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Wie Hausärzte mit den Folgen der Flutkatastrophe umgehen

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Mit Notpraxen und Vertretungsangeboten erhalten die Hausärzte der von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen die medizinische Versorgung aufrecht. (Agenturfoto) Mit Notpraxen und Vertretungsangeboten erhalten die Hausärzte der von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen die medizinische Versorgung aufrecht. (Agenturfoto) © iStock/ollo
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Überall Schlamm, kein Strom, kein Wasser, die Geräte unbrauchbar – viele Praxen in Nordrhein und Rheinland-Pfalz sind nicht mehr arbeitsfähig. Doch die Kollegen unterstützen sich gegenseitig, soweit es geht. Ein Blick in zwei betroffene Regionen.

Die Flutkatastrophe der vergangenen Wochen war auch für Ärzte verheerend: In Nord­rhein sind 105 Praxen nicht mehr oder nur noch bedingt arbeitsfähig, in Rheinland-Pfalz können 30 Praxen nicht mehr arbeiten, die Zahl leichter Schäden ist für die KV schwer zu erfassen (Stand: 23. Juli). Den Betroffenen fehlen Strom und Wasser sowie medizinische Geräte. Akten und Impfstoffe sind unbrauchbar. Oftmals wurde mit der Praxis ein Lebenswerk zerstört. Die Bewältigung wird noch lange dauern – doch vorerst geht es darum, aufzuräumen und die ambulante Versorgung aufrechtzuerhalten. 

„Ich bin nur noch mit Organisieren beschäftigt“, berichtet Allgemeinarzt Dr. Michael Berbig. Er ist Vorsitzender des Ärztenetzes Kreis Ahrweiler e.V., dem 157 Mediziner angehören. Bei ihm laufen viele Informationen zur medizinischen Situation in dem rheinland-pfälzischen Kreis zusammen. Dieser wurde von einer teilweise bis zu acht Meter hohen Welle überflutet, 128 Menschen starben, rund 800 wurden verletzt (Stand: 23. Juli). Viele Straßen sind weggeschwemmt, die Brücken zerstört. Ein halbes Jahr lang wird die Region kein Gas mehr haben. „Die Ärzte sind fertig“, berichtet Dr. Berbig. „Momentan funktioniert jeder einfach nur.“ 

Praxen, die im Erdgeschoss angesiedelt waren, seien hoffnungslos zerstört. Arbeitsstätten in höheren Stockwerken habe die Flut zwar verschont, aber das Erdgeschoss müsse erst von Schlamm und Dreck befreit werden. Von Regelbetrieb könne nirgends die Rede sein. „In Praxen, die es weniger schlimm getroffen hat, ist der Arzt mal für zwei Stunden am Tag da, und zwar allein. Das Personal hilft zu Hause beim Beseitigen des Schlamms und der Schäden.“ 

Gute Vernetzung erleichtert Organisation von Hilfe

Um die medizinische Versorgung – soweit sie noch existiert – zu koordinieren, erfasst Dr. Berbig jeden Morgen in einer Liste, welche Praxen und Apotheken wann wie lange geöffnet haben. Auch Hilfe bei der Ersatzstrombeschaffung und der Besetzung von mobilen Arztpraxen organisiert er, froh um die gute Vernetzung der regionalen Mediziner. Vom Krisenstab der KV dringe kaum etwas zu ihnen durch. Die Körperschaft habe meist keine Handynummern ihrer Mitglieder, zudem wurde die IT-Ausstattung der Praxen im Wasser unbrauchbar. Mitteilungen zu Notregelungen erreichen viele Niedergelassene nicht, das Ärztenetz schickt sie per SMS oder Messenger herum. 

Notregelungen der KV Rheinland-Pfalz (Stand: 23. Juli):

  • Abschlagszahlungen werden weiterhin gezahlt.
  • Kann eine Praxis ihre Abrechnung nicht erstellen, ist eine Honorarermittlung auch als Schätzung möglich.
  • Rezepte sind mit dem Vermerk „Hochwasser“ zu kennzeichnen, um den Mehrbedarf aufgrund der Flutkatastrophe zu dokumentieren. Dadurch soll auch eine spätere Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgeschlossen werden
  • Für Patienten, die über keine Gesundheitskarte mehr verfügen, kann in Abstimmung mit den Krankenkassen das Ersatzverfahren genutzt werden.
  • Betroffene Praxen können ihre am Standort genehmigte Tätigkeit vorübergehend auch an anderen Orten im Katastrophengebiet aufnehmen (zunächst bis 30.9.2021).
  • Praxisinhaber, die ihre Räumlichkeiten nicht mehr nutzen können, werden bei der Suche nach neuen bzw. vorübergehenden Praxisräumen unterstützt.
  • Für Praxen, die Patienten versorgen, deren Arztpraxis aufgrund der Flutkatastrophe nicht arbeitsfähig ist, wird die Mengensteuerung im Honorar ausgesetzt.

