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Korruption im Gesundheitswesen – Der Fall Alexander B.

Seit Juli 2020 ist bekannt, dass der bekannteste Kämpfer gegen Korruption im Gesundheitswesen selbst wegen Korruption im Fokus der Justiz steht: Oberstaatsanwalt Alexander Badle hat über viele Jahre Gutachtertätigkeiten gegen Schmiergeld vergeben. Im Fokus seines Ermittlungseifers: vor allem Ärztinnen und Ärzte. Medical Tribune hat die Entwicklungen von Anfang an begleitet. Ein Blog.

Veröffentlicht: 27.07.2020    Aktualisiert: 06.12.2023    Autorin: Anouschka Wasner


Sechs Jahre – und jetzt?

Im Mai dieses Jahres erfolgte das Urteil gegen den Ex-Oberstaatsanwalt, der jahrelang als der König der Korrurptionsjäger im Medizinalstrafrecht galt. Jetzt liegt das Urteil schriftlich vor. Was es für Ärztinnen und Ärzte heißt – und was nicht.
Sechs Jahre – und jetzt? Wie das Urteil gegen Alexander Badle, den korrupten Korruptionsjäger, bewertet werden kann


"Erhebliches Maß an krimineller Energie und reichlich Chuzpe"

12. Mai 2023 - Das Urteil steht: Der ehemaliger Oberstaatsanwalt Alexander Badle wurde vom Landgericht Frankfurt zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der frühere Leiter der Ermittlungsstelle gegen Korruption in Hessen habe sich der Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung schuldig gemacht, so die Richter. Der mitangeklagter Unternehmer und Schulfreund wurde wegen Bestechung und Subventionsbetrugs zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft hatte siebeneinhalb Jahre Haft gefordert - sie ging von einem besonders schweren Fall aus. Alexander B. sei mit einem «erheblichen Maß an krimineller Energie und reichlich Chuzpe» vorgegangen. Neben dem materiellen Schaden habe er dem Ansehen der hessischen Justiz massiv geschadet. Die Verteidigung plädierte für maximal vier Jahre.


Korruption in Hessen – es geht um’s Ganze

30. Januar 2023 - In Hessen wird zurzeit ein Korruptionsfall im Bereich des Medizinstrafrechts verhandelt, der zu Recht deutschlandweite Beachtung erhält. Oberstaatsanwalt Alexander Badle soll über viele Jahre im Rahmen von Ermittlungsverfahren u.a. gegen Ärztinnen und Ärzte Gutachtertätigkeiten gegen Schmiergeld vergeben haben.

Warum es beim Blick auf das System dahinter auch um Ärztinnen und Ärzte und die Kassenärztlichen Vereinigungen geht. Ein Kommentar.


„Ich wusste, dass mein Handeln unzulässig war“

20. Januar 2023 - Am zweiten Tag der Hauptverhandlung gegen Oberstaatsanwalt Alexander B. verlas dieser eine 19-seitige Aussage, die mit Spannung erwartet worden war. In seiner Einlassung räumte er die Annahme von Bestechungsgeldern umfassend ein.

Zum persönlichen Hintergrund, der einen unerwarteten Stellenwert einnahm, sprach er von einer traumatisierenden Kindheit mit Missbrauchs- und Gewalterfahrungen. Diese hätten bei ihm einen „starken Überlebenswillen“ zur Folge gehabt hätten. Darüber hinaus sei er durch eine langjährige Beziehung mit einer psychisch erkrankten Partnerin finanziell stark gefordert gewesen. Die Folge: Flucht in Arbeit.

>> Wie Oberstaatsanwalt Alexander B. versucht zu erklären, wie alles kam und warum er es bereut. Und was dabei fehlte.


 

Die Autorin: Anouschka Wasner ist seit Anfang der 2000er Redakteurin der Medical Tribune. Wie anderen Journalist:innen aus dem Gesundheitsbereich war ihr Oberstaatsanwalt Alexander B. auch vor seiner Festnahme im Sommer 2020 schon ein Begriff: Der Gründer der 2009 noch ersten „Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen“ spielte eine beachtliche Rolle im Berufsleben der ärztlichen Leserschaft der Medical Tribune - der Präventiveffekt seiner Arbeit lässt sich kaum leugnen. Umso unnachahmlicher im wahrsten Sinne des Wortes empfindet die Autorin den brachialen Absturz des Korruptionsexperten.  


Das "System B.": Fehlende Kontrollsysteme schuld an Mega-Justizskandal?

17. Januar 2023 - Jetzt, wo das Verfahren gegen Alexander B., den ehemaligen Leiter der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsrecht in Frankfurt endlich eröffnet wurde, zeigt sich der Angeklagte geständig. Bei der Schuldfrage wird von verschiedener Seite aber auch auf das System verwiesen. Zu Recht?

> Das "System B.": Fehlende Kontrollsysteme schuld an Mega-Justizskandal?


Hauptverhandlung gegen Alexander B. begonnen

13. Januar 2023 - Rund zweieinhalb Jahre nach seiner ersten Festnahme begann heute - an einem Freitag, den 13. - vor dem Landgericht Frankfurt das Hauptsacheverfahren gegen Oberstaatsanwalt Alexander B. Vorgeworfen werden dem ehemaligen Leiter der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) 101 Fälle von fortgesetzter gewerbsmäßiger Bestechlichkeit, 55 Fälle gewerbsmäßiger Untreue im Amt sowie 9 Fälle von Steuerhinterziehung für den strafrechtlich noch nicht verjährten Zeitraum seiner Aktivität von 2015 bis 2020. 

