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Deutsche Arzneimittelpreisbindung gilt nicht für holländische Versandapotheke

Medizin und Markt Autor: Anouschka Wasner

© Fotolia, Gina Sanders
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Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes mit massiven Auswirkungen auf den Apothekenmarkt: Ausländische Apotheken dürfen in Zukunft Rabatte gewähren - deutschen Apotheken ist das nicht erlaubt. Wird jetzt der Versandhandel verboten?

Die deutschen Preisbindungsregeln für rezeptpflichtige Arzneimittel verstoßen gegen Europarecht. Sie stellen für ausländische Apotheken, die Kunden in Deutschland mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln beliefern, ein Handelshemmnis dar, das weder im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit noch auf eine flächenmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln gerechtfertigt ist. Das ergibt sich aus dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einem Grundsatzverfahren der Wettbewerbszentrale (EuGH, Rs. C 148/15). Konkret bedeutet das: die geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel sind nicht verbindlich für ausländische Anbieter.

Versandapotheke DocMorris frohlockt

DocMorris-CEO Olaf Heinrich freut sich über das Urteil: "Wir haben unseren Kunden Boni auf Rezept stets zulasten unserer eigenen Marge gewährt. Dies können die Kunden auch zukünftig wieder von uns erwarten. Chronisch kranke Menschen mit einem hohen und regelmäßigen Medikamentenbedarf werden so jährlich um mehrere hundert Euro entlastet." Das Urteil aus Luxemburg wird die zu Jahresbeginn gestartete langfristig ausgerichtete Wachstumsinitiative der Versandapotheke positiv beeinflussen, meldet das Unternehmen.

Vorteil für den Verbraucher oder Rückschritt?

Deutschlands Apotheker dagegen reagieren entsetzt auf die Entscheidung des EuGH. Dazu Friedemann Schmidt, Präsident der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: "Damit hat der EuGH in ein Politikfeld eingegriffen, das gemäß den Europäischen Verträgen den Mitgliedstaaten vorbehalten ist. Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren." Jetzt sei die deutsche Politik gefordert: Eine denkbare Lösung wäre ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland. Denn klar sei, dass die Arzneimittelpreisverordnung für deutsche Apotheken weiterhin gilt."

 

Auch Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg (LAV) und Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV) äußerte seine Sorge: „Ich kann diese Entscheidung nicht verstehen. Sie ist ein deutlicher Rückschritt für den Patienten, der womöglich bald im Krankheitsfall nach dem niedrigsten Preis für sein verschriebenes Arzneimittel suchen muss."

 

Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH), sieht in dem Urteil einen Schlag gegen die gerechte Arzneimittelversorgung der Patienten in Deutschland. Die Arzneimittelpreisverordnung habe seit ihrem Inkrafttreten die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gewährleistet. Kortland weiter: "Arzneimittel sind Waren der besonderen Art und keine Konsumgüter. Gesundheit darf sich nicht danach richten, ob Patienten auf dem Land oder in der Stadt leben, denn Krankheit tut dies auch nicht."

Zwei Möglichkeiten: Preisbindung abschaffen oder Versandhandel verbieten

Dr. Reiner Münker, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Wettbewerbszentrale, bewertet das Urteil als nicht vorteilhaft für die deutschen Apotheken: „Die Entscheidung wird massive Auswirkungen auf den Apothekenmarkt haben. Denn: Die Apotheken in Deutschland müssen sich an die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel halten, während ausländische Apotheken Kunden in Deutschland Rabatte gewähren dürfen. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der hiesigen Apotheken – also zu einer Inländerdiskriminierung.“

 

Der Gesetzgeber müsse sich nun überlegen, wie gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken erreicht werden können. Zwei Möglichkeiten seien denkbar: Entweder man schaffe die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel komplett ab oder aber man verbiete den Versandhandel für diese Arzneimittel. Ein solches Verbot sei vom EuGH seinerzeit bereits als europarechtskonform bewertet worden, so Münker weiter.

 

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Hintergrund des Verfahrens:
Die Wettbewerbszentrale hatte bereits im Jahre 2009 ein Schreiben der Deutschen Parkinsonvereinigung, einer Patientenselbsthilfeorganisation, beanstandet, in dem diese ihren Mitgliedern eine Kooperation mit der Versandapotheke DocMorris vorstellte. Im Rahmen dieser Kooperation sollten Mitglieder beim Bezug ihrer verschreibungspflichtigen Arzneimittel über die niederländische Apotheke DocMorris Rabatte in Form eines sogenannten Rezeptbonus in Höhe von 2,50 € und eines „Extrabonus“ in Höhe von 0,5 % des Warenwertes des Medikamentes erhalten.

 

Die Wettbewerbszentrale war der Auffassung, dass derartige Rabatte gegen die im Arzneimittelgesetz und der Arzneimittelpreisverordnung festgelegte Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel verstoßen und die Patientenvereinigung das Bonusmodell der niederländischen Apotheke fördere. Die geforderte Unterlassungserklärung gab die Patientenorganisation nicht ab, sodass die Wettbewerbszentrale Klage beim Landgericht (LG) Düsseldorf einreichte.

 

Das LG Düsseldorf gab der Klage statt und untersagte dem Beklagten, im Rahmen seiner Kooperation mit der Versandapotheke deren Bonus-Modell zu empfehlen. Gegen dieses Urteil legte die Patientenvereinigung Berufung ein.

 

Das OLG Düsseldorf legte die Frage dem EuGH vor: Ist es eine Behinderung des freien Warenverkehrs im Sinne des Art. 34 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wenn sich Preisbindungsregelungen auch auf Arzneimittel erstrecken, die von ausländischen Versandapotheken an deutsche Kunden ausgeliefert werden? Darüber hinaus stellte das OLG Düsseldorf die Frage, ob die Preisbindungsregelungen etwa zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung im Sinne des Art. 36 AEUV gerechtfertigt seien. 

 

Die EUKommission war in ihrem Plädoyer der Auffassung, die Preisbindung auch für ausländische Apotheken sei nicht europarechtskonform, die Bundesregierung hingegen verteidigte die deutsche Regelung. In seinen Schlussanträgen gelangte der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die Arzneimittelpreisbindung in Deutschland ausländische Apotheken diskriminiere.

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