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Kassenarbeit wird auf die Praxen verlagert

Verordnungen Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

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Die neuen Formulare zu AU und Reha werden den Ärzten als Entbürokratisierung verkauft – doch die Effekte werden andere sein. Beispiel: Ab wann gibt‘s Krankengeld? Das müssen nun die Praxen feststellen; Kassenangestellte können früher Feierabend machen!

Seit dem 1.1.2016 sind die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der Auszahlschein zum Krankengeldbezug "gleichgeschaltet". Ab der siebten AU-Woche ändert sich deshalb nicht mehr die Form der Krankschreibung; der Auszahlschein ist nun in den "gelben Schein" integriert.

Das neue Formular ähnelt zwar stark dem bisherigen, hat aber unten ein zusätzliches Feld: "Im Krankengeldfall". Dort muss der Arzt ab der siebten AU-Woche oder im sonstigen Krankengeldfall das Fortbestehen der AU oder deren Ende durch Ankreuzen kenntlich machen. Natürlich ohne einen Cent für den Mehraufwand zu erhalten.

"Krankengeld: Patienten müssen selbst an rechtzeitige Verlängerung der AU denken"

Neu sind auch die Felder, auf denen die Diagnosen sowie die Einleitung besonderer Maßnahmen wie Reha oder stufenweise Wiedereingliederung angegeben werden. Die KBV will uns das als Beitrag zur Entbürokratisierung verkaufen. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Neu ist nämlich, dass der Patient einen Durchschlag der Bescheinigung erhält – mit dem Hinweis, dass für den Bezug von Krankengeld ein lückenloser AU-Nachweis erforderlich ist. Somit muss sich der Patient bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit spätestens an dem Werktag beim Arzt vorstellen, der auf den letzten Tag der AU-Bescheinigung folgt.

Bisher wurde er durch den Versand des Auszahlungsscheins durch seine Kasse an dieses Datum erinnert. Jetzt muss er selbst aufpassen. Endet eine solche Bescheinigung z.B. am Freitag, muss der Patient den Arzt für eine Folgebescheinigung am darauffolgenden Montag aufsuchen.

"Was wird passieren, wenn man sich bei der Sechswochenfrist verrechnet?"

Es bedarf keiner großen Fantasie, um zu vorhersagen, was das für den Sprechstundenbetrieb bedeutet. Es werden Patienten ohne Anmeldung in der Praxis erscheinen. Man kann sie nicht abweisen, denn dann würden sie kein Krankengeld mehr bekommen. Nebenbei lässt sich die Sache aber auch nicht erledigen, denn der Arzt muss den Patienten sehen und ggf. untersuchen, wenn das Fortbestehen der AU im Raum steht.

Und was passiert, wenn der Patient den richtigen Zeitpunkt verpasst, um vorzusprechen? Dann wird es merkwürdige Umdatierungswünsche geben, die uns in die Nähe des Büros des Staatsanwaltes bringen.

Angepasst wurde auch die Anfrage zum Fortbestehen der AU, das Formular 52. Es muss ausgefüllt werden, wenn man den Krankengeldbezug verlängert und dies nicht erst – wie bisher – auf Wunsch der Kasse. Dieser "Fortschritt" ist aber mit einer Gefahr für die Praxis verbunden: Was wird passieren, wenn man die Sechswochenfrist falsch berechnet und der Patient so zu viel oder zu wenig Geld bekommt?

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legt noch einen drauf: Er hat im Oktober 2015 eine Neufassung der Rehabilitations-Richtlinie beschlossen. Ab dem 1.4.2016 entfällt das Formular 60 (Einleitung von Leistungen zur Rehabilitation oder alternativen Angeboten). Reha-Leistungen können dann auf dem Formular 61 (Reha-Antrag) verordnet werden. Was wie eine bürokratische Entlastung der Praxen aussieht, ist wieder das Gegenteil davon.

Bei der Verordnung von Reha-Maßnahmen muss bekanntlich geklärt werden, ob die GKV leistungsrechtlich zuständig ist oder ein anderer Kostenträger, etwa die Unfall- oder Rentenversicherung. Diese Frage konnte bisher mit dem Formular 60 geklärt werden.

Der Patient bekam das korrekte Reha-Formular über die Kasse zugeleitet. Darauf muss er umfangreiche Angaben zum Rehahintergrund machen und auch eine Bestätigung der Kasse beilegen, wenn die Rentenversicherung zuständig ist. Das gilt weiterhin.

"Qualifikation zum Ausfüllen des Reha-Antrags ist plötzlich bei allen Ärzten gegeben"

Die Zuständigkeit muss nun aber der Arzt vorab von der Krankenkasse klären lassen. Dazu wird es einen neuen Teil A auf Formular 61 (Beratung zu medizinischer Rehabilitation/Prüfung des zuständigen Rehabilitationsträgers) geben, den der Arzt für seine Anfrage nutzen kann. Wo hier die Entlastung sein soll, wissen wohl nur die Bürokraten im G-BA.

Auch eine Beratung des Patienten durch die Krankenkasse soll mit dem neuen Formular veranlasst werden können. So gesehen wird zwar ein Formular abgeschafft, als Ersatz aber ein neues geschaffen. Und absehbar ist, was passiert, wenn man den Patienten zur Kassenberatung schickt: Er wird wie ein Bumerang zurückkommen und von uns erklärt haben wollen, was man ihm dort erzählt hat.

Bisher konnte man sich vor dem Ausfüllen des inhaltlich eher hirnrissigen Kassen-Rehaformulars drücken, wenn man die fürs Ausfüllen notwendige Qualifikation nicht erwarb. Das ist nun vorbei: Alle Vertragsärzte sind automatisch zum Ausfüllen qualifiziert! Wer die kostenpflichtigen Qualifikationskurse absolviert hat, darf sich "veräppelt" fühlen.

Das "Meisterwerk", das zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband ausgehandelt wurde, bringt auf jeden Fall mehr Bürokratie in die Praxen. Man sollte sich auch schon einmal neue Regale anschaffen, denn die Formulare, die bisher von der Kasse an den Versicherten verschickt wurden, muss jetzt die Praxis vorhalten. Die Kassen sparen so noch Porto.

"Für die in der Praxis vorzuhaltenden Formulare ein neues Regal anschaffen"

Ach ja: Das Honorar fürs Ausfüllen des Formulars ist weiterhin über ein qualifikationsgebundenes Zusatzvolumen gesteuert. Und das ist ein Schildbürgerstreich: Das praxisindividuelle Budget basiert auf der Abrechnung des Vorjahresquartals. Hatte man da zufällig keine Anträge, erbringt man die Leistung gratis und kann erst ein Jahr später auf dem neu erworbenen Budget aufbauen. Ersonnen wurde das von der KBV, die so zumindest als Bürokratiemonster noch existiert.


Quelle: Medical-Tribune-Bericht

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