Die wenigen Praxen, die zwischendurch öffnen, seien überwiegend mit dem händischen Schreiben von Rezepten beschäftigt, erklärt Dr. ­Berbig. „Die Patienten haben weder Tabletten noch Versichertenkärtchen. Man muss sich auf ihre Angaben zum Medikamentennamen verlassen.“ Über bürokratisch korrekte Abläufe denke derzeit niemand nach. Vieles müsse einfach direkt erledigt werden – auch weil die Patienten aufwendig zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen. Ihre Autos wurden oftmals weggespült.  Um akute Beschwerden der Anwohner kümmern sich mobile Arztpraxen des Deutschen Roten Kreuzes und Sanitäter der Bundeswehr. Sie gehen täglich von Haus zu Haus und fragen, ob ihre Hilfe benötigt wird. „Die Menschen schieben einfache Erkrankungen schlicht bei Seite, sie halten durch, um weiter aufzuräumen“, berichtet Dr. Berbig.  In Dörfern, die weitestgehend von der Außenwelt abgeschnitten waren, haben manche Mediziner Notpraxen errichtet, um die Menschen zu versorgen. So etwa Dr. Klaus ­Korte in Ahrbrück, Dr. Michael ­Masanneck in Rech und Astrid ­Näkel in Dernau. Auch Niedergelassene in Regionen, die nicht von der Flut betroffen waren, entlasten die Situation im Ahrtal, indem sie Patienten übernehmen. „Was einem wirklich die Tränen in die Augen treibt, ist die große Hilfsbereitschaft. Fremde unterstützen einander, junge Leute kommen mit Besen und Schubkarre und räumen das Haus von Leuten, die das sonst nicht geschafft hätten,“ erzählt der Allgemeinmediziner.   Einer der Ärzte, die im schwer getroffenen nordrheinischen Stolberg Hilfe leisten, ist Dr. Manfred ­Imbert. Er selbst kam vergleichsweise mild davon: Als er am Abend des Starkregens mit dem Auto auf dem Weg in seinen Wohnort Zweifall war, musste er wegen überschwemmter Straßen umdrehen. Er übernachtete bei Freunden, um am nächsten Morgen wieder pünktlich in der Praxis zu stehen. Diese ist unbeschadet geblieben, im Haus des Mediziners gab es jedoch sechs Tage lang keinen Strom, auch Internet und Telefon funktionierten nicht.   Nun arbeitet Dr. Imbert nach Praxis­schluss zwei Stunden länger, um die Patienten eines Kollegen zu versorgen, dessen Praxis nicht mehr arbeitsfähig ist. „Das macht man eben einfach. Viele Leute leis­ten so viel mehr als ich“, betont er. In erster Linie impft der Mediziner Personen gegen COVID-19, deren Termine durch die Flutkatastrophe nicht zustande kommen. Nebenher betreut er die Einwohner eines gefluteten Altersheims. Insgesamt sei die medizinische Versorgung in der Region gesichert,  berichtet er. Die ärztlichen Kollegen würden einander auf kurzem Dienstweg helfen, es gebe viele Vertretungs­angebote. Die KV habe sich bereits nach dem Bedarf der Praxen erkundigt. Wann Hilfe zu erwarten ist, sei jedoch noch unklar.  Damit betroffene Praxen liquide bleiben, wurden ihnen weiterhin Abschlagszahlungen zugesichert. Der Hartmannbund fordert die KVen zudem auf, auch langfristig zu denken. So müssten im Honorarverteilungsmaßstab laut Gesetzgeber auch Regeln vorhanden sein, die bei Naturkatastrophen greifen.

KV-Spendenkonten – von Ärzten für Ärzte:

Rheinland-Pfalz:
  • Empfänger: KV RLP
  • IBAN: DE83 3006 0601 0042 1510 81
  • Verwendungszweck: Spende Flutkatastrophe
Nordrhein:
  • Empfänger: Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
  • IBAN: DE84 3006 0601 0031 4179 16
  • Verwendungszweck: Spendenkonto Fluthilfe

Medical-Tribune-Bericht

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