Einem mitangeklagten Unternehmer werden 81 besonders schwere Bestechung und vier Fälle Subventionsbetrug vorgeworfen. Seit 2005 sollen die beiden Angeklagten in Absprache miteinander im Rahmen von Ermittlungsverfahren relevante Geldsummen für sich abgezweigt haben. 

Die Verlesung der Anklage kostete die Staatsanwaltschaft fast drei Stunden. Die Anklageschrift stützt die Vermutung, die sich aus dem bislang Bekannten schon ergeben hatten: Das "System B." stieß über viele Jahre auf quasi keinen Widerstand und war im Kern verblüffend einfach. Bei einem Verdacht auf Fehlverhalten ließ Alexander B. im Rahmen der Ermittlungen Gutachten bei bestimmten Unternehmen erstellen. Als Gegenleistung erhielt er von den Firmen Kick-back-Zahlungen. Je mehr Ermittlungen er führte und je mehr Leistungen von den Firmen erbracht wurden, desto mehr profitierte Alexander B. von seinem System.

Funktionieren konnte das unter anderem, weil die von den Unternehmen eingereichten Rechnungen von B. selbst abgezeichnet wurden. Die Kosten trug dann das Land Hessen. Oder die Beschuldigten, häufig Niedergelassene. Die Kunstgriffe, die B. einsetzte, um das System am Laufen zu halten, werden im Laufe des Verfahrens - das sich über mehrere Wochen erstrecken wird - wohl näher beleuchtet werden.  

Inwieweit nicht nur die Rechnungen, sondern auch die Qualität der Gutachten angreifbar sind - was die Ärztinnen und Ärzte, die in den vergangenen Jahren mit dem Oberstaatsanwalt zu tun hatten, besonders interessiert - wurde bislang noch wenig thematisiert. 

Zum nächsten Verhandlungstermin will sich der Angeklagte vor Gericht ausführlich einlassen. Vielleicht kommt dann auch zu diesem Thema mehr ans Tageslicht.


Ehemaliger Korruptionsjäger vor Gericht – worum geht es?

Am 23. Juli 2020 meldete die Staatsanwaltschaft Frankfurt die Festnahme von Alexander B., Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main und Leiter der dortigen Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen. Der Verdacht: Alexander B. soll über einen Zeitraum von 15 Jahren Gutachteraufträge im Wert von mehr als zwölf Millionen Euro an einige wenige Unternehmen vergeben haben, von welchen er dann hunderttausende Euro an Schmiergeldern kassierte.

Im hessischen Landtag spricht man von einem der großen Justizskandale der Nachkriegszeit. Hauptzielgruppe des Ehrgeizes des „Korruptionsjägers“ waren Ärztinnen und Ärzte.

Am 13. Januar 2023 begann in Frankfurt die Hauptverhandlung gegen Alexander B. Kern der Anklageschrift, deren Verlesung fast drei Stunden dauerte: Jetzt geht es ganz konkret um 101 Fälle von fortgesetzter erwerbsmäßiger Bestechlichkeit, 55 Fälle gewerbsmäßiger Untreue im Amt sowie 9 Fälle von Steuerhinterziehung. Der Beschuldigte will umfassend gestehen. In der weiteren Verhandlung wird es in erster Linie um Strafminderungsgründe gehen, so sein Anwalt. Unter anderem vor diesem Hintergrund wird voraussichtlich das gesamte „System B.“ ausgiebig beleuchtet.


Alexander B. verstieß gegen Auflagen

8. März 2022 - Bei seiner erneuten Festnahme am 28. Januar 2022 hielt sich Oberstaatsanwalt Alexander B. nicht den Auflagend folgend in seiner eigenen Wohnung auf, sondern bei einer Oberstaatsanwältin der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Das teilte Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) am Montag im rechtspolitischen Ausschuss des Landtags mit.

Die Oberstaatsanwältin gilt als Zeugin. Sie berufe sich jedoch auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht, da sie mit dem Beschuldigten verlobt sei, hieß es weiter.

Die erneute Festnahme zum aktuellen Zeitpunkt wurde notwendig , weil die Ermittlungen zu weiteren Tatvorwürfen mit erhöhter Straferwartung, Verdunklungsgefahr und Fluchtgefahr geführt hätten, wie die Ministerin berichtete.

Die Tatvorwürfe zum aktuellen Zeitpunkt: 101 Fälle von fortgesetzter erwerbsmäßiger Bestechlichkeit, 55 Fälle gewerbsmäßiger Untreue im Amt sowie 9 Fälle Steuerhinterziehung für den strafrechtlich noch nicht verjährten Zeitraum von 2015 bis 2019.

Die Opposition monierte die lange Dauer bis zum Verfahren. Gerald Kummer (SPD) zitierte Medien mit dem Titel "Größter Justizskandal der Nachkriegsgeschichte", Marion Schardt-Sauer (FDP) unterstrich, der Skandal würde "Systemschwäche" offenbaren. Die Ministerin dagegen versicherte, es seien ausreichend Ermittler mit dem Fall beschäftigt und sagte: "Es wird mit Hochdruck an der Anklageschrift gearbeitet." Einschätzungen von Beobachtern zufolge ist in der ersten Jahreshälfte mit der Anklageschrift zu rechnen.


