben sich uns kleinere radiologische Praxen angeschlossen. Sie sahen sich nicht mehr in der Lage, die Geräteinvestitionen, die eine Diagnostik auf hohem Niveau erfordert, aus eigener Kraft zu tätigen. Ein Großteil der angeschlossenen Praxen verfügte nicht über Kernspintomographie-Geräte. Durch die Kombination von ambulanter und stationärer Versorgung an Krankenhaus-Standorten festigen wir in Nordrhein die Grundstruktur für die ambulante Versorgung. Dies vor allem deshalb, weil sich die Refinanzierung nicht mehr ausschließlich aus dem ambulanten GKV- und PKV-Bereich ergeben muss, sondern zusätzlich entlastende Einnahmen über die stationäre Versorgung erzielt werden können. Kleinere Unternehmen sind oft nicht in der Lage, die mit dem Angebot einer stationären Versorgung erforderlichen zusätzlichen Leistungen wie etwa einen durchgehenden Bereitschaftsdienst zu gewährleisten.

Was ist der Vorteil für Ärzte, die in Ihrem Unternehmen angestellt sind und nicht als Inhaber in einer Praxis tätig sind?

Dr. Leßmann: Die meisten unserer Ärzte waren Mitglieder von Gemeinschaftspraxen, die bewusst den Weg in unsere Struktur gewählt haben. Sie haben oftmals bis zur Rente bei uns weitergearbeitet. Diese Ärzte sind in der Regel weiter „Unternehmer“ gewesen, da sie zu Anteilseignern am Unternehmen wurden. Ein Arzt kann selbst entscheiden, ob er seine Anteilseignerschaft als Aktionär, unabhängig von seiner Tätigkeit im Unternehmen, abgibt oder fortsetzt. Für den Fall des Ausscheidens aus dem Unternehmen ist es nicht nötig, die Aktien zu veräußern. Dies bedeutet auch, dass die Familie, etwa im Todesfall des Arztes, nicht auf sich allein gestellt ist und einen Nachfolger suchen muss. Darum kümmert sich das Unternehmen. Gleiches gilt bei Ausscheiden durch Beendigung des Berufslebens oder wenn man das Unternehmen verlassen möchte. Die Absicherung für Ärzte im Krankheitsfall ist auch kein Problem. Das Unternehmen kümmert sich um einen solchen Ausfall. Zudem ist es in Bereichen wie Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin schwieriger geworden, eine Bankenfinanzierung für Inves­titionen, zum Beispiel in Geräte-Ersatzinvestitionen, zu erhalten. Zumindest bedeutet dies für Mitglieder einer Gemeinschafts­praxis in Form einer GbR, dass jeder Arzt gesamtschuldnerisch für etwaige Bankverbindlichkeiten haftet – oft ein massives Hindernis für Reinvestitionen.

Stichwort persönliche Haftung. Die Risikobereitschaft und Übernahme von persönlicher Haftung ist bei der jüngeren Generation weniger ausgeprägt.

Dr. Leßmann: In unserem Unternehmen sind die Ärzte nicht verpflichtet, sich wirtschaftlich am Unternehmen zu beteiligen. Wir schaffen auf diesem Weg Freiheiten: Work-Life-Balance, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Während die Partnerinnen und Partner der Ärzte früher quasi zwangsweise in der Praxis aktiv waren, können die Lebensgefährten heute ihren Wünschen nachgehen.

Was sagen Sie zu dem Einwand, dass durch das Vordringen von Konzernen eine Ausdünnung der Versorgung in der Fläche droht?

Dr. Leßmann: Was ist tatsächlich passiert? Wir haben in Nordrhein die Versorgung kontinuierlich verbessert! Insbesondere strukturschwache Gebiete wie Radevormwald, Engelskirchen und Gummersbach wurden durch unser Engagement radiologisch besser versorgt. Wir haben moderne Strahlentherapie-Einrichtungen in Eschweiler, Wesseling, Solingen, Hilden, Remscheid und Düsseldorf geschaffen. Erst durch uns ist es in den letzten 20 Jahren möglich geworden, dass jeder Patient mit einer Tumorerkrankung eine deutlich bessere, wohnortnahe strahlentherapeutische Versorgung erhalten kann. Sicher gibt es noch den einen oder anderen Engpass bei kernspintomographischen Leistungen. Die Nachfrage ist zu groß. Doch wie groß wäre sie erst, wenn wir nicht ein flächendeckendes Netz in Nord­rhein mit heute knapp 40 Geräten an gut 30 Standorten geschaffen hätten? Dank der zentralen Terminvergabe über unser Service-Center können wir jederzeit den regionalen Versorgungsbedarf erkennen – und kurz- bis mittelfristig reagieren. Beispiel Bensberg: Hier haben wir zwei neue Kernspintomographen in Betrieb genommen, weil uns die Wartezeiten auf MRT-Untersuchungen noch immer zu lang waren – trotz eines bereits zusätzlich geschaffenen Angebots in Engelskirchen und Bergisch Gladbach. Auch in Leverkusen betreiben wir zwei neue Kernspintomographen. Da ist vieles im Fluss.

Kritiker fordern, die Zahl der MVZ eines Unternehmens zu begrenzen.

Dr. Leßmann: Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen. Auf welcher rechtlichen Grundlage überhaupt? Die Anzahl der Vertragsarztsitze ist über die Bedarfsplanung geregelt. In welcher Form die ärztliche Berufsausübung erfolgt, also ob in einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis oder in einem MVZ, das sollte keine Rolle spielen. Am Ende geht es doch ausschließlich darum, eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ gute medizinische Versorgung sicherzustellen.

Was sagen Sie zu der Befürchtung, ökonomische Interessen könnten die Medizin dominieren?

Dr. Leßmann: Ökonomische Interessen spielen seit jeher und in allen Berufen eine Rolle. Das gilt auch für die Medizin. Ob man eine Praxis, eine Pflegeeinrichtung oder ein Krankenhaus führt – man trägt die Verantwortung für die Patienten, aber eben auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Da ist es die Aufgabe, zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis zu erwirtschaften. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist das im ambulanten wie im stationären Bereich oft nur mit größten Anstrengungen möglich. Nicht die Rechtsformen definieren die ethischen und moralischen Grundsätze des Handels, sondern Menschen, die Verantwortung übernehmen. Ärzte in unserem Unternehmen können die Behandlung deutlich mehr nach medizinischen Gesichtspunkten ausrichten, da sie selbst keinen wirtschaftlichen Vorteil davon haben. Damit sind sie weit weniger von den wirtschaftlichen Dimensionen ihrer Tätigkeit abhängig, als dies bei unternehmerischer Eigenverantwortung der Fall wäre.
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