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Budgetierung: Nix geht mehr aufs Haus

Praxismanagement , Geld und Steuern Autor: Cornelia Kolbeck

KBV macht sich für den Ausstieg aus der Honorarbudgetierung stark.
KBV macht sich für den Ausstieg aus der Honorarbudgetierung stark. © Fotolia/HNFOTO
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Das Vergütungsbudget ärgert viele Vertragsärzte. Bis zu einem Viertel der nicht extrabudgetär bezahlten Leistungen geht mittlerweile in den Praxen aufs Haus. Die KBV fordert deshalb, schrittweise feste und kostendeckende Preise einzuführen. Ein schneller Umstieg wird nicht erwartet.

Die Vertragsärzte gewährten 2016 den Krankenkassen im Bereich der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) unfreiwillig 2,9 Mrd. Euro Rabatt, sagt Dr. Ulrich Casser vom KBV-Dezernat Vergütung und Gebührenordnung. Das Dilemma ist eben eine begrenzte MGV und ein unbegrenzter Bedarf der Versicherten. Somit standen Untersuchungen und Behandlungen im Wert von 27,33 Mrd. Euro nach EBM tatsächlich gezahlte Honorare von 24,45 Mrd. Euro gegenüber.

Das heißt: Allein 2016 wurden im Schnitt 10,5 % der abgerechneten ärztlichen Leistungen nicht bezahlt. In den einzelnen KV-Bezirken lagen die Abschläge – je nach Leistungsbedarf und Budgethöhe – zwischen 6 und 22 % bei Hausärzten sowie zwischen 11 und 24 % bei Fachärzten. Lediglich die Vergütungen der Haus­ärzte in Bayern und Baden-Würt­temberg wurden infolge der dortigen Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung nicht gekappt. Damit nicht noch mehr Leistungen in den Praxen aufs Haus gehen, fordert die KBV-Führung nachdrücklich feste und kostendeckende Preise für alle durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen sowie den Ausstieg aus der Budgetierung.

Eine Mengenausweitung soll nicht möglich sein

Ohne Budgets kommt es zu einer deutlichen Leistungsausweitung, argumentieren Kritiker. Die KBV sieht deshalb in einem ersten Schritt zur Ausbudgetierung nur Leistungen vor, die vom Patienten ausgelöst werden. Es sollen nur Versicherten- und Grundpauschalen (§ 87 Abs. 2b und 2c Satz 2 SGB V) in den extrabudgetären Bereich verschoben werden, die regelmäßig in jedem Behandlungsfall anfallen oder die sehr selten und zugleich mit geringem Aufwand durchgeführt werden können. Für schwerkranke Patienten sind risikoadjustierte Zuschläge angedacht. Eine Zusatzpauschale ist zudem für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags vorgesehen. Auf Basis von 2016 würde das alles die gesetzlichen Krankenkassen jährlich 450 Mio. Euro mehr kosten.

Es ist Geld, das aus Sicht des KBV-Vorsitzenden Dr. Andreas Gassen den Ärzten zusteht. Die ambulante Gesundheitsversorgung sei inzwischen „ein Geschäft zulasten Dritter, der Ärzte“. So etwas gebe es nirgendwo sonst.

Der KBV-Chef beschreibt die vorgeschlagene Neuerung als ein „Aufsetzen auf das bestehende System“. Längerfristig wird ein neuer EBM mit Einzelleistungsvergütung ohne Abstaffelung angestrebt. Bei regelmäßigen Anpassungen sollen u.a. die Alterung der Bevölkerung und der technische Fortschritt berücksichtigt werden. Konkret kann sich die KBV vorstellen:

  • differenzierte und risikoadjustierte Pauschalen je Patient
  • differenzierte Pauschalen nach Leistungsketten und Behandlungspfaden unter Kriterien der Struktur- und Prozessqualität
  • besonders förderungswürdige Untersuchungen und Behandlungen sind weiterhin als Einzelleistungen oder als Leistungskomplexe zu vergüten 
  • Leistungsbewertun­gen sollen regelhaft auf betriebswirtschaftlich kalkulierter und periodisch aktualisierter Basis erstellt werden

Erinnert wird daran, dass der jetzige EBM 2005 in Kraft trat, basierend auf Daten aus dem Jahr 1995.

Nicht bezahlte Honoraranteile in der MVG 2016
KVHausärzteFachärzte
Baden-Württemberg0 %
12 %
Bayern0 %17 %
Berlin15 %21 %
Brandenburg5 %13 %
Bremen11 %11 %
Hamburg22 %21 %
Hessen8 %19 %
Mecklenburg-Vorpommern3 %11 %
Niedersachsen6 %20 %
Nordrhein7 %17 %
Rheinland-Pfalz6 %15 %
Saarland9 %18 %
Sachsen12 %22 %
Sachsen-Anhalt6 %17 %
Schleswig-Holstein10 %11 %
Thüringen3 %24 %
Westfalen-Lippe9 %13 %
Bund6 %15 %

Quelle: KBV

Wer mehr Leistungen will, muss Leistung auch bezahlen

Die KBV-Spitze sieht durchaus Chancen für die Umsetzung ihrer Forderungen und verweist auf Äußerungen von Kassen- und Politikseite. TK-Vize Thomas Ballast kann sich demnach eine Einzelleistungsvergütung gut vorstellen. Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält Gespräche zumindest über das Herausnehmen weiterer Leistungen aus dem Budget für möglich. Die FDP unterstützt die Abschaffung der Budgetierung bereits seit Langem. Dr. Gassen betonte ausdrücklich, dass Ärzte bisher trotz Unterbezahlung ihre Leistungen nicht reduzierten, auch nicht am Quartalsende. An den Versichertenpauschalen sehe man das zwar nicht, wohl aber an den Arzneimittelverordnungen. Würden Ärzte tatsächlich nach Budget arbeiten, also Dienst nach Vorschrift machen, dann gäbe es in jedem Quartal Millionen Arztkontakte weniger. Ärzte würden diese Konsequenz nicht wollen, nur müsse endlich mit der Vergütung nachgezogen werden, so der KBV-Chef. Der stellvertretende KBV-Vorsitzende Dr. Stephan Hofmeister bekräftigte mit Blick auf die im Koalitionsvertrag geforderte Erhöhung der Praxen-Mindestöffnungszeiten von 20 auf 25 Stunden pro Woche die längst überfällige Bezahlung aller Leistungen: „Wer mehr Leistung einfordert, muss auch dafür sorgen, dass alle Leistungen bezahlt werden.“ Abgesehen davon sei die Forderung nach mehr Stunden, also eine Erhöhung von derzeit 51–52 Stunden auf dann 56–57 Stunden pro Woche eh unzumutbar, weil unmenschlich.
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