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Fiktiv zugelassenes Arzneimittel: Wie Regress abwehren?

Autor: Isabel Kuhlen, Foto: thinkstock

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Leser fragen, MT-Experten antworten: Regress angedroht wegen Verordnung eines "fiktiv zugelassenen Arzneimittels". Was nun?

Ein Facharzt für Innere Medizin fragt:
Wegen der Verordnung des Arzneimittels Pentalong im Quartal 2/2012 und 4/2012 hat die AOK ein Prüfverfahren angeordnet. Wie kann dieses abgewehrt werden? Inwieweit haben hier Kasse bzw. Prüfstelle eine Informations- und Beratungspflicht verletzt? Und wer ist für die Aushändigung von „fiktiv zugelassenen Arzneimitteln“ verantwortlich – der Arzt oder der Apotheker?


Isabel Kuhlen,
Rechtsanwältin und Apothekerin, Vellmar:

Richtig ist, dass das Fertigarzneimittel Pentalong von der AOK als nicht zulasten der GKV verordnungsfähig eingestuft wird. Denn es ist ein sog. „fiktiv zugelassenes Arzneimittel“. Fiktiv zugelassene Arzneimittel haben das Zulassungsverfahren nach § 22 ff AMG nicht regulär durchlaufen. Es handelt sich um Arzneimittel, die sich bereits am 1.9.1976 im Verkehr befanden und aufgrund der bis dahin geltenden Bestimmungen lediglich formell registriert werden mussten.


Gemäß einer Übergangsregelung durften sie weiterhin verkauft werden; das „Nachzulassungsverfahren“ konnte nachgeholt werden. Sofern bei der Nachzulassung Rechtsstreitigkeiten auftraten und eine gerichtliche Entscheidung bis heute nicht endgültig getroffen wurde, gilt das Arzneimittel bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Nachzulassungsverfahren weiterhin als verkehrsfähig, weil es noch immer fiktiv zugelassen ist.

Arzt muss sich über Verordnungsfähigkeit informieren

Das Bundessozialgericht (BSG) hat aber die Leis­tungspflicht der GKV in den Fällen verneint, in denen die Zulassung bzw. deren Verlängerung abgelehnt wurde und das Arzneimittel nur deshalb verkehrsfähig bleibt, weil die versagte Verlängerung aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage noch nicht rechtskräftig ist (Urteil vom 27.9.2005, Az.: B 1 KR 6/04 R). Die Kassen haben die BSG-Entscheidung Anfang 2012 für sich neu entdeckt und wenden sie seitdem für Arzneimittel wie Pentalong an.


Der Arzt wendet dagegen ein, dass er nicht ausreichend über die fehlende Verordnungsfähigkeit informiert worden wäre. Es ist aber leider ständige Rechtsprechung des BSG, dass der Arzt selbst dafür zuständig ist, sich über die Verordnungsfähigkeit einzelner Arzneimittel zu informieren. Hinzu kommt, dass diverse KVen Anfang 2012 aktiv vor der Verordnung nur fiktiv zugelassener Arzneimittel zulasten der GKV gewarnt haben. Das Bundesministerium für Gesundheit hatte Mitte 2011 eine Liste der fiktiv zugelassenen Arzneimittel veröffentlicht. Folglich ist nicht damit zu rechnen, dass dieser Einwand des Arztes die Regress­androhung beseitigt.


Auch der Abzug von Patientenzuzahlung und Apothekenrabatt vom Regressbetrag bedeutet kein Anerkenntnis der Krankenkasse, dass eine Verordnung zulasten der GKV erfolgen durfte. Der Abzug von Patientenzuzahlung und Apothekenrabatt erfolgt nach Festsetzung eines Regresses „schadensmindernd“ für den Arzt. Die Kassen können nur den Schaden ersetzt verlangen, den sie tatsächlich erlitten haben.

Regress: Erst nach vier Jahren verjährt

Der Einwand des Arztes, dass die Regressandrohung erst mit 18 Monaten Verzögerung erfolgte, zieht ebenfalls nicht. Das BSG hat den Krankenkassen leider auch hier den Rücken gestärkt. Selbst wenn in den Prüfvereinbarungen der einzelnen KV eine Antragsfrist für vergleichbare Regressverfahren existiere, handele es sich insoweit um eine reine Ordnungsvorschrift, deren Überschreitung einer Regressierung nicht im Wege stehe. Erst nach Ablauf von vier Jahren nach der Verordnung tritt nach Ansicht des BSG „Verjährung“ ein, sodass die Krankenkassen nach Ablauf dieser Zeit grundsätzlich nicht mehr das Festsetzen eines Regresses veranlassen können.


Leider ist die vorliegende Problematik auch in der Apothekerschaft noch nicht allgemein bekannt. Wenn eine fehlende Verordnungsfähigkeit im Raum steht, sind Apotheker i.d.R. bemüht, den Arzt zu informieren. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehen die Krankenkassen zwar im Normalfall davon aus, dass nur der Arzt die Verantwortung für die Verordnungsentscheidung zulasten der GKV trägt. Bereits um die Zusammenarbeit nicht unnötig zu belasten, suchen die Apotheker aber in Fällen der streitigen Verordnungsfähigkeit das Gespräch mit dem Arzt.


Fazit: Ich kann dem Arzt wenig Hoffnung machen, sich erfolgreich gegen den angedrohten Regress zur Wehr zu setzen. Allenfalls wenn die sog. Bagatellgrenze unterschritten ist, die in den KVen in unterschiedlicher Höhe festgelegt wurde, um keine aufwendigen Verwaltungsverfahren wegen minimaler Verordnungskosten auszulösen, könnte der Arzt erfolgreich einwenden, dass eine Regressierung aus formellen Gründen unzulässig ist.

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