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Der Fach-Geriater klopft an die Tür

Gesundheitspolitik Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Wie wir uns gegen den Ausverkauf hausärztlicher Kompetenzen wehren können. Wie wir uns gegen den Ausverkauf hausärztlicher Kompetenzen wehren können. © thinkstock
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Der "Facharzt für Ger­iatrie" ist ein neuer Versuch, die Zuständigkeiten der Allgemeinärzte zu beschneiden. Ein dementsprechender Beschluss der Landesärztekammer Hessen sorgt im Haus­ärzteverband für Ärger. Dennoch dürfen wir cool bleiben.

Zum 1. Juli 2016 hat der Bewertungsausschuss auf Initiative der KBV neue Leistungen beschlossen, die als Ergänzung zu den hausärztlichen EBM-Leistungen nach den Nrn. 03360 (Geriatrisches Assessment) und 03362 (Geriatrische Versorgung) zu verstehen sind. Neu geschaffen wurden als weitere haus­ärztlich-geriatrische Leistungen die Nrn. 30980 (Überweisung zum speziellen geriatrischen Assessment) und 30988 (Umsetzung von Empfehlungen aus dem speziellen ger-iatrischen Assessment).

Dabei wurde – allerdings nur in der Gebührenordnung – festgelegt, dass die speziellen geriatrischen Assessmentleistungen nach den Nrn. 30984 bis 30986 allein von Ärzten mit einer zusätzlichen geriatrischen Qualifikation berechnet werden können. Nur Fachärzte für Innere Medizin und Geriatrie, Internisten mit dem Schwerpunkt Geriatrie oder Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Geriatrie können diese Leistungen erbringen und abrechnen. Der EBM sieht allerdings auch Qualifikationsalternativen und eine Übergangsregelung vor.

Hinzu kommt, dass solche Qualifikationsanforderungen im EBM nach einer gewissen Zeit gelockert oder aufgehoben werden können. Ein Beispiel dafür ist das Ausfüllen des Reha-Formulars für Kuren zulasten der GKV. Hierfür musste man bis 2016 noch einen 16-Stunden-Kurs absolvieren. Jetzt darf das jeder.
Geriatrische Ziffern im EBM
EBM-Nr.LegendePunkteVoraussetzungen
03360Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment122Definierte Erkrankungen oder 70. Lebensjahr und Pflegestufe oderdefinierte Symptomatik
03362Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex159Assessment nach Nr. 03360 und 30984 oder nach Nr. 30984
30984Weiterführendes geriatrisches Assessment882Nur durch Internisten mit geriatrischem Schwerpunkt oder mitZusatzbezeichnung Geriatrie nach hausärztlicher Überweisungund vorheriger Durchführung der Nr. 30980


30985Zuschlag Nr. 30984 je weitere 30 Minuten325
30986Zuschlag Nr. 30985 je weitere 30 Minuten234
30980Abklärung vor Durchführung der Nr. 30984194Z.B. hausärztliche Tätigkeit
30988Zuschlag Nr. 03362 nach vorheriger Durchführungder Nr. 3098465Abrechnung der Nr. 03362

Diese Möglichkeit kann durch Ärztekammern verbaut werden. So hat z.B. Ende März die Landesärztekammer Hessen beschlossen, dass die Durchführung und damit auch die Abrechnung eines speziellen geriatrischen Assessments an eine exakt definierte Zusatzweiterbildung geknüpft ist. Voraussetzung für den Erwerb der Bezeichnung ist eine Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung. Die Weiterbildung bei einem Weiterbildungsbefugten für Ambulante Geriatrie beträgt zwölf Monate. Dazu kommen ein 60-Stunden-Kurs in geriatrischer Grundversorgung. Diese Regelung gilt zwar nur für Hessen, könnte aber anderen Kammern als Beispiel dienen.

