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TK-Innovationsreport kritisiert AMNOG, Industrie und Ärzte

Autor: Cornelia Kolbeck, Foto: thinkstock

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Das Arzneimittelmarkt-neuordnungsgesetz (AMNOG) verfehlt sein Ziel auch im vierten Jahr deutlich. Zu diesem Fazit kommt der dritte Innovationsreport der Techniker Krankenkasse.

Professor Dr. Gerd Glaeske und Wissenschaftler der Universität Bremen stellen im Innovationsreport 2015 klar, dass im letzten Jahr von den geplanten Einsparungen bei Arzneimittelverordnungen in Höhe von zwei Milliarden Euro nur 320 Millionen erreicht wurden.

Vor allem die frühe Nutzenbewertung bleibt „qualitativ hinter den Erwartungen zurück“, heißt es im Report. Von den 20 Präparaten, die im Jahr 2012 auf den Markt kamen, seien nur zwölf vollständig bewertet. Bei den übrigen Präparaten sei das zu erwartende Verordnungsvolumen zu gering gewesen, die Präparate seien nicht zulasten der GKV erstattungsfähig oder es handele sich um Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen.

„Wenn das AMNOG endlich in der Arztpraxis ankommen und eine echte Entscheidungshilfe sein soll, müssen ausnahmslos alle neuen Arzneimittel auf ihren patientenrelevanten Zusatznutzen bewertet werden“, ist Prof. Glaeske überzeugt. Bewertet wurden von den Autoren des Forschungszentrums Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) alle neuen Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen des Jahres 2012 nach ihrem Zusatznutzen.

Alle neuen Arzneimittel gehören auf den Prüfstand

Sie stützen sich dabei auf Literaturrecherchen. Eine Ampel veranschaulicht das Ergebnis. Nur einmal zeigt sie „grün“ (innovativ), beim Hautkrebsmedikament Vemurafenib. Sieben Mal zeigt die Ampel gelb (begrenzt innovativ) und sogar zwölf Mal rot (nicht innovativ), weil medikamentöse Alternativen bereits auf dem Markt zur Verfügung stehen oder für die Patienten aus Sicht von Prof. Glaeske und seinen Mitarbeitern kein bedeutsamer therapeutischer Fortschritt erkennbar war.


Die ostdeutschen Bundesländer, außer Berlin und Brandenburg, sowie das Saarland liegen bei der Verordnung der „roten“ Medikamente an der Spitze, so Prof. Glaeske weiter. Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nord­rhein-Westfalen hätten die niedrigste Verordnungsrate.

Bilanz des Reports ist „ernüchternd“

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, bezeichnet die Bilanz des Innovationsreports als „ernüchternd“. Er führt an, dass fünf der 2012 zugelassenen Wirkstoffe Orphan Drugs und neun Krebsmedikamente waren. Der Experte kritisiert, dass sich pharmazeutische Unternehmer zunehmend in lukrativen Geschäftsfeldern mit zu Recht kritisierten beschleunigten Zulassungsverfahren positionieren. Mit Bezeichnungen wie „Durchbruchinnovation“ würden dann bei Patienten sowie Ärzten Erwartungen an einen großen therapeutischen Fortschritt geweckt. „Leider häufig zu Unrecht“, so Prof. Ludwig.


Bei der Zulassung sollte deshalb mehr Wert gelegt werden auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu patientenrelevanten Endpunkten sowie auf Vergleichsstudien mit therapeutischen Alternativen.

Häufig werden zu Unrecht große Erwartungen geweckt

Bemerkenswert ist für den TK-Vorstandschef Dr. Jens Baas, dass zwölf der 20 Wirkstoffe bereits Eingang in Leitlinien gefunden haben, obwohl sie aus seiner Sicht nicht alle durch einen Zusatznutzen oder durch therapeutische Vorteile überzeugen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine Doc-Check-Umfrage im Auftrag der TK. Nach dieser stützen sich Ärzte bei Verordnungsentscheidungen eher auf Leitlinien (30 % der Befragten) als auf die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung (15 %).

„Um ein ernstzunehmendes Gegengewicht zum Pharmamarketing bilden zu können, müssen die Ergebnisse des AMNOG-Prozesses verbindlich in die medizinischen Leitlinien implementiert werden“, fordert Baas.

Kritik am Innovationsreport kommt von der Pharmaindustrie. Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) bezeichnet es als „vollkommen irrational und unverständlich, wenn die offiziellen Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem die Kassen eine dominierende Stellung haben, von einzelnen Krankenkassen durch eigene, isolierte und abweichende Bewertungen ersetzt werden“.

Dominierende Stellung der Krankenkassen ist kritisch

Fischer weist zudem darauf hin, dass manche Kassenärztlichen Vereinigungen mit pauschalen Verordnungsquoten die Verschreibung von Medikamenten mit Zusatznutzen begrenzen und manche Krankenkassen Prämien bei der Verschreibung von Medikamenten mit niedrigerem Zusatznutzen gewähren. Auch gebe es „Fälle, in denen die Praxissoftware bei der Verordnung von Arzneimitteln mit Zusatznutzen ,rot‘ zeigt und die Ärzte auf eine ,grüne‘ Alternative leitet, die laut G-BA-Beschluss aber schlechter ist“.

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