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TI-Ärger nimmt kein Ende Erste KVen wollen Ausnahmen von Sanktionen ermöglichen

Praxismanagement , Praxis-IT Autor: Anouschka Wasner

Mehr Fehler- als Erfolgsmeldungen: Viele Praxen kämpfen weiterhin mit dem TI-Anschluss und seinen Funktionen. Mehr Fehler- als Erfolgsmeldungen: Viele Praxen kämpfen weiterhin mit dem TI-Anschluss und seinen Funktionen. © iStock – Olga Kurbatova
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Verwarnung, Verweis, Geldbuße, Ruhen der Zulassung – das sind Mittel des Disziplinarrechtes, die bei mangelhafter Umsetzung der Vorgaben zur TI-Nutzung eingesetzt werden können. Doch gerade werden sie grundsätzlich infrage gestellt.

Ein „imperfektes Produkt, das man einfach zurückgeben muss“, nannte Dr. Norbert Metke, Vorstandschef der KV Baden-Württemberg, die Telematikinfrastruktur (TI) auf der KBV-Vertreterversammlung Mitte September sehr erbost. Lebhaft argumentierend rief er dazu auf, „mit deutlich vermehrter Aggressivität“ gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium aufzutreten, statt wie bisher nur Sanktionen gegen die KV-Mitglieder zu verhängen. Als konkreten Ansatz für den „Kampf“, forderte er die KBV auf, im Zusammenhang mit der Umsetzung der TI-Vorschriften den juristischen Sachverhalt der „faktischen Unmöglichkeit“ zu prüfen.

Diesen Vorschlag griff die KBV postwendend auf. In einer Stellungnahme schreibt der Stabsbereich Recht rund zwei Wochen später: Sanktionen einer KV infolge von „Umsetzungsdefiziten“ bei Anschluss oder Nutzung der TI müssten verhältnismäßig sein und dürfen somit nur festgesetzt werden, wenn sie sich dazu eignen, „den Vertragsarzt zur Nutzung der TI-Anwendungen anzuhalten“.

Und weiter: TI-Sanktionen müssten „geeignet, erforderlich und angemessen“ sein. Ist ein Anschluss oder die Nutzung technisch unmöglich oder stellt dies einen unverhältnismäßig hohen Aufwand dar, seien Sanktionen nicht gerechtfertigt. Die jeweilige Ermessensentscheidung, wann sanktioniert werde, liege bei der einzelnen KV. Zweck des Einsatzes des Disziplinarrechtes sei dabei allein die Aufrechterhaltung der Versorgung.

Eine erste konkrete Reaktion darauf kam von der KV Hessen. Sie sandte ein Rundschreiben an ihre Mitglieder, in dem sie sinngemäß erklärte: Wenn sich eine Kollegin oder ein Kollege den TI-Anschluss wenige Jahre vor dem Ausscheiden aus der Praxistätigkeit nicht mehr antun möchte und stattdessen Sanktionen in Kauf nimmt, so habe das einen negativen Einfluss auf die Versorgungssituation – womit es also dem Zweck von Disziplinarmaßnahmen widerspricht. Andere Fälle, in denen die Angemessenheit von Sanktionen zur Diskussion stehe, seien etwa, wenn die technischen Voraussetzungen für die TI durch mangelhafte Internetanbindung nicht vorhanden seien.

Auf Antrag oder im Rahmen des Widerspruchsverfahrens

In solchen Fällen könnten die Ärztinnen und Ärzte deswegen nun unter Angabe des Grundes und eines Nachweises (wie etwa einer Mitteilung des Internetanbieters) einen formlosen Antrag auf Befreiung von Sanktionen stellen, informierte die KV. Rund 100 Anträge sind in den ersten zehn Tagen bei der KV Hessen eingegangen, so ein Sprecher auf Anfrage. Man werde jeden Antrag einzeln bescheiden, betont er.

Die KV Baden-Württemberg freut sich, dass sich durch ihre Ini­tiative das Tor für Ausnahmen von den TI-Sanktionen geöffnet hat. Auf Anfrage von Medical Tribune nach dem Umgang mit dieser neuen Option erklärte sie: Die KV könne hier „bestimmte Sondersituationen“ sehen, in denen eine Ausnahme möglich sei. Solche Sondersituationen werde man im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Honorarbescheid bearbeiten.

Für die 120 Praxen, die nach Angaben der KV vom September in Baden-Württemberg seit 1/2019 Widersprüche eingelegt haben, ist damit also noch nicht mal ein Antrag vonnöten. Die Gesamtzahl der nicht an die TI angeschlossenen Praxen liegt allerdings bei rund 10 % aller Praxen des Bundeslandes, also etwa bei 1.500.

