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Zu viele Diabetiker "unerkannt unterwegs"

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

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Mit der groß angelegten Informationskampagne "Unerkannt unterwegs?" macht die Deutsche Diabetes Hilfe (diabetesDE) auf jene geschätzt zwei Millionen Menschen aufmerksam, die an Diabetes erkrankt sind, es aber nicht wissen.

Zu den Kampagnentools gehören: eine auffällige Brille mit der Aufschrift "Unerkannt unterwegs? 2 Millionen Menschen in Deutschland haben Diabetes, ohne es zu wissen" sowie ein kurzer Test auf das Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken.

Der mithilfe des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) entwickelte Test auf www.2mio.de beinhaltet zehn Fragen. Je nach erreichter Punktzahl erfährt der Nutzer, ob sein Diabetesrisiko niedrig, noch niedrig, erhöht oder hoch bis sehr hoch ist.

Die Initiatoren erhoffen sich, dass den Menschen endlich der "Inkognito-Balken" von den Augen genommen wird und sie bei einem erhöhten Risiko den Mut haben, sich beim Arzt testen zu lassen. "Bis zur Feststellung eines Diabetes Typ 2 können bis zu zehn Jahre vergehen", erklärt Professor Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE, das Dilemma. Häufig werde die Diagnose erst im Zusammenhang mit einer schon vorliegenden Folgeerkrankung gestellt, z.B. einer Herzschwäche.

"Nach wie vor keine strukturierte Diagnostik"

Dies bestätigt Ingrid Dänschel, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes. Sie kritisiert, dass es hierzulande nach wie vor keine strukturierte Diagnostik gibt. Der Glukosetoleranztest bei koronarer Herzkrankheit sei nicht verpflichtend. Und beim Check-up 35 werde nur der Nüchternzucker kontrolliert.

Die in Sachsen praktizierende Hausärztin bedauerte, dass gute Ansätze – wie der im Freistaat mit der AOK vereinbarte Check-up Plus, bei dem auch das Diabetesrisiko ermittelt wird und ab einer bestimmten Punktzahl auch der HbA1C-Wert – nicht in die Regelversorgung übernommen werden. Auch werden DMPs nach ihrer Ansicht der Komplexität von Multimorbidität nicht gerecht. Dänschel rät, Programme nicht nebeneinander laufen zu lassen, sondern dem Hausarzt die Koordination zu übertragen. Schließlich würden auch 90 % der Diabetiker vom Hausarzt behandelt.

Folgeerkrankungen kosten jährlich 35 Mrd. Euro

Der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Professor Dr. Baptist Gallwitz, machte die Auswirkungen der späten Identifizierung von Erkrankungen deutlich: Pro Jahr werden circa 50 000 Amputationen, 2000 Erblindungen und circa 2300 Niereninsuffizienzen mit Dialysepflicht durch den Diabetes verursacht. Drei Viertel der Patienten mit Typ-2-Diabetes versterben an kardiovaskulären Komplikationen, vor allem Herzinfarkt, plötzlichem Herztod und Schlaganfall.

Das Leid der Betroffen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Hinzu kommen enorme Kosten für die Gesellschaft, verursacht vor allem durch die Folgeerkrankungen. Prof. Gallwitz gab an, dass die Sozialkassen jährlich 35 Mrd. Euro dafür zahlen. Dabei bewegen sich die Kosten für Komplikationen pro Fall zwischen 500 Euro im ersten Behandlungsjahr und 3200 Euro im achten Jahr. "Bei Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes haben aufgrund der Verspätung der Diagnosestellung bereits 30 % der Patienten nachweisbare Gefäßkomplikationen", erklärt der DDG-Präsident.

Prof. Danne: Wir brauchen einen Bundesbeauftragten

Für Prof. Danne greifen alle bisherigen politischen Initiativen zu kurz. Das Präventionsgesetz z.B. sei nur "ein Tropfen auf den heißen Stein". Er mahnte, statt der Gesundheitsförderung eine Umgestaltung der Lebenswelten anzugehen.

Dabei verwies er auf vier Forderungen von DDG und diabetesDE: eine Zucker-Fett-Steuer, mindestens eine Stunde Sport täglich in Schule und Kindergarten, verbindliche Qualitätsstandards für Kita- und Schulspeisung sowie ein Verbot von an Kinder und Jugendliche gerichteter Werbung für übergewichtsfördernde Lebensmittel. Nötig seien auch eine ressort- und bundesländerübergreifende Strategie sowie ein Bundesbeauftragter Adipositas und Diabetes.


Quelle: Pressekonferenz von diabetesDE

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