Oberstaatsanwalt Alexander B. zurück in U-Haft

2. Februar 2022 - Seit einigen Tagen ist Alexander B. wieder in Untersuchungshaft. Der neue Haftbefehl war erforderlich, so die Staatsanwaltschaft, weil die Ermittlungen neben dem Korruptionsvorwurf jetzt auch einen dringenden Tatverdacht wegen gewerbsmäßiger Untreue und Steuerhinterziehung in einer Vielzahl von Fällen begründeten. Oberstaatsanwalt Alexander B. habe die Zentralstelle für Medizinstrafrecht ZMS gezielt instrumentalisiert, um einer auf seine Initiative hin gegründeten Firma sowie deren Mitarbeiterinnen und sich selbst auf Kosten der hessischen Justiz Einnahmen zu verschaffen.

Die Staatsanwaltschaft ermittle inzwischen in 101 Fällen wegen gewerbsmäßiger und fortgesetzter schwerer Bestechlichkeit  gegen den 54-Jährigen. Gewerbsmäßige Untreue im Amt wird ihm in mindestens 55 Fällen vorgeworfen und neunfache Steuerhinterziehung. 

Laut Staatsanwaltschaft ist dem Land Hessen hierdurch nur für den (nicht verjährten) Zeitraum von August 2015 bis Juli 2020 und nur für die bereits ermittelten Fälle ein Schaden in Höhe von 558.000 € entstanden. Damit hat sich die Summe, von der bislang mindestens ausgegangen wurde, quasi verdoppelt. Die Höhe des Gesamtschadens könne angesichts der noch andauernden Ermittlungen und Auswertungen nicht abschließend beziffert werden.

Geschädigt wurde jedoch nicht nur das Land Hessen, „sondern in einzelnen Fällen auch Verurteilte, denen Verfahrenskosten auferlegt wurden, die sie nicht hätten erbringen müssen“. So hatte es ein Vertreter der ermittelnden Frankfurter Staatsanwaltschaft im Dezember 2021 vor dem rechtspolitischen Ausschuss des Hessischen Landtages formuliert.

Das ist naheliegend: In Fällen, in denen ein Verfahren gegen Auflage eingestellt wird oder der Beschuldigte verliert, werden die Kosten für Gutachten häufig vom Beschuldigten getragen. Doch nicht nur das: Da die Staatsanwaltschaft jetzt genauer benennt, wie die Gutachten erstellt wurden, stellt sich die Frage, wie stichhaltig diese überhaupt sind.

Aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung als Leiter der ZMS und der von ihm initiierten dauerhaften Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern kam Alexander B. sowohl eine Vermögensfürsorge- als auch eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Land Hessen zu.

Das Gesetz sieht für die zur Last gelegten Taten der gewerbsmäßigen Untreue im Amt, der schweren Bestechlichkeit sowie der Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall jeweils Freiheitsstrafen von bis zu 10 Jahren vor. Die Gesamtstrafe dieser Taten kann sogar 15 Jahre betragen. Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten und acht weitere Beschuldigte, darunter auch der nächste Mitarbeiter von Alexander B., ein weiterer Staatsanwalt, dauern an.

>> Mehr: Goldesel-Gutachten auch von Ärzten bezahlt


System B.: Gerichtsurteil entlarvt Korrutionspraktiken von Alexander B.

30. November 2021 - In der Sache Alexander B., ehemaliger Oberstaatsanwalt in Frankfurt, ist auch nach fast anderthalb Jahren noch keine Anklageerhebung in Sicht. Aber ein bisschen was bewegt sich doch. Unter anderem durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, das sich deutlich zur Praxis des B. positioniert. Die juristische Verfolgung des Systems scheint an ersten Punkten zu greifen:

>> "Im Vorbeigehen verurteilt: Gericht sollte über Kosten entscheiden – und entlarvt Praktiken des Ex-Korruptionsverfolgers Alexander B."


Keine Übernahme der Frankfurter Staatsanwälte für Medizinwirtschaftsstrafrecht

14. Januar 2021 – Die bei der Staatsanwaltschaft Fulda in der Zentralen Staatsanwaltschaft für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZSMS) neu eingerichteten Stellen wurden nicht mit ehemaligen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) besetzt. Das bestätigte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf Nachfrage. Die ZSMS ist die Nachfolgerin der ehemals bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angesiedelten ZMS, die infolge des Korruptionsskandals um den Oberstaatsanwalt Alexander B. im August 2020 aufgelöst wurde.

Zurzeit werden alle 267 laufenden Ermittlungsvorgänge sukzessive an die Staatsanwaltschaft Fulda abgegeben. In einzelne Verfahren arbeite sich die neu zuständige Staatsanwaltschaft bereits ein, so der Sprecher. Von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main würden keine Abschlussentscheidungen getroffen, nach Übernahme der einzelnen Ermittlungsverfahren erfolgt die Verfahrensbearbeitung ausschließlich durch die Staatsanwaltschaft Fulda. Dabei sei mit einer gewissen Einarbeitungszeit zu rechnen.

Auf die Nachfrage, ob ggf. Fälle in Bearbeitung komplett neu aufgegriffen werden oder abgeschlossene Fälle einer neuerlichen Prüfung unterworfen werden könnten, wollte sich die Generalstaatsanwaltschaft nicht äußern, da die weitere strafrechtliche Bewertung der Staatsanwaltschaft Fulda obliege.

