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Wissen auffrischen im Präpsaal statt der Praxis

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

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"Back to the Roots" - zurück an der Uni. Was sich dort getan hat und was man heute noch lernen kann, resümiert MT-Kolumnistin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann.

Kürzlich war ich bei meinen medizinischen Wurzeln. An meiner alten Uni. Nein, nicht anlässlich einer Tagung in den Hörsälen und Seminarräumen des damals supermodernen Klinikums, sondern bei viel tieferen und älteren Wurzeln – den vorklinischen. Ich war wieder in der alten Anatomie!


Die Gelegenheit zur Besichtigung war ein Zufall, hatte erst mal gar nichts mit Medizin zu tun. Aber wie es Albert Schweitzer so heiter und tiefgründig formuliert hat: „Zufall ist das Pseudonym, das der liebe Gott wählt, wenn er inkognito bleiben will.“


Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, nach 35 Jahren wieder das altehrwürdige Gebäude zu betreten. Das über 100 Jahre alte Haus wird seit einigen Jahren nach und nach renoviert und der Gesamteindruck schien durch farbige Bauzäune irgendwie verändert. Und auch im Eingangsbereich kam mir alles viel heller vor, als ich es in Erinnerung hatte. Vielleicht waren es seinerzeit nur die frühen Vorlesungstermine gewesen, die meinen Blick morgendlich getrübt hatten?

»Wissen die heutigen Studenten eigentlich, wie gut es ihnen geht?«

Wir schritten also die breite Treppe hinauf, diesmal Stufe um Stufe. Nicht wie früher im Laufschritt, zwei Stufen auf einmal, knapp vor Vorlesungsbeginn. Die Kassettendecke im Treppenhaus hatte durch die liebevolle Renovierung wie ursprünglich frisch blaue Farbquadrate – nicht mehr dunkelgraue wie „zu meiner Zeit“.


Als der Gruppenleiter hörte, dass ich hier studiert hatte, ließ er es sich nicht nehmen, uns nicht nur, wie beabsichtigt, die anatomische Sammlung zu zeigen, sondern führte uns auch durch das gesamte Haus. Die schmale Treppe in den zweiten Stock, über die man auch nach Vorlesungsbeginn ohne groß aufzufallen in die hinteren Ränge gelangen konnte, fand ich nicht mehr. Aber wir durften den modernisierten Wasch- und Umkleideraum sehen.


Zwar im alten Stil, aber mit fußpedalbetriebener Wasserregulation, die Spinde schienen erneuert und mit Sicherheitsschlössern versehen. Der Präpariersaal war schon für den Kurs im nahen Wintersemester vorbereitet und ich bewunderte die riesigen Leitungen an der Decke. Man hatte eine Abluftanlage installiert. Und jetzt wusste ich auch, was mir fehlte: der leichte Geruch nach Formalin, der damals im ganzen Gebäude vorherrschte. Ja, wissen die heutigen Studenten überhaupt, wie gut es ihnen geht?


Und dann der Hörsaal. Ich setzte mich in eine der Reihen – wie damals. Und plötzlich waren sie alle wieder da! Der große Professor, der unten am Pult mit wohlbedachten Worten die Vorlesung hielt. Die schmale Blonde mit der dunklen Brille, die stets in der ersten Reihe saß und alles mitschrieb. Die lebenslustige Brünette mit den Locken, die immer von einer Schar Verehrern umringt war.

»Wenn der alte Schädel im Krimi mitspielt«

Der Trupp „älterer Herren“, die ihren Studienplatz erst nach einigen Jahren Wartezeit bekommen hatten und gelegentlich lautstark diskutierten. Ja – und meine damalige beste Freundin, die so bewundernswert systematisch lernen und arbeiten konnte, für mehrere Rucksackreisen in den Semesterferien meine Reisekameradin war und viel zu jung und schnell aus dieser Welt scheiden musste.


Ein Trupp von Studenten, der den Hörsaal für eine Versammlung am Abend vorbereiten wollte und mittels der neuen Kamera- und Computeranlage ein „Tom und Jerry“-Video auf die Leinwand projizierte, unterbrach meine sentimentalen Erinnerungen. Zu meiner Studienzeit arbeiteten die Professoren mit Dias, da konnte solch eine Unterhaltung als Begleitung zur Arbeit nicht geboten werden.


Dann die anatomische Sammlung! Zu meinen Studienzeiten war sie muffig, dunkel und völlig unsortiert gewesen. Nun sind die Exponate in großen Glasvitrinen, nach Themen geordnet und gut beleuchtet, aufgestellt. Ein wahres Vergnügen, sie zu betrachten und einiges an Wissen (wieder) aufzufrischen. Besonders beeindruckend: ein riesiger Schädel, aus Holz geschnitzt und zerlegbar, der früher in den Vorlesungen verwendet wurde und laut unserem Gruppenführer schon in mehreren Fernsehkrimis mitgespielt hat.


Besonders begeistert hat mich allerdings die Abteilung „Anatomie und Bildgebung“. Da waren Schädel-MRT-Bilder neben den entsprechend geschnittenen anatomischen Präparaten ausgestellt, ebenso jeweils relevante CT-Bilder von Thorax und Abdomen. Für jemanden wie mich, zu dessen Studienzeiten diese Verfahren noch nicht etabliert waren, geradezu eine Fundgrube an Wissen und eine tolle Schulung für den Blick. Da war ich bestimmt nicht zum letzten Mal.


„Back to the roots“ – zu den Grundlagen der medizinischen Ausbildung! Das ist auch oder gerade  nach so vielen Jahren in der Praxis noch gewinnbringend und sinnvoll.

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