Anzeige

Geplanter Zwangsaufkauf von Praxen: Klagewelle wäre absehbar

Autor: RA Prof. Dr. jur. Thomas Schlegel, Foto: Thinkstock

Anzeige

Der Referentenentwurf zum Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) sieht das Einkassieren einer Zulassung, insbesondere bei Einzelpraxen, vor. Es bestehen Zweifel, ob die Regelung überhaupt zulässig ist.

Nach dem VSG-Entwurf soll das Verfahren einer Praxisabgabe in überversorgten Planungsbereichen geändert und der Ermessensspielraum des Zulassungsausschusses erheblich erweitert werden.

Das soll es funktionieren: Der Praxisabgeber stellt einen Antrag auf ein Nachbesetzungsverfahren beim Zulassungsausschuss. Nimmt dieser den Antrag an, hat die KV den Vertragsarztsitz unverzüglich auszuschreiben.

Erscheint dagegen eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen als nicht erforderlich, soll (bisher "kann") der Ausschuss  den Antrag ablehnen.

Praxisnachfolge: Ausnahmen für Ehepartner und Kinder

Im neuen § 103 Abs. 3a SGB V ist vorgesehen, dass der Zulassungsausschuss die Ablehnung mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt. Allerdings hat bisher kaum eine KV eine Verfahrensordnung beschlossen, die die Grundlage für eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung darstellt.

Bislang gilt, dass der Zulassungsausschuss den Antrag nicht ablehnen kann, sofern die Praxis von einem Praxisnachfolger weitergeführt werden soll, der Lebenspartner oder Kind oder angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes ist oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis gemeinsam betrieben wurde.

Der Gesetzgeber will allerdings dem Zulassungsausschuss eine weitere Tür öffnen, um auch eine Ausnahmenachbesetzung, die auf einem kurzzeitigen Anstellungs- oder Jobsharing-Verhältnis beruht, ablehnen zu können; nur bei Bewerbern, die mit dem ausscheidenden Arzt mindestens drei Jahre lang als Angestellte oder Partner in der Praxis zusammengearbeitet haben, soll eine Ablehnung des Nachbesetzungsverfahrens künftig ausgeschlossen sein.

Wenn der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung eines Arztsitzes ablehnt, hat die KV dem Vertragsarzt oder dessen Erben eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Praxis zu zahlen.

Warum mindestens drei Jahre lang zusammenarbeiten?

Mangels eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens oder der Festlegung eines Bewertungsverfahrens wird der Verkehrswert wohl künftig von der KV ermittelt werden. Kommt es durch KV und Abgeber zu unterschiedlichen Wertungen, wird dies vermutlich rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen.

Denn die Regelung greift in die Grundrechte des Abgebers ein. Der Ermessensspielraum des Zulassungsausschusses ist an kaum objektivierte und für den Abgeber überprüfbare Kriterien gebunden.

Insbesondere die Verknüpfung mit vetoberechtigten Nachfolgern, die mindestens drei Jahre zusammengearbeitet haben sollen, erscheint willkürlich und rechtlich kaum haltbar.

Das Vorhandensein eines nach geltenden Zulassungsbedingungen bestehenden und ausgeübten Versorgungsauftrags widerspricht der Rechtfertigung, dass dieser aufgrund einer statistischen Überversorgung – und trotz eines Nachfolgers – entzogen werden kann.

Es ist zweifelhaft, ob diese Regelung überhaupt rechtlich haltbar ist. Die finanziellen Mittel der Beitragszahler und Krankenkassen stehen für die Sicherstellung der Patientenversorgung zur Verfügung. Sie nun für die Absenkung einer statistischen Überversorgung zu nutzen, kommt einer Zweckentfremdung gleich.

Abzug von Mitteln, die zur Versorgung dienen sollen

Hinzu kommt: Der Verkauf einer Arztpraxis samt Zulassung sieht eine Rechtsnachfolge durch Eintritt in alle Verträge vor (Miet-, Arbeits-, Leasingverträge etc.). Diese würden weiterlaufen, müssten aber theoretisch von der KV-Entschädigung gedeckt werden.

Zahlen würden diese die verbleibenden Vertragsärzte mit ihren GKV-Umsätzen. Das ist meilenweit vom Versorgungsauftrag der KV und Satzungszweck einer Krankenkasse entfernt.

Kurzfristig erscheinen folgende Handlungsempfehlungen sinnvoll:

Zunächst sind primär Praxisabgeber einer Einzelpraxis durch die Neuregelung erheblich gefährdet. Daher ist es sinnvoll, eine Berufsausübungsgemeinschaft – auch überörtlich –  zu gründen, da es zivil- und verfassungsrechtlich unwahrscheinlich ist, dass die geschilderte willkürliche "Ausnahme der Ausnahme" gerichtlich Bestand haben wird.

Antrag auf Nachbesetzung nur unter Vorbehalt stellen

Außerdem ist Vertragsärzten anzuraten, einen Antrag auf Nachbesetzung unter den Vorbehalt zu stellen, dass diesem entsprochen wird – mit dem Ziel, dass bei einer ablehnenden Entscheidung der Antrag als zurückgezogen gilt und der Praxisabgeber seine Praxis weiterhin betreiben kann und daher sein Vermögenswert nicht ausschließlich zur Disposition des Zulassungsausschusses steht.

Im Zweifel wird eine gerichtliche Aus­einandersetzung hierüber Klarheit verschaffen, ob ein solcher Vorbehalt Bestand hat oder nicht. Bisher ist es immerhin üblich und rechtswirksam, dass der Praxisabgeber sei­nen Verzicht bis zur Entscheidung des Zulassungsausschusses (also auch noch in der Sitzung des Ausschusses) zurückziehen kann.

Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung möglich

Mit der neuen Regelung werden die KVen gezwungen, bei Ablehnung durch den Zulassungsausschuss eine Entschädigung zu zahlen. Dagegen regt sich Widerstand. Einige KVen haben sich aber bereits auf ein Bewertungsverfahren für die Entschädigung verständigt. Erfragen Sie dieses, damit Sie sich auf die Abgabesituation einstellen können.

Bei der Ausübung von Willkür mit einem Vermögensschaden für den Praxisabgeber kann der Zulassungsausschuss als Organ einer Körperschaft öffentlichen Rechts darauf hingewiesen werden, dass dies einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung nach sich ziehen kann, wie der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit bestätigt hat.

Es ist anzunehmen, dass diese Neuregelung viele rechtliche Auseinandersetzungen zur Folge haben wird, da der Gesetzgeber hier grundlegende höchstrichterliche Rechtsprechung sowie zivil- und verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt.


Anzeige