Die neue Stelle soll intensiver mit Kassen(zahn-)ärztlichen Vereinigung und Krankenkassen zusammenarbeiten. Dazu gehöre z.B. die verstärkte Zulieferung von Informationen wie etwa gebührenrechtliche Grundlagen oder statistische oder erfahrungswertbasierte Hintergrunderkenntnissen. Vorgesehen ist außerdem eine verstärkte Einbindung der hessischen Polizei in die Auswertungsermittlungen.

Ob und in welchem Umfang darüber hinaus externer Sachverstand erforderlich ist, werde die Staatsanwaltschaft Fulda im Einzelfall beurteilen. Um Vorkommnisse wie im Fall des Oberstaatsanwalt Alexander B. zu verhindern, hatte die Justizministerin im August 2020 fünf Sofortmaßnahmen ergriffen, zu denen auch das bis dato nicht verpflichtende 4-Augen-Prinzip für eine Beauftragung externer Sachverständiger gehört.


Neue Zentrale Staatsanwaltschaft für Medizinwirtschaftsstrafrecht in Fulda

8. Januar 2021 - Justizministerin Eva Kühne-Hörmann hat gemeinsam mit der stellvertretenden Generalstaatsanwältin Christina Kreis und dem Leiter der Staatsanwaltschaft Fulda Dr. Patrick Liesching die neu gegründete Zentrale Staatsanwaltschaft für Medizinwirtschaftsstrafrecht bei der Staatsanwaltschaft Fulda (ZSMS) vorgestellt. Die Ministerin begrüßte, dass die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt die frühere Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht zügig abgewickelt habe und die neue ZSMS bereits zum Jahresbeginn die Arbeit aufnehmen konnte. Die Wahl sei bewusst auf die Staatsanwaltschaft Fulda als eher kleinere Behörde mit kurzen Wegen gefallen.

Die ZSMS ist damit die Nachfolgerin der bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angesiedelten Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht. Ab Oktober 2020 hatte eine Arbeitsgruppe, der neben Frau Kreis und Herrn Dr. Liesching die Präsidentin des Hessischen Landeskriminalamtes, Frau Thurau, Vertreter des Landespolizeipräsidiums und des Hessischen Ministeriums der Justiz sowie Vertreter von Institutionen aus dem Gesundheitswesen angehörten, über das Konzept der neuen ZSMS beraten. Aus den Beratungen hat die Generalstaatsanwaltschaft ein Konzept für die Arbeit der neuen ZSMS  erarbeitet.

Der Staatsanwaltschaft Fulda wurden insgesamt zwei Stellenanteile für die Bearbeitung von medizinwirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren zur Verfügung gestellt. Das entspricht demselben Stellenumfang wie sie der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsrecht zur Verfügung gestanden haben. 

Bei der ZSMS werden insgesamt vier Dezernenten mit der Bearbeitung von medizinwirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren betraut sein, zwei davon überwiegend mit der Bearbeitung solcher Verfahren, zwei Dezernenten mit einem geringen Anteil. Außerdem wird die Staatsanwaltschaft Fulda zwei Sekretariatsstellen erhalten, die in der Generealstaatsanwaltschaft nach Auflösung der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsrecht ebenfalls frei wurden.

Zur Errichtung einer neuen (Wirtschaftsstraf-)Abteilung soll außerdem eine der für die medizinwirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren zuständigen Dezernentenstellen zu einer Abteilungsleiterstelle hochgestuft werden, wobei die Bearbeitung der medizinwirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren durch Dezernenten der Abteilung erfolgen soll. Der künftige Abteilungsleiter soll dabei auch weiterhin ein (Teil-)Dezernat für Wirtschaftsstrafverfahren bearbeiten.

Das Konzept der Generalstaatsanwaltschaft für die ZSMS sieht für die Bearbeitung der komplexen Verfahren unter anderem folgende Punkte vor:

  • angereicherte Anzeigeerstattungen und eine intensivierte Zusammenarbeit mit den KVenund KZVen sowie den Krankenkassen,
  • eine verstärkte Einbeziehung der Polizei in die Ermittlungen, die durch das Hessische Landeskriminalamt koordiniert werden,
  • eine qualifizierte Aus- und Fortbildung der polizeilichen Sachbearbeiter und staatsanwaltschaftlichen Dezernenten und
  • eine bundesweite Vernetzung mit anderen Staatsanwaltschaften und Akteuren des Gesundheitswesens.

Infolge der Korruptionsermittlungen: Insolvenz der Spezialisten 

19. Oktober 2020 - Alle drei Unternehmen, die in den Ermittlungen gegen Oberstaatsanwalt Alexander B. eine Rolle spielen, haben nach Berichten des Handelsblattes Insolvenzantrag gestellt.

Dazu gehört einmal eine Frankfurter Firma mit rund 30 Mitarbeitenden, die deutschlandweit von Unternehmen und Behörden mit der Sicherung von digitalen Beweismitteln betraut wurde – zum Beispiel auch im Umfeld des Cum-Ex-Skandals. Die beiden Geschäftsführer der IT-Forensik-Firma sollen eingeräumt haben, über Jahre dafür gezahlt zu haben, dass der Staatsanwalt Aufträge an sie vergibt. B. soll 2014 auf die Firma zugekommen sein, als diese finanziell unter Druck gestanden habe, und eine vertiefte Zusammenarbeit gegen Sonderzahlung angeboten haben, so das Handelsblatt. Die Geschäftsführer hätten sich darauf eingelassen, weil sie fürchteten, dass sonst nicht nur Aufträge der Frankfurter Staatsanwaltschaft ausbleiben könnten, sondern dass der Einfluss des Ermittlers ausreichen könnte, um auch andere Behörden von Aufträgen abzubringen.

