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Ärzte und AOK sehen Selektivverträge durch Spahns Kassengesetz gefährdet

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Ausgaben für Chroniker belasten Kassen. Der Finanzausgleich soll deshalb gerechter werden. Die Ausgaben für Chroniker belasten Kassen. Der Finanzausgleich soll deshalb gerechter werden. © iStock/http://www.fotogestoeber.de
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Das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz beinhaltet zahlreiche Neuerungen zur Verwaltung und zur Aufsicht der Krankenkassen sowie Änderungen beim Risikostrukturausgleich und bei der Diagnose-Kodierung. Ärzteverbände fürchten Probleme für innovative Versorgungsverträge.

Von seinem ursprünglichen Vorhaben, mit dem