Anzeige

Wir Hausärzte sind aber auch wirklich „nie da“

Autor: Dr. Jörg Vogel

„Lieber Patient, wenn ich gewusst hätte, dass ausgerechnet Sie krank werden, hätte ich meinen Urlaub natürlich nicht angetreten!“ „Lieber Patient, wenn ich gewusst hätte, dass ausgerechnet Sie krank werden, hätte ich meinen Urlaub natürlich nicht angetreten!“ © iStock.com/onurdongel
Anzeige

Das Thema in unserer Praxiskolumne: "Zwei oder drei Wochen Urlaub? Das grenzt für viele an Körperverletzung durch Abwesenheit."

Wenn der Doktor Urlaub macht, ist das für die Patienten schwer. Sehr schwer! Falls das dann aber noch im Winter und mitten in der Grippezeit passiert, eine Katastrophe. Selbst wenn es nur für eine Woche ist. Dann müssen sie nämlich ihr Problem mal selber lösen – oder zur Vertretung strömen. Beides mögen sie gar nicht.

Zwar können die Zeitungen seitenweise Artikel zum Thema Erkältung bringen, doch ohne Doktor wird das nichts. Wer soll denn die Arbeitsunfähigkeit bescheinigen für die nächsten ein bis zwei Wochen? Also ab zur Vertretung. Dort ist aber schon durch die eigenen Patienten Land unter. Lange Wartezeiten, überfordertes Personal, die Möglichkeit, sich mit noch etwas viel Schlimmerem anzustecken ...

Auch im Frühjahr kann so ein Hausarzt eigentlich nicht in den Urlaub fahren. „Rücken“ allerorten. Der Wunsch, bis zum Sommer ganz schnell abzunehmen, und dann natürlich die Pollenallergie – furchtbar ist das! Na ja und im Sommer? Wenn generell schon so wenig Ärzte da sind? Da geht es nun gar nicht, dass sich der eigene auch noch verdünnisiert. Möglicherweise sogar gleich für zwei oder drei Wochen! Das grenzt ja an Körperverletzung durch Abwesenheit.

Im Herbst jedoch ist die tägliche Präsenz des Leibarztes ein Muss. Grippeimpfungen und erste Erkältungen, insbesondere bei jugendlichen Berufsanfängern, die sich so gar nicht auf das Ende der Ferien gefreut haben. Und wieder „Rücken“ wegen der Wechseljahreszeit. Dann die unbedingt noch kurz vor Jahresende zu erledigende Check-up-Untersuchung, um den Bonus der Krankenkasse nicht zu verpassen.

Meine ironischen Infozettel kamen nicht so gut an

Eigentlich hat so ein Hausarzt überhaupt keinen Urlaub zu machen. Deshalb wird er, falls er es doch wagt, gleich nach seiner Rückkehr erst mal zur Brust genommen: „Immer, wenn ich krank bin, sind Sie nicht da!“, schimpft Frau Meier. Und nicht nur sie. Vor einigen Jahren habe ich in meiner Praxis mal Zettel verteilt, auf denen stand: „Lieber Patient, wenn ich gewusst hätte, dass ausgerechnet Sie krank werden, hätte ich meinen Urlaub natürlich nicht angetreten!“ Dann saßen die Leute offenen Mundes vor mir und staunten. Aber die darauf folgende Diskussion – eine Mischung aus Entschuldigung und Anklage – kos­tete so viel Zeit, dass ich das Ganze schnell wieder bleiben ließ.

Heute sage ich mir: „Sei Profi! Steh drüber! Der oder die beruhigt sich auch wieder.“ Und trotzdem nagt es an mir. Gerade in einer Grippewelle schreibe ich jeden Dödel mindestens für eine Woche arbeitsunfähig. Schon, damit er die anderen nicht ansteckt. Wenn das an einem Montag passiert, bekomme ich oft die Aufforderung: „Aber dann bitte gleich bis einschließlich nächstes Wochenende! Sonst müsste ich ja dann schon wieder gehen ...“

Das heißt, so ziemlich jeder Patient beansprucht für sich einen möglichst großen Schluck aus der Pulle. Er weiß trotz meiner eingeleiteten ärztlichen Behandlung schon jetzt, dass er mindestens sieben volle Tage zu Hause bleiben muss. Am besten eher zehn Tage, „dann ist die nächste Woche nicht gleich so lang“.

Und ich sitze auf der Anklagebank, wenn ich mich selbst mal für eine Woche aus dem Stress herausnehme? Ohne Lohnausgleich durch Krankenkasse und Arbeitgeber? Mit dem Damoklesschwert der doppelten Patientenanzahl am Montag nach der Wiederkehr. Und trotz allem noch mit einem schlechten Gewissen, weil ich in der Grippezeit gefehlt habe und der arme Vertretungsdoktor sich hundertfach diesen einen Satz anhören musste: „Mein Hausarzt? Der ist doch nie da, wenn ich mal krank bin!“ Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Deutschen ganz schön verwöhnt sind. Jedenfalls, was das Gesundheitswesen angeht. An mir kann es jedoch nicht liegen. Ich bin ja „nie da“.

Anzeige