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Integrativ-medizinische Ansätze Die Kraft der Selbstheilung

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Viele Therapieprogramme aus Psychiatrie und Psychosomatik verbinden achtsamkeitsbasierte Anwendungen mit konventionellen Methoden. Viele Therapieprogramme aus Psychiatrie und Psychosomatik verbinden achtsamkeitsbasierte Anwendungen mit konventionellen Methoden. © iStock/microgen
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Ordnungstherapie und Mind-Body-Medizin sollen den Patienten in Einklang mit sich selbst bringen. Das Augenmerk liegt auf dem Wechselspiel zwischen Geist und Psyche sowie Körper und Verhalten. Die Kunst besteht darin, individuell passende Maßnahmen zusammenzustellen.

Der Arzt Maximilian Bircher-Benner (1867–1939), der seinerzeit den Begriff der Ordnungstherapie prägte, verstand darunter ein mehrdimensionales, grundlegendes Prinzip der Naturheilverfahren. Es basiert auf der Annahme, dass die richtige Ordnung im Organismus, in der Umwelt und im Tagesablauf die Voraussetzung für Gesundheit ist. Unordnung bei Leib, Seele und Geist hingegen fördere die Entstehung von Krankheiten und verhindere die Selbstheilung.

Die traditionelle Ordnungstherapie umfasst folgende Ansätze:

  • Ernährungslehre
  • Sonnen- und Lichttherapie
  • Hydro- und Bewegungstherapie
  • Atmungstechniken
  • Ordnung des Lebensrhythmus
  • Psychotherapie

Dieser Maßnahmenkatalog ist allerdings nicht abschließend zu verstehen. Vielmehr bietet die Ordnungstherapie Raum für die Integration moderner Therapiekonzepte aus Psychiatrie und Psychosomatik, Naturheilkunde und Mind-Body-Medizin, wie Dr. Holger Bringmann vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin erläutert. So können für jeden Patienten die passenden Maßnahmen gewählt werden, je nachdem welche Lebensbereiche sich nicht in gesunder Ordnung befinden.

Die sogenannte Mind-Body-Medizin beschäftigt sich vor allem mit den Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Geist, Körper und Verhalten sowie dem Einfluss von psychischen, sozialen und spirituellen Faktoren auf die Gesundheit. Beispiele für geeignete Maßnahmen aus dem Bereich der Mind-Body-Medizin sind:

  • Akupunktur
  • Massagetherapie und Wirbelsäulenmanipulationen
  • Entspannungstechniken und Meditation
  • Tai-Chi und Yoga

Eine zentrale Rolle spielt die Achtsamkeit, die sich besonders mittels der letztgenannten Techniken trainieren lässt. Der Übende verlagert dabei seinen Bewusstseinsschwerpunkt „auf die innerste, nicht reagierende, nicht bewertende Instanz seines eigenen Gewahrseins“, wie es Dr. Bringmann formuliert.

Durch das zeitgleiche Erleben von Vergänglichkeit und Zeitlosigkeit („Metabewusstsein“) könnten so zwei therapeutisch wirksame Prozesse in Gang gesetzt werden, erläutert der Experte: die Desidentifikation von aversiven Bewusstseinsinhalten einerseits und die reduzierte Reaktivität auf diese Inhalte andererseits. Dadurch entstehe Raum für neue Handlungsoptionen. Die gesundheitsfördernde Wirkung von Meditation auf Körper und Psyche wurde in einer Gesamtschau von 28 Metaanalysen mit mehr als 31.000 Probanden nachgewiesen, berichtet Dr. Bringmann.

Innerpsychische Konflikte bleiben außen vor

Im Gegensatz zur konventionellen Psychotherapie zielen Achtsamkeitsübungen nicht darauf ab, innerpsychische Konflikte gezielt aufzuarbeiten. Vielmehr werden psychische Störungen „durch eine absichtslose Offenheit gegenüber den Erfahrungen des Ego“ unspezifisch angegangen.

Als Beispiel schilderte der Psychiater und Psychotherapeut den Fall einer 61-jährigen Patientin, die aufgrund einer mittelgradigen Depression zur Behandlung in eine Tagesklinik kam. Sie litt infolge einer konflikthaften Partnerbeziehung und beruflicher Überlastung unter gedrückter Stimmung, emotionaler Instabilität, Selbstunsicherheit und Panikattacken. Eine antidepressive Medikation lehnte sie ab. Nachdem die Frau rund acht Wochen tagesklinisch betreut wurde, erfolgte eine integrativ-psychiatrische ambulante Begleitung. Neben psychotherapeutischen Einzelgesprächen umfasste diese auch ordnungstherapeutische Elemente und Verfahren der Mind-Body-Medizin.

Durch die Therapie besserten sich Bedürfniswahrnehmung, Abgrenzungs- und Selbstfürsorgefähigkeit der Patientin, ebenso Emotionsregulation, Impulskontrolle und Entspannungsfähigkeit. Der spirituelle Hintergrund von Yoga und Meditation lieferte ihr Impulse für den eigenen Lebensstil. Die verbesserte Kommunikations- und Abgrenzungsfähigkeit wirkte sich positiv auf die ihr wichtigen Beziehungen zu ihren Kindern und Geschwistern aus, und durch den Fokus auf Selbstfürsorge und Entspannung gelangte sie zu einem kritischeren Vorgehen bei der Partnersuche. Im Rahmen der Ordnungstherapie lernte sie, ihren bisherigen Tagesablauf zu hinterfragen. Die Umgestaltung ihres Tagesrhythmus brachte Entschleunigung und Struktur in den Alltag. Das Transzendenzmodul ermöglich­te es der Frau, sich auf ihr Leben einzulassen und Akzeptanz zu üben.

Viele Therapieprogramme aus Psychiatrie und Psychosomatik verbinden achtsamkeitsbasierte Anwendungen mit konventionellen Methoden. Dazu zählen beispielsweise die Mindfulness ­Based ­Stress ­Reduction (MBSR) nach ­Kabat-Zinn für Patienten mit chronischem Schmerz oder anderen stressinduzierten Erkrankungen sowie die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach ­Linehan bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen.

Quelle: Bringmann HC. zkm 2021; 6: 30-35; DOI: 10.1055/a-1517-8984