Kritik aus Bayern an der Entscheidung in Hessen

Die Angelegenheit dürfte noch zu "Nachbeben" im Haus­ärzteverband führen. So kritisiert der Bayerische Hausärzteverband in einer Presseerklärung den Beschluss der hessischen Ärztekammer heftig. Auch hatte der Bundesverband kurz zuvor in seiner Verbandszeitschrift eingehend die hausärztliche Kompetenz bei der Versorgung geriatrischer Patienten dargestellt. Es wird also die Frage zu beantworten sein, warum der hessische Verband mit seinen Koalitionspartnern in der Delegiertenversammlung – der Facharztliste und der Ärztinnenliste – diese Entscheidung nicht verhindern konnte.

Schließlich droht mit dieser Entwicklung in Richtung einer spezial­ärztlichen Versorgung geriatrischer Patienten ein weiterer Verlust haus­ärztlicher Kompetenz. Dies drückt sich schon in der Honorierung aus. Während die hausärztlichen Positionen nach den Nrn. 03360 und 03362 bzw. 30980 und 30988 nur im Budget finanziert sind, werden die spezialärztlichen Assessmentleistungen nach den Nrn. 30984 bis 30986 extrabudgetär vergütet.

Damit nicht genug. Was da an spezialärztlichem Assessment geleis­tet werden muss, ist keine Besonderheit, die eine derart überspannte Zusatzweiterbildung erforderlich macht. Das zeigt schon die Tatsache, dass ein Großteil der Assessmentleis­tungen an medizinisches Hilfspersonal delegierbar ist.

Geriatrie gehört zur allgemeinärztlichen Weiterbildung

Nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer umfasst die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin die "lebensbegleitende hausärztliche Betreuung von Menschen jeden Alters bei jeder Art der Gesundheitsstörung unter Berücksichtigung der biologischen, psychischen und sozialen Dimensionen ihrer gesundheitlichen Leiden, Probleme oder Gefährdungen, und die medizinische Kompetenz zur Entscheidung über das Hinzuziehen anderer Ärzte und Angehöriger von Fachberufen im Gesundheitswesen". Weiterbildungsinhalt ist u.a. der "Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in geriatrischen Syndromen und Krankheitsfolgen im Alter einschließlich der Pharmakotherapie im Alter". So gesehen ist der Hausarzt von Haus aus auch Facharzt für Geriatrie.
Die Einrichtung von geriatrischen Schwerpunktpraxen oder Institutsambulanzen birgt auch eine Gefahr für die hausärztlichen Praxen. Praxen oder Institute, die das spezielle geriatrische Assessment künftig erbringen dürfen, sind auf die rein diagnostischen Leistungen beschränkt. Sie können nur Empfehlungen zur weiteren z.B. krankengymnastischen oder logopädischen Behandlung der alten Patienten abgeben.

Sie sind verpflichtet, eng mit Physiotherapeuten und Logopäden zusammenzuarbeiten. Was das für den Hausarzt bedeutet, der Patienten aus einer derartigen Einrichtung mit einer langen "Wunschliste" zurückbekommt, bedarf keiner Detail­erläuterung. Die Regressgefahr in hausärztlichen Praxen wird steigen!

Die Fach-Geriater sind auf Überweisungen angewiesen

Statt sich aufzuregen, sollte man die Sache aber cool angehen. Das ist nicht der erste Versuch, hausärztliche Kompetenz infrage zu stellen. Diabetiker hat man in Schwerpunktpraxen umleiten wollen und unsere psychiatrischen Patienten sollen schon länger in Institutsambulanzen betreut werden. Ich habe in meiner Praxis noch nie erlebt, dass solche Patienten nicht wieder zurückkommen! Nicht anders wird es bei diesem Vorstoß ausgehen.

Zudem haben wir hier ein Faustpfand: Diese neuen Fach-Geriater können nur auf Überweisung tätig werden. Deshalb wurden wohl auch die "Fangprämien" nach den Nrn. 30980 und 30988 geschaffen. Lassen wir uns davon nicht ködern, bleiben die alten Patienten bei uns – wenn wir das wollen. Wir können sie weiterhin nach den nur uns zur Verfügung stehenden Leistungen der Nrn. 03360/03362 versorgen. Nur wenn wir das machen, werden wir den Bedarf dokumentieren und für unsere Leistungen eine angemessene, extrabudgetäre Honorierung erhalten.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht 

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