Ein weiteres hochspezialisiertes Unternehmen, das im Zuge der Ermittlungen Insolvenz angemeldet hat, ist jenes, das ein Schulfreund von B. auf Initiative von Alexander B. im Jahr 2005 gegründet haben soll. Sein Geschäftszweck: Erstellen von Gutachten für Justizbehörden. In den letzten zehn Jahren soll das Unternehmen so Einnahmen in Höhe von über 12,5 Millionen Euro aus Gutachtenvergütungen von Justizbehörden aufgrund von Aufträgen des Staatsanwaltes erzielt haben. Die Firma hatte die Staatsanwaltschaft bei zahllosen Ermittlungen gegen Ärzte und Krankenhäuser mit der Überprüfung der Abrechnungen unterstützt.

Und eine weitere Firma des Schulfreunds B. ist nun ein Fall für den Insolvenzverwalter, berichtet das Handelsblatt: Eine 2018 gegründete Gesellschaft, deren Tätigkeit im Firmenregister mit der Erstellung von Gutachten im Bereich medizinischer Abrechnungen angegeben ist, soll in den Korruptionskomplex verstrickt gewesen sein, wenn auch nur in sehr geringem Ausmaß.

Im Rechtspolitischen Ausschuss Ende September hatte die Staatsanwaltschaft sich erneut dahingehend geäußert, dass keine stichhalten Zweifel an der Qualität der für Alexander B. erstellten Gutachten bestünden. Es sei jedoch in dem Verfahren in keiner Richtung „ausermittelt“ und es werde weiteren Hinweisen nachgegangen. Unklar ist auch weiterhin, wie ohne die hochspezialisierte Expertise der Unternehmen in den offenen Verfahren gegen Ärzte und Krankenhäusern weiterermittelt werden wird. Weitere Informationen sind zurzeit von der Staatsanwaltschaft mit Verweis auf das laufende Verfahren gegen Alexander B. nicht zu erhalten.


Oberstaatsanwalt aus Untersuchungshaft entlassen, obwohl Haftbefehl erweitert

28. September 2020 - Der vor rund zehn Tagen ausgesetzte Haftbefehl gegen Alexander B. wurde vom Amtsgericht erweitert. Das erklärte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) heute im Rechtspolitischen Ausschuss des Hessischen Landtages.

Dabei geht es um einen Betrag von 28.000 Euro, den Oberstaatsanwalt B. zwischen September 2018 und Juli 2020 über die schon bekannten Kickback-Zahlungen hinaus in bar erhalten haben soll. Insgesamt sind damit 334.000 Euro Gegenstand der Ermittlungen, von denen 268.000 vom datenauswertenden Unternehmen stammen sollen und 66.000 Euro vom EDV-Dienstleister.

Alexander B. habe sich in zwei Vernehmungen sehr ausführlich zu den Vorwürfen geäußert und sämtliche Zuwendungen im Zeitraum von Juli 2016 bis Juli 2020, auch jene den erweiterten Tatvorwurf betreffend, eingeräumt.

Die zuständige Richterin hatte „massive Bedenken“ gegen die Haftverschonung geäußert, es bestünde weiterhin Verdunklungsgefahr. Die Auflagen wie das Kontaktverbot seien praktisch nicht zu überwachen, die Haftverschonung beruhe auf der „bloßen Hoffnung“, der Beschuldigte würde sich an die Auflagen halten. In ihrem Urteil folgte sie einem Rechtsspruch des Bundesgerichtshofes.

Die Staatsanwaltschaft betonte, dass der Haftverschonungsantrag vonseiten der Staatsanwaltschaft nichts Ungewöhnliches sei. Zur Beherrschung der fortbestehenden Verdunklungsgefahr sei der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht notwendig, erklärte Dr. Albrecht Schreiber, Leitender Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Frankfurt. 

Mitglieder des Rechtsausschusses fragten bei der Justizministerin eine statistische Auswertung an, wie viele der 329 Fälle, in denen im Bereich der Staatsanwaltschaft Frankfurt im Jahr 2019 Anträge auf Haftverschonung gestellt wurden, von Rechtsanwälten gestellt worden waren und wie viele von der Staatsanwaltschaft.


Neue bayerische Zentralstelle gegen Betrug im Gesundheitswesen startet mit interner Korruptionsprävention

24. September - Seit September gibt es bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen für Bayern. Oberstaatsanwalt Richard Findle, der die Zentralstelle leitet, wollte sich nicht dazu äußern, ob die hessischen Verhältnissen Einfluss auf Bayern genommen haben.

Unabhängig davon ist aber bei der Beauftragung von Sachverständigen ein Vier-Augen-Prinzip zur Vermeidung von Korruption angeordnet. In Hessen wurde dasselbe System erst als Reaktion auf die Machenschaften des Oberstaatsanwaltes B. installiert.

