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Die Gefahr des neuen EBM: Rückkehr von Prüforgien in großen Hausarztpraxen?

Autor: Anke Thomas, Foto: thinkstock

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Mit dem neuen Hausarzt-EBM zum wird es zu Umschichtungen kommen, ohne dass mehr Geld - abgesehen von den 125 Mio. Euro für neue geriatrische, palliativmedizinische und päd­iatrische Leistungen - ins System kommt. Hier eine erste Analyse von Dr. Gerd. W. Zimmermann.

Eine gute Nachricht gibt es für Gemeinschaftspraxen, die nicht nur einen Aufschlag von 22,5 % auf die Versichertenpauschale erhalten, sondern, so Dr. Zimmermann, auch noch ein fetteres Budget von 45 Pkt. pro Fall und pro Arzt bei der aus der Versichertenpauschale ausgeglie­derten Gesprächsleistung.

Die neuen altersabhängigen Versichertenpauschalen sehen folgendermaßen aus:

  • bis zum vollendeten 4. Lebensjahr: 236 Punkte (23,50 Euro),

  • ab Beginn des 5. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr: 150 Punkte (15 Euro),

  • ab Beginn des 19. bis zum vollendeten 54. Lebensjahr: 122 Punkte (12,20 Euro),

  • ab Beginn des 55. bis zum vollendeten 75. Lebensjahr: 157 Punkte (15,70 Euro),

  • ab Beginn des 76. Lebensjahres: 210 Punkte (21,10 Euro).

Wem diese Punktzahlen zu niedrig vorkommen, der sollte berücksichtigen, dass einerseits im Rahmen der Anpassung des Orientierungspunktwertes an den neuen Kalkulationspunktwert von 10 Cent eine kostenneutrale Absenkung erfolgte und Leistungen (z. B. Nr. 03040 = Zusatzpauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrages [140 Punkte = 14 Euro], Nr. 03230 = problemorientiertes ärztliches Gespräch im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung [90 Punkte = 9 Euro]) aus der Versichertenpauschale herausgenommen wurden.

Praxen mit überwiegend älterem Klientel gewinnen

Vorwiegend Praxen, die viele ältere Leute behandeln, werden zu den Gewinnern des neuen EBM zählen, ohne viel dafür tun zu müssen, sagt Dr. Zimmermann. Das könnte vor allen Dingen in den neuen Bundesländern der Fall sein, denen junge Leute zunehmend den Rücken kehren und in denen die Hausärzte ein durchschnittlich älteres Publikum versorgen müssen. Im Umkehrschluss wird es in der Summe weniger für Praxen mit überwiegend jungem Klientel geben.

Ein ärgerlicher Knackpunkt ist z. B., dass ein hausärztliches Gespräch von 10 Minuten in der Versichertenpauschale fakultativ enthalten ist. Das Extragespräch mit der Nr. 03230 kann deshalb nur neben der Versichertenpauschale abgerechnet werden, wenn der Arzt mindestens 20 Minuten mit dem Patienten über eine lebensverändernde (!) Erkrankung spricht.

Gespräche: Hier droht die Plausibilitätsprüfung!

Allerdings kann die Nr. 03230 mehrfach bzw. je vollendete 10 Minuten angesetzt werden. Da diese Zeiten auch in das Tagesprofil eingehen, könnten neue Plausibilitäts-Prüforgien auf die Ärzte zukommen, warnt Dr. Zimmermann, der hier eine Rückkehr zum EBM vor 2008 erkennt. Gespräche sollten also möglichst nicht beim ersten Praxisbesuch, sondern an anderen Tagen durchgeführt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass, wenn der Arzt diagnostische oder therapeutische Ziffern neben dem Gespräch abrechnet, weil er z. B. ein Belastungs-EKG oder eine Sonographie durchgeführt hat, eine mindestens zehn Minuten längere Arzt-Patienten-Kontaktzeit in das Zeitprofil eingeht. Damit steigt die Gefahr, in eine Plausibilitätsprüfung hineinzurutschen, nochmals an. Dass die Nr. 03230 auch bei unmittelbarem Kontakt (z. B. mit Bezugsperson) abgerechnet  werden kann, wertet Dr. Zimmermann positiv. Aber auch hier gibt es eine Kehrseite: Vorsicht Plausibilität!

Die „atypisch“ tätigen Hausärzte müssen, wie bereits angekündigt, auf die hausärztliche Grundpauschale Nr. 03040 verzichten. Das betrifft die Phlebologie (EBM-Abschnitt 30.5), die Schmerztherapie (EBM-Abschnitt 30.7), die Schlafstörungsdiagnostik (EBM-Abschnitt 30.9) und psychotherapeutische Leistungen nach den EBM Nrn. 3511 bis 35112, 35120, 35130, 35131, 35140 bis 35142 und 35150 sowie der EBM-Abschnitt 35.2.

Dokumentieren, wer vorher den Chroniker betreut hat

Bei der Behandlung von Chronikern gibt es teuflische Details, erklärt Dr. Zimmermann. Folgende Kriterien müssen erfüllt sein, damit der Arzt die Zuschläge erhält:

  1. Es muss mindestens eine lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung vorliegen und

  2. eine kontinuierliche ärztliche Behandlung und Betreuung des Patienten ist notwendig.

Eine kontinuierliche ärztliche Behandlung liegt dabei dann vor, wenn im Zeitraum der letzten vier Quartale wegen derselben chronischen Erkrankung  jeweils mindestens ein Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat. Neu ist, dass drei davon in derselben Praxis stattgefunden haben müssen. Und weil es komplizierter noch schöner ist: Mindestens zwei der drei Kontakte müssen dabei persönlich erfolgen, dabei reicht auch ein mittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt.

Hier die neuen Zuschläge in Kürze:


Nr. 03220 - Zuschlag zu der Versichertenpauschale nach Nr. 03000 zur Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung: 130 Punkte (= 13 Euro) einmal im Behandlungsfall.


Nr. 03221 Zuschlag zu der Versichertenpauschale nach Nr. 03000 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung. Um den Zuschlag zu erhalten, sind mindes­tens zwei Arzt-Patienten-Kontakte erforderlich. Außerdem müssen Maßnahmen der leitliniengestützten Behandlung überprüft und/oder angepasst und/oder eingeleitet werden. Dafür gibt es 150 Punkte (= 15 Euro) einmal im Behandlungsfall.

Als einen Hammer empfindet Dr. Zimmermann, dass eine kontinuierliche ärztliche Behandlung auch dann vorliegen kann, wenn der Patient mit mindestens einer lebensverändernden Erkrankung seinen betreuenden Hausarzt gewechselt hat. Dann aber ist der weiterbehandelnde Hausarzt verpflichtet, den Patienten nach seinem Vorgänger zu fragen und das auch zu dokumentieren. Zusätzlich ist der Hausarzt verpflichtet, diese Dokumentation mit der Abrechnung einer kodierten Zusatznummer nachzuweisen.

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