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Ambulant vor stationär – wenn es sich lohnt

Autor: Michael Reischmann, Foto: fotolia/Marco2811

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Dass es in Metropolregionen wie Hamburg eine vertragsärztliche Überversorgung gibt, die mit dem Aufkauf von Arztsitzen gar abgebaut werden müsste, hält de Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Dr. rer. pol. Dominik Graf von Stillfried, für einen „Mythos“.

 

Nicht nur, dass ca. 30 % der in Hamburger Praxen und Krankenhäusern versorgten Patienten in anderen Bundesländern (v.a. Schleswig-Holstein und Niedersachsen) wohnen. Es gibt auch mehrere Studien, die auf einen Substitutionseffekt hinweisen: Überdurchschnittliche ambulante Fallzahlen korrelieren mit unterdurchschnittlichen stationären Fallzahlen – und umgekehrt.

Das ZI hat sich die Landkreise und kreisfreien Städte im Land angeschaut. Die 21 Regionen (= 5 %) mit der geringsten stationären Inanspruchnahmerate, bei gleichzeitig mindestens durchschnittlicher ambulanter Nutzung, definiert das ZI als „Best-Practice-Regionen“. Dazu gehören Städte wie Berlin, Hamburg und München, aber auch Oldenburg, Ammerland und Bad Doberan.

Würden alle Regionen in Deutschland bis zum Jahr 2020 einen Ausschöpfungsgrad des ambulanten Potenzials schaffen wie diese 21, dann würde das den demografisch bedingten Ausgabenanstieg von vier auf zwei Mrd. Euro halbieren, hat das ZI ausgerechnet.

Kein finanzieller Anreiz, noch mehr ambulant zu leisten

Doch wie lassen sich mehr ambulante Leistungen finanzieren? Die Krankenkassen wären zwar an einer weiteren „Ambulantisierung“ interessiert – aber nur wenn im Gegenzug die stationären Ausgaben sinken würden, was sie jedoch nicht tun.

Klinikvertreter wiederum beklagen eine bereits bestehende Unterfinanzierung. Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburger Krankenhausgesellschaft, spricht von einem „leistungsfeindlichen Vergütungssystem“, das die Häuser zu Budget-„Punktlandungen“ dränge.

Die hohe Facharztdichte der Hansestadt führe dazu, dass sich in den Kliniken die schweren Fälle konzentrierten. Die Ärztin erinnert auch an die Vorreiterrolle des stationären Sektors bei der Erprobung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.

In jeder KV-Region übersteigt der abgerechnete Leistungsbedarf die als notwendig vereinbarte Leis­tungsmenge; in Hamburg ist dies allerdings besonders krass, stellt ZI-Geschäftsführer Dr. von Stillfried fest: 19 % der Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung werden nicht bezahlt. Ohne eine „prospektive Mengenvereinbarung“ mit den Kassen, so der Volkswirt, gibt es keinen finanziellen Anreiz für die Niedergelassenen, noch mehr ambulant zu tun.

Beispiel Wundpflege: Tele-Konsultation der Spezialisten

Dass sich mit Gesundheitszentren anstelle von Einzelpraxen oder „Pay for Performance“-Modellen die Versorgung verbessern lässt, habe sich in Großbritannien nicht bestätigt, dämpft Professor Dr. Hendrik van den Bussche die Hoffnung von Gesundheitsökonomen.

Der Direktor i.R. des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) empfiehlt, sich auf bestimmte Krankheitsbilder zu konzentrieren und dort mit kontrollierten Maßnahmen, wie etwa einem besseren Entlassmanagement, Behandlungspfaden und dem Einsatz spezialisierter, nicht ärztlicher Kräfte vermeidbare Klinikfälle ambulant zu versorgen. Neben der Qualifikation sei auf die Motivation der Beteiligten zu achten. Der Hausarzt, so Prof. van den Bussches Credo, wird jedenfalls überall gebraucht.

Einen Ausblick, wohin sich ambulante Versorgungskonzepte entwickeln könnten, gibt Professor Dr. Matthias Augustin, Direktor des UKE-Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Beispiel der telemedizinisch unterstützten Wundversorgung. Das UKE-Wundzentrum steht im „Wundnetz Hamburg und Umland“ zur täglichen digitalen Visite bereit. Per Tele-Consulting können Digitalaufnahmen von schwer heilenden Wunden mit den Ärzten oder Pflegekräften vor Ort besprochen und bei Bedarf eine ambulante Vorstellung oder stationäre Aufnahme vereinbart werden.

In telemedizinischen Leistungen fürs Umland sieht ZI-Wissenschaftler Dr. von Stillfried eine interessante Perspektive für Hamburg. KV-Vize und Allgemeinarzt Dr. Stephan Hofmeister ergänzt, dass sich noch gar nicht abschätzen lässt, was in den nächsten 15 Jahren durch „Dr. Google“ und Self-Monitoring-Systeme auf die Ärzte zukommen wird.

Ein konkretes Versorgungsforschungsprojekt, das die KV Hamburg gemeinsam mit dem ZI und anderen Partnern verfolgt, betrifft die „Selbsteinweisungen“: Viele Bürger steuern für ihre gesundheitliche Versorgung direkt die Notfallambulanzen der Kliniken an und werden z.T. stationär aufgenommen.

"Wir können Versorgungsforschung“, sagt Hamburgs KV-Chef Walter Plassmann und erinnert an die Wegeanalyse zur Bedarfsplanung. Die KV würde gerne noch mehr forschen und Erkenntnisse anwenden, um z.B. Mitglieder zu beraten. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) setzt sich dafür ein, dass mit dem geplanten eHealth-Gesetz im Sinne der KV eine Rechtsgrundlage für Datenzusammenführungen geschaffen wird.

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