Darüber hinaus sollen in Bayern Aufträge an Sachverständige statistisch erfasst und durch den Korruptionsreferenten der Generalstaatsanwaltschaft geprüft werden. Interessant wird sein, ob das Augenmerk auf z.B. die Häufung von Aufträgen an ein Unternehmen hilfreich ist. Die umfangreichen und komplexen Datenauslesungen und -auswertungen werden bislang nur von wenigen hochspezialisierten Unternehmen vorgenommen.

Um die Beauftragung auswärtiger Sachverständiger entbehrlich werden zu lassen, so Findle, strebe man die Einstellung von Medizinischen Fachangestellten und IT-Mitarbeitern. Und fügt hinzu: „Im Bereich der Sicherung und Auswertung von digitalen Daten wird im Einzelfall, insbesondere bei besonders komplexen Verfahren, eine Beauftragung von externen Dienstleistern weiterhin notwendig sein.“

Aus den Reihen der gesetzlichen Kassen soll es Stimmen geben, die darauf drängen, Ermittlungsaufträge nicht mehr an private Unternehmen auszulagern. Die Arbeitsgemeinschaft der Kranken- und Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) äußerte sich auf Anfrage lediglich, man begrüße die Einrichtung der Zentralstelle.

Christian Bredl, Leiter der Landesvertretung Bayern der Techniker Krankenkasse, bestätigt dagegen, dass aufgrund der Spezialmaterie vertieftes Wissen und Erfahrung zwingende Voraussetzung zur Fallbearbeitung durch Kriminalpolizist und Staatsanwalt ist. Oft werde ein Fehlverhalten nur durch Spezialwissen erkennbar. Die Einschaltung ausgebildeter Personen zur Ermittlung der Schäden sei notwendig und der Zugriff auf private Dienstleister nachvollziehbar, sinnvoll und u.U. sogar prozessual geboten.

Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Tatsache, dass die Konstellation in Hessen wohl personenbezogen bewertet werden muss und nicht strukturbezogen, habe die TK grundsätzlich kein Problem in der Zusammenarbeit der Zentralstelle mit privaten Dienstleistern, sofern die Auftragsvergabe ordnungsgemäß und ohne persönliche Interessen erfolgt.


Neue Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft Medizinwirtschaftsstrafrecht wohl in Fulda

22. September 2020 - Die Justizministerin habe angekündigt, dass Kompetenzen im Medizinwirtschaftsstrafrecht in Form einer Schwerpunktstaatsanwalt gebündelt werden sollen, die wohl am Standort Fulda angesiedelt werde, erklärte Marion Schardt-Sauer, justizpolitische Sprecherin der Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag in einer Presseinformation.

Man begrüße grundsätzlich die Bündelung von Kompetenzen in diesem Bereich, da die Sachverhalte und die Auswertung medizinischer Abrechnungen häufig komplex sind. Zu bedenken ist dabei jedoch, dass zusätzliches Personal sowie Büros und technische Mittel bereitgestellt werden müssen. Priorität muss allerdings die Implementierung von Regeln haben, dass Korruption zukünftig verhindert und bestmöglich bekämpft werden kann.

Darüber hinaus müsse die Justizministerin schnellstmöglich klären, wer zukünftig die Auswertung von Daten übernimmt, nachdem die Zusammenarbeit mit den bisherigen Firmen beendet wurde. Ebenso müsse rasch geklärt werden, an wen sich die Kassenärztliche Vereinigung in Verdachtsfällen wenden kann und wer die Sachverhalte bearbeitet, so Schardt-Sauer.


Oberstaatsanwalt Alexander B. aus Untersuchungshaft entlassen

21. September 2020 - Oberstaatsanwalt Alexander B. wurde vor wenigen Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Die zuständige Ermittlungsrichterin sah Berichten der Hessenschau zufolge eine erhebliche Verdunklungsgefahr und der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse sogar erweitert.

Aus der Untersuchungshaft entlassen werden konnte der Angeklagte aufgrund eines Antrages auf Haftverschonung - heißt: Solange sich der Beschuldigte an die Auflagen hält, wird der Haftbefehl nicht vollstreckt, er bleibt aber als solcher bestehen. Anders als üblich soll der Antrag auf Haftverschonung nicht von den Verteidigern des Beschuldigten gekommen sein, sondern von der Staatsanwaltschaft, erklärt das Handelsblatt den Widerspruch. Eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes verlangt dann in solchen Fällen die Entlassung aus der U-Haft.

Der Oberstaatsanwalt, dessen Namen mittlerweile von den meisten Medien genannt wird, da er über seine Funktion von Beginn an zu identifizieren war, soll weitgehend gestanden haben. Mehr zu seinen Aussagen ist bislang nicht bekannt.


Nach internem Korruptionsskandal: Justizministerin will Korruption konsequent verhindern

9. September 2020 - Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hat das Konzept der neu aufgestellten Innenrevision im Hessischen Ministerium der Justiz veröffentlicht. Die Maßnahme ist Teil des 5-Punkte-Maßnahmenkatalogs zur Bekämpfung und Prävention von Korruption, den die Ministerin dem Rechtsausschuss im Rahmen einer Sondersitzung anlässlich der Vorwürfe gegen Oberstaatsanwalt Alexander B. vorgestellt hatte.

Eva Kühne-Hörmann erklärte: „Die beispiellosen Vorwürfe gegen einen Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft machen mich noch immer fassungslos. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis handelte es sich um Taten mit hoher krimineller Energie, die auch aus diesem Grund nur schwer zu entdecken waren.“

Die Stabsstelle soll unmittelbar dem Staatssekretär unterstellt sein. Sie soll den Fall Alexander B. aus Sicht der Innenrevision aufarbeiten. Durch einen Prüfungsansatz, der sich am Risiko orientiert, soll in Zukunft sichergestellt werden, dass Bereiche mit einem größeren Risiko künftig intensiver und häufiger kontrolliert werden als Bereiche mit einem kleineren Risiko.