Modernisierung beschlossen: TI 2.0 – ganz ohne Konnektor

Während die einen noch mit dem Konnektor kämpfen, wollen die anderen ihn schon wieder abschaffen: Die Gesellschafterversammlung der Gematik hat am 29. September 2021 einstimmig die Modernisierung der TI beschlossen. Die Umsetzung sei „ein komplexes, mehrjähriges Vorhaben mit einem zeitlichen Horizont bis Ende 2025“. „Der technische und finanzielle Aufwand für die Praxen darf nicht steigen“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel den PraxisNachrichten. Außerdem müsse sichergestellt sein, dass die Gematik die Verantwortung für den Betrieb der TI übernehme. „Wir haben dem Beschluss der TI 2.0 deshalb nur unter einer Bedingung zugestimmt“, so Kriedel. „Jeder wesentliche Schritt muss mit der Gesellschafterversammlung abgestimmt werden.“ Die Gematik spricht von sechs Säulen der neuen Struktur:
  1. Die Authentifizierung soll auch über elektronische Identitäten (eIDs) möglich werden. Nutzende müssen sich dann einmal am Identitätsprovider anmelden und können dann alle Anwendungen nutzen (Single-Sign-On).
  2. Alle Dienste der TI 2.0 sollen für alle Nutzergruppen mittels eigener Endgeräte und ohne Konnektor direkt über das Internet verfügbar sein.
  3. Die TI 2.0 soll Anwendungen ermöglichen, die auf der Kombination von Diensten aufgebaut sind (verteilte Dienste). Daten und Abläufe aus den verschiedenen Diensten können durch die App und das direkte Zusammenspiel der Dienste zusammengeführt werden. Voraussetzung ist eine standardisierte Schnittstellentechnologien und ein Standard für die Formate von Daten.
  4. Für Datenstrukturen und Schnittstellen in der TI 2.0 wird FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) als Standard etabliert. FHIR hat sich aus der klinischen Praxis entwickelt, wird international verwendet und ist darauf ausgerichtet, den interoperablen Datenaustausch für medizinische Dokumentation zu unterstützen.
  5. Es soll kein zentrales Netz mit physischen Zugangspunkten und Konnektor mehr geben. Zugriff auf die Dienste gibt es mit Smartcard oder eID. Die Sicherheit soll über „Zero Trust Networking“ gewährleistet werden: Jede Verbindung ist Ende-zu-Ende abgesichert, die Seiten einer Verbindung authentisieren sich gegenseitig.
  6. Es sollen Mindeststandards durch ein rechtliches, organisatorisches und technisches Regelwerk etabliert werden, erarbeitet von den sektorverantwortlichen Stellen mit der Gematik. Geregelt werden Sicherheit, Datenschutz, Funktionalität, Interoperabilität sowie Verfügbarkeit. Teile dieses Regelwerks sind maschinenlesbar und können über die TI automatisch geprüft werden.

Neben solchen Vorstößen der KVen äußerten sich weitere Stimmen aus der Ärzteschaft mit grundsätzlichen Forderungen. Dr. Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes, begrüßte die Initiative der Kassenärztlichen Vereinigungen zur bedingten Aussetzung von TI-Sanktionen und sprach sich für eine generelle Verschiebung der Sanktionen aus. Unabhängig davon, dass man Strafandrohungen zur Durchsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen ohnehin für den falschen Weg halte, müssten nach Lage der Dinge „die Sanktionen für nicht an die TI angeschlossene Kolleginnen und Kollegen mindestens auf das vierte Quartal verschoben werden“. Der 80. Bayerische Ärztetag ging noch einen Schritt weiter und votierte Mitte Oktober einstimmig für einen Antrag des Bayerischen Facharztverbandes, der die Freiwilligkeit des TI-Anschlusses fordert. In dem Antrag heißt es: „Der Zwang zum Anschluss an die Telematikinfrastruktur soll ausgesetzt werden. Der Anschluss von niedergelassenen Ärzten und Kliniken an die TI soll freiwillig bleiben.“ Auch hier ging es zudem um die bereits einbehaltenen Honorare für fehlende TI-Anschlüsse. Diese seien unverhältnismäßig „und sollen ausbezahlt werden!“ Die KV Bayerns bereitet aktuell eine Petition an die Bundesregierung vor. Diese soll in wenigen Wochen online gehen, und fordert für alle TI-Anwendungen vor deren Einführung sowie etwaigen Sanktionen eine einjährige Testphase, an der die Niedergelassenen freiwillig und sukzessive teilnehmen können. Der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann, unterstützt „ausdrücklich“ diesen Vorstoß der KV Bayerns. Er unterstreicht, damit würde „allgemein mehr erreicht als mit finanziellen Sanktionen“. Und zuletzt sprach sich die KBV noch einmal gemeinsam mit den KVen der Länder ausdrücklich für ein einjähriges Moratorium bei der Digitalisierung aus.

Manchen Praxen werden seit 2019 Honorare gekürzt

Zum Hintergrund: Arztpraxen mussten bis Ende Juni 2019 an die TI angebunden sein. Praxen, die dem bis dahin nicht nachgekommen sind, wurden und werden Honorare gekürzt, zunächst um 1 % der Abrechnungssumme, seit März 2020 um 2,5 %. Auch bei Nichtnutzung bestimmter Anwendungen der TI können Disziplinarmaßnahmen eingesetzt werden wie etwa Honorarabzüge von 1 %. Kritiker weisen unter anderem darauf hin, dass die Telematikinfrastruktur nur aufgrund der Sanktionsvorgaben eine Chance auf Umsetzung in den Praxen habe. Die immer wieder als unausgereift und unzureichend bewertete Technik der Systeme hinter der TI könnte sich auf Basis der Freiwilligkeit gar nicht durchsetzen.

Medical-Tribune-Bericht

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