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Das Entwickeln von Medizin-Apps ist komplex, langwierig und teuer

e-Health , Apps und Internet Autor: Cornelia Kolbeck

Eine App, die medizinische Unterstützung verspricht, muss das auch leisten können. Rechts: Dr. Markus Müschenich, CEO F.H. Incubator GmbH. 
Eine App, die medizinische Unterstützung verspricht, muss das auch leisten können. Rechts: Dr. Markus Müschenich, CEO F.H. Incubator GmbH. © fotolia/stokkete, flyinghealth.com
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Haben Sie schon einmal an die Entwicklung einer eigenen App gedacht, die Sie in der Patientenversorgung unterstützen könnte? Überlegen Sie es sich gut, denn die Hürden sind hoch, wenn es sich um ein Medizinprodukt handeln soll. Und teuer wird der Start auch.

Dr. Markus Müschenich gehört dem Vorstand des Bundesverbandes Internetmedizin an. Er ist zugleich als Managing Partner von „Flying Health“ aktiv, einer Plattform, die Startups hilft, digitale Diagnose- und Therapieanwendungen auf den Markt zu bringen. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin ist überzeugt, dass Apps im Gesundheitsbereich sehr hohen Qualitätsanforderungen gerecht werden müssen, um sich etablieren zu können.

Industrieunternehmen sind auf dem Vormarsch

Dass einzelne Ärzte amateurhaft Apps für die medizinische Versorgung entwickelt haben, lobt Dr. Müschenich. Für die Zukunft gibt er diesen Entwicklungen aber wenig Chancen. Diese werden sich angesichts der großen Konkurrenz nicht mehr durchsetzen können, ist er überzeugt. Denn während z.B. Pharma- oder Medizinprodukte­unternehmen die Entwicklung von digitalen Produkten anfangs verschlafen hätten, seien sie jetzt auf dem Vormarsch, entwickelten selbst oder kauften auf.

Für die Zukunft sieht Dr. Müschenich auf dem Markt zwei Gründertypen: Betroffene, wie jene, die einst den Diabetesmanager My­Sgr ins Leben gerufen haben. Und Forscher, die außerhalb von Klinik und Praxis gute Medizin anbieten wollen. Er nennt als Beispiel M-sense, eine App gegen Migräne und Kopfschmerzen.

Wer eine App als Medizinprodukt anbieten will, sagt Dr. Müschenich, muss im Hintergrund ein hoch komplexes Computersystem vorhalten, das aktuelles medizinisches Wissen beinhaltet, inklusive der Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften und einem Algorithmus, der Krankheitsverläufe vorausberechnen kann. „Sie haben gewissermaßen die elektronische Variante eines Health Care Professionals, wobei die gleichen beruflichen Anforderungen gelten müssen wie in der Versorgung vor Ort.“

Schwierige Suche nach Kapitalgebern

Signalisiere beispielsweise eine Diabetes-App, dass der Patient aufgrund hoher Blutzuckerwerte ein besonderes Coaching brauche, dann müsse diese Aussage natürlich medizinisch haltbar sein. „Per App muss man das Versprechen einer guten Versorgung genauso einlösen, wie ein Arzt in der Praxis oder der Hersteller eines EGK-Geräts“, so Dr. Müschenich.

Der Digital-Health-Experte macht deutlich, dass ein solcher Anspruch hoher Investitionen bedarf. Eine App von einem Abiturienten oder einer Agentur entwickeln zu lassen, koste vielleicht bis zu 50 000 Euro. Um jedoch eine App als zertifiziertes Medizinprodukt erfolgreich auf dem Markt zu etablieren, seien Investitionen von mindestens zwei Millionen Euro nötig. Eingeschlossen sind darin die Kosten für Programmierer, Server, Raummiete, Anwaltsgebühren, aber auch die Gelder für eine begleitende Evaluation.

Die Entwicklung einer Medizinprodukte-App kann zudem Jahre dauern. Sie beginnt im Regelfall damit, dass sich Gründer in kleinen Teams zusammenfinden, recherchieren und einen einfachen Prototypen entwickeln. Dabei profitieren sie idealerweise von Förderprogrammen, beispielsweise von Universitäten.

Dann folgt die schwierige Suche nach Kapitalgebern. Spätestens hier, so erklärt Dr. Müschenich, sei auch die Gründung einer eigenen Firma nötig. Denn großzügige Geldgeber investierten meist nur in Firmen, an denen sie auch über Anteile profitieren könnten. „Schauen Sie sich kleine Plattformen an; bereits hier arbeiten 20 bis 50 Leute – da lässt sich abschätzen, was man monatlich mindestens an Geld braucht.“

Bundesinstitut unterstützt und berät Entwickler

  • Das Innovationsbüro beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterstützt Entwickler bei der Zulassung und beim Inverkehrbringen ihrer Produkte.
  • Es versteht seine Arbeit als Vorstufe zur bereits etablierten und sehr erfolgreichen wissenschaft­lichen und verfahrenstechnischen Beratung. „Wir können Unternehmen helfen, Informationslücken zu schließen und frühzeitig die Weichen für regulatorische Prozesse richtig zu stellen“, erklärt dazu BfArM-Pressesprecher Maik Pommer. Ziel sei es, dass wirksame und sichere Innovationen den Patienten erreichten und nicht schon an vermeintlichen Hürden im Zulassungs- und Zertifizierungsbereich vor der Markteinführung scheiterten.
  • Das Innovationsbüro bietet im Rahmen sog. Kick-off-Meetings, die per E-Mail beantragt werden können, einen informellen Austausch zum geplanten Produkt an sowie Kontakt zu BfArM-Experten. Die Beratung ist gebührenpflichtig.

Medizinprodukt wird einer Risikoklasse zugeordnet

Wer mit seiner App Medizin nach aktuellem Stand des Wissens anbieten will, muss sich vor allem den Kriterien eines Medizinprodukts unterordnen. Dafür wird das Produkt zunächst einer Risikoklasse laut Medizinproduktegesetz zugeordnet. Unterschieden wird hier zwischen einem Medizinprodukt der Klasse 1, welches etwa anhand eingegebener Werte wie Größe und Gewicht einen Gesundheitsplan erstellt und somit seinen Nutzer nur informiert, und einem Medizinprodukt der Klasse 2, das den Anspruch hat, z.B. anhand von Blutzuckerwerten die Insulindosis zu berechnen oder diagnostisch Herzrhythmusstörungen zu identifizieren.

Behörde bietet Startups eine frühe Beratung an

Dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit seinem Innovationsbüro Startups bei der Entwicklung von Medizinprodukte-Apps beratend zur Seite steht und bereits am Anfang bei der Weichenstellung hilft, sei „richtig gut“, lobt Dr. Müschenich. Im Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung gebe es schließlich keine eindeutigen Regelungen, wie ein Produkt bis zur Regelversorgung geführt werden kann – das betreffe speziell Apps. Es sei deshalb „ein Ritterschlag, dass sich das BfArM sehr sorgfältig mit dem Thema befasst und mit Weitsicht und hohem Qualitätsanspruch Startups berät“.
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