System des Anti-Korruptions-Staatsanwaltes brachte für manche Ärzte auch Vorteile

13. August 2020 - Aktuell gibt es 256 offene Ermittlungsverfahren von Oberstaatsanwalt B., so ein Sprecher des Hessischen Justizministeriums auf Anfrage von Medical Tribune. Und über 800 Ermittlungsverfahren hat Alexander B. allein in den letzten fünf Jahren abgeschlossen, in dem Zeitraum, der für die Ermittler von größtem Interesse ist, da für diese Jahre noch keine Verjährung eingesetzt hat.

Interessant dabei ist, dass das juristische Vorgehen von Alexander B. sogar so etwas wie ein Glücksfall sein konnte für die Ärzte, die ins Visier der Ermittlungen geraten waren:

> Vorgehen des Oberstaatsanwalt B. barg für manche Ärzte auch Vorteile


Medizinwirtschaftsrecht: So viele Ermittlungsverfahren sind offen

7. August 2020 - Wie in der 15. Sitzung des Rechtspolitischen Ausschusses im hessischen Landtag in Wiesbaden bekannt wurde, sind aktuell offensichtlich noch 256 Ermittlungsverfahren* des Oberstaatsanwalt B. offen.

Dass sich die Beschuldigten in diesen Fällen mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine überdurchschnittliche Länge ihres Verfahrens einstellen müssen, liegt auf der Hand: Sowohl die laufenden Aufträge der beiden Unternehmen, die im Ermittlungsverfahren im Fokus stehen, wurden gestoppt wie auch die weitere Auftragsvergabe an die Unternehmen. Außerdem soll die Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) aufgelöst werden. Wer die Fälle übernehmen soll, ist noch nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass in der Regel von komplexen Verfahren die Rede ist, die höchste Sachkenntnis erfordern und entsprechende Qualifikationen bzw. Einarbeitungszeiten.

In den fünf Jahren 2015 bis 2020, die von den Ermittlern besonders ins Auge genommen werden, da zu den Vorkommnissen in diesen Jahren noch keine Verjährungsfristen eingesetzt haben, wurden von Oberstaatsanwalt B. insgesamt mind. 865 Ermittlungsverfahren angestrengt.

Hier eine Tätigkeitsbilanz der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsrecht (ZMS) bzw. der Vorgängerinstitution, der Zentralstelle zur Bekümpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen (ZBVKG): 2005: 446 Verfahren; 2006: 229 Verfahren; 2007: 476 Verfahren; 2008: 87 Verfahren; 2009: 282 Verfahren; 2010: 569 Verfahren; 2011: 216 Verfahren; 2012: 160 Verfahren; 2013: 147 Verfahren; 2014: 145 Verfahren; 2015: 204 Verfahren; 2016: 146 Verfahren; 2017: 142 Verfahren; 2018: 159 Verfahren; 2019: 151 Verfahren; 2020: 63 Verfahren (Stand: 25.06.2020).

Quelle: Presseinformation der Zentralstelle für Medizinwirtschaftsrecht (ZMS), Juni 2020. Daraus ergibt sich eine Summe für die Jahre 2005 bis 2020 von 3319 Verfahren. für den Zeitraum 2002 bis 2019 wird die Zahl der Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalt B. (einschließlich der Fälle der vorausgegangenen Institution AG Ärzte) vom Justizministerium mit 5330 angegeben.

* korrigiert am 13.8., zuvor waren hier 303 angegeben, die Verfahren wurden mittlerweile händisch von den Ermittlern ausgezählt


System B.: Qualität der Gutachten aktuell nicht im Visier der Ermittlungen

6. August 2020 - Stark diskutiert und nachgefragt wurde im Rechtspolitischen Ausschuss im hessischen Landtag in Wiesbaden, inwieweit auch die Qualität der Gutachten selbst bzw. ihre Sinnhaftigkeit anzuzweifeln ist. Schließlich sei es typisch für Korruption, dass auch Bedarfsschaffung ein Teil davon sei.

Dazu wies die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) wiederholt darauf hin, dass die aktuellen Ermittlungen sich ausschließlich auf Bestechung und Bestechlichkeit beziehen. Aktuell sei kein Anlass gegeben, die Qualität der Gutachten in Frage zu stellen. Selbstverständlich könne sich das aber im Laufe der Ermittlungen verändern.

Unklar blieben in dieser Sitzung des Rechtsausschusses auch die Folgen des "System B." für die Staatskasse. Der Oberstaatsanwalt war dafür bekannt, dass er häufig Verfahren gegen Auflagen einstellte. Aktuell seien aber keine Zahlen verfügbar, wie viele Verfahren das betrifft und wer in diesen Fällen die Kosten für die Gutachten übernommen hat. Diese können offensichtlich entweder dem Beklagten auferlegt werden oder an die Staatskasse fallen.


Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) in Frankfurt aufgelöst

6. August 2020 - Justizministerin Kühne-Hörmann präsentierte im Rechtspolitischen Ausschuss im hessischen Landtag in Wiesbaden im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal des Oberstaatsanwalt B. fünf Sofortmaßnahmen:

1. Die Zahlungen an beide Unternehmen, die den Ermittlungen zufolge in das Korruptionssystem eingebunden waren, wurden eingestellt, genauso wie die laufende Gutachtertätigkeiten und es wurde ein Auftragsstopp verhängt.

2. In allen Staatsanwaltschaften soll in Zukunft das Vier-Augen-Prinzip bei der Vergabe von Gutachteraufträgen gelten. Bislang oblag es den jeweiligen Behördenleitern, das Prinzip einzurichten, entsprechend galt es in einigen Staatsanwaltschaften, nicht jedoch in der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt.

3. Es soll eine Stabsstelle Innenrevision eingerichtet werden, deren Aufgabe es ist, korruptionsanfällige Arbeitsgebiete zu identifizieren.

4. Die Installation der Korruptionsrichtlinie, die seit Dezember des letzten Jahres gültig ist, soll in der Behördenstruktur gefördert werden.

5. Die Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht (ZMS) wird aufgelöst. Laufende Verfahren werden an andere Abteilungen weitergegeben. Eine Arbeitsgruppe soll das Verfahren für das zukünftige Arbeiten in diesem Bereich entwickeln.


Der Fall des Alexander B.: Fünf Personen der Bestechung bzw. Bestechlichkeit beschuldigt

6. August 2020 - Dass der Fall Alexander B. einzigartig und erschreckend ist und das Potenzial hat, der Justiz Schaden zuzufügen, darüber war man sich im Rechtsausschuss im hessischen Landtag in Wiesbaden einig. Darüber hinaus wurde die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) von der Opposition durchaus in die Zange genommen. Ansätze dazu fand diese z.B. im Zeitpunkt der Informationsweitergabe an den Ausschuss oder beim fehlenden Vier-Augen-Prinzip in der Generalstaatsanwaltschaft. Die Ministerin wies die Vorwürfe zurück.

Neu in den Ermittlungen war, dass aktuell fünf Personen der erwerbsmäßigen Bestechung bzw. Bestechlichkeit beschuldigt werden. Im Kern geht es bei den Ermittlungen um ein "System", das der Oberstaatsanwalt aufgebaut haben soll, beginnend mit der Gründung einer GmbH im Jahr 2005 auf seine Veranlassung hin. Mit dem Geschäftsführer dieser GmbH, die in den darauffolgenden Jahren die Gutachten für B. abgewickelt hat, schloss der Staatsanwalt eine Unrechtsvereinbarung: Gutachten gegen Kick-Back-Zahlungen. Zwischen 2010 und 2020 soll das Unternehmen 90 % seiner Aufträge aus der Justiz erhalten haben, zum allergrößten Teil von B.

Nachdem im August 2019 die ehemalige Lebensgefährtin von B. entsprechende Hinweise an die Staatsanwaltschaft gegeben hatte, begannen verdeckte Ermittlungen. Jeder offene Zug hätte den Profi in Sachen Korruption misstrauisch gemacht und vorsichtiger werden lassen. Selbst der Generalstaatsanwalt wurde seitens der ermittelnden Staatsanwaltschaft nur mündlich über den Verdacht informiert.

Um die Geldbewegungen sichtbar werden zu lassen, mussten  nicht nur Kontoauszüge studiert werden. Oberstaatsanwalt B. verfügte über eine Geldkarte, über die er regelmäßig 200 bis 2000 Euro von einem Konto abhob. Weder Karte noch Konto waren mit seinem Namen in Verbindung zu bringen. Insgesamt soll er sich monatlich einen Zusatzverdienst von im Schnitt 4000 Euro netto "gezogen" haben, und das nur von einer der beiden involvierten Firmen. Das zweite Unternehmen, mit dem B. eine Unrechtsvereinbarungen getroffen hatte, zahlte quartalsweise einen mittleren vierstelligen Betrag - in bar. Vereinbart worden war für jede vermittelte Arbeitsstunde ein Kick-Back von einem Euro. Insgesamt soll der Oberstaatsanwalt auf diese Weise von 2015 bis 2020 240.000 Euro von den beiden Unternehmen erhalten haben.

Interessant ist, dass offensichtlich aus all diesen Jahre, in denen der Oberstaatsanwalt eine schon fast schillernde Persönlichkeit darstellte, faktisch keine Dienstaufsichtsbeschwerde oder sonstige Beschwerden bekannt ist. Ob andere Verdachtsmomente vorgelegen haben, über die man bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte misstrauisch werden können, ist zur Zeit unklar.


Alexander B., der Fachmann in Sachen Korruption im Gesundheitswesen

27.7.2020 - Seit 2019 ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft bereits wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Bestechlichkeit bzw. Bestechung gegen Oberstaatsanwalt B., der vielen Ärzten im Zusammenhang mit seinen Veröffentlichungen und Expertisen zu Korruption im Gesundheitswesen oder sogar aus eigenen Ermittlungen bekannt ist. Von August 2015 bis Juli 2020 sollen Zahlungen in Höhe von über 240 000 Euro an den Staatsanwalt geflossen sein. Der 53-jährige Beschuldigte befindet sich in Untersuchungshaft, genauso wie ein weiterer Verdächtiger.

Was die Staatsanwaltschaft dazu in ihrer ersten Pressemitteilung bekannt gab:

> Wenn ein Staatsanwalt, der gegen die Korruption kämpft, sich schmieren lässt


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