Anzeige

Wir haben uns längst an die Peitsche gewöhnt

Autor: Dr. Robert Oberpeilsteiner

Anzeige

Ist die Ärzteschaft zu alt und zurückhaltend geworden, um für Problemlösungen zu kämpfen? Unser Kolumnist Dr. Robert Oberpeilsteiner über das Problem der zunehmenden Müdigkeit innerhalb der Arztbranche.

Wann gab es den letzten echten Aufreger? Also – was ich damit meine – wann hatten wir den letzten Ärztestreik? Obwohl ich über mein Langzeitgedächtnis noch nicht klagen kann, erinnere ich mich nicht daran.

Ist wohl doch schon eine ganze Zeit her. Ich höre immer nur von Piloten, Kitas, Eisenbahnern. Zuletzt waren es Arbeitskämpfe bei den Flugbegleitern. Kann nämlich im Lufthansa-Jet kein Apfelsaft mehr ausgeschenkt werden, so bleiben die Flieger einfach am Boden.

Das ergibt Sinn. Irgendwo hat alles seine Grenzen. Aber – gilt das nicht bei uns auch? Damit wir uns jetzt bitte nicht falsch verstehen: Bei Gott, ich brauche keinen Aufstand der Ärzte. Ich will keine schlafenden Hunde (Pardon!) wecken.

Ich hatte mit solchen Aktionen immer eher ein Problem. Keiner sperrt seinen Patienten gerne die Tür vor der Nase zu. Aber mittlerweile herrscht mir eine doch allzu trügerische Ruhe. Dabei gäbe es, meiner Meinung nach, doch Probleme genug. Aber warum regt sich kaum einer mehr auf?

Eine mögliche Antwort fand ich kürzlich in einem Radiobeitrag. Es ging dabei um die Flüchtlingskrise. Worum sonst in unserer Zeit, dieser flüchtigen. Ein Firmenvertreter erläuterte den Zuhörern begeistert, dass sein Betrieb Traglufthallen in Bayern aufstellen werde.

Wir sind den Beschwichtigern auf den Leim gegangen

Er lobte diese schmucken Behelfsunterkünfte in den höchsten Tönen. Denn, und darauf kam es ihm besonders an, das Gemeinschaftsgefühl in so einem aufgeblasenen PVC-Sack sei etwas Einmaliges. Das mit dem PVC-Sack sagte er natürlich so nicht.

Das mit dem Gemeinschaftsgefühl war ihm hingegen sehr wichtig. Das Ganze kam so rüber, dass ich mich fragte, wofür brauchen wir eigentlich noch altmodische Wohnungen, wenn es dufte Säcke gibt?

Was ich sagen will – und damit zurück zum Thema –, wenn Probleme auftreten, werden sie mittlerweile mit klebriger Werbesauce zugeschüttet. Und von vielen von uns werden sie, wenn überhaupt, nur noch mit Zynismus zur Kenntnis genommen.

So meinte ein Kollege zum Problem der langen Wartezeiten auf einen Medizin-Studienplatz durch den Numerus clausus: „Die so lange durchhalten sind wenigstens motiviert.“ So kann man es natürlich auch sehen.

Ein anderes Beispiel: Vor einiger Zeit wurde in einer großen Tageszeitung berichtet, dass der Regress für uns Ärzte keine wirkliche Bedrohung mehr darstelle. So konnte es die werte Öffentlichkeit lesen.

Tatsache ist aber, dass mittlerweile  der Arzneimittelregress nicht mehr nur den Einzelnen betrifft. Wir werden jetzt sogar in Sippenhaft genommen. Kann die KV nämlich Regressansprüche beim Arzt nicht eintreiben, so wird die Krankenkasse sich an der Gesamtvergütung der KV-Mitglieder schadlos halten. Dies stellte das Bundessozialgericht in einem Musterverfahren fest.

Aber wen juckt das schon? Wir haben uns doch längst an die Peitsche gewöhnt. Vielleicht stärkt sie ja auch bei uns das Gemeinschaftsgefühl.

Es gab eine Zeit vot dem Imperium der Regularien

Noch ein Beispiel, bitte schön: Meine Software-Firma teilte mir per Fax im letzten November mit, dass sie die Praxissoftware über 2016 hinaus nicht mehr warten würde. Ein Wechsel ist unumgänglich, schreiben sie. Dazu brauche ich natürlich auch neue Hardware. Denn die bisherige kommt mit den Visionen der neuen Software nicht mehr klar.

Das Ganze hört sich im Werbe-Sprech dann so an: „Ein Wechsel bringt Ihnen Zeit, Geld, technologischen und ergonomischen Fortschritt.“ Tatsache ist aber, mich kostet er Geld, Zeit und technologischen Aufwand.

Mag ja sein, dass die Aufrüstung nötig ist, um den wachsenden Wust an Richtlinien und Arzneimittel-Datenbanken zu bewältigen (nur meine Sprechstundenhilfe schaut da rein, ich nehme lieber die Rote Liste), was ich bezweifle.

Aber Tatsache ist, dass wir schon lange nicht mehr mitbekommen, was hinter den Kulissen so vor sich geht. Es ist diese trügerische Ruhe, die das Ganze so gefährlich macht. Wir sind den Beschwichtigern auf den Leim gegangen. Wir tun nichts, weil es bequem ist, nichts zu tun.

Wir sind inzwischen so angepasst, so brav, dass Ärzte mittlerweile nicht einmal mehr in Krimis als Täter auftreten könnten. Glaubt uns doch keiner mehr, dass wir böse sein können. Und wer erinnert sich denn noch an Hoppenthaler und seine „Kampftruppen“ (Süddeutsche Zeitung)? War da mal was in Bayern?

Alles Schnee von gestern. Vielleicht ist das Ganze aber auch einfach Teil des Generationenwechsels. Möglicherweise empfinden jüngere Kollegen die Situation anders. Wir Älteren haben zwar kaum eine der anstehenden Aufgaben für die nächste Generation gelöst.

Aber wir haben wenigstens noch im Gedächtnis, dass es eine Zeit gab vor dem Imperium der Regularien. Vielleicht sind aber viele junge Ärzte einfach schlauer und daher haben wir heute die Probleme mit der Übergabe von Altpraxen.

Gleichzeitig nimmt der Pflegenotstand in Kliniken und Altersheimen weiter zu. Heute Morgen erst berichtete mir eine Altenpflegerin von ihrer Zehn-Stunden-Schicht, allein mit einer Pflegehelferin. Wollen wir das alles wirklich wissen?

„Die beste Hilfe ist Ruhe“, schrieb  Shakespeare. Aber viel besser passt hier ein anderer Satz von ihm: „Es ist etwas faul im Staate Dänemark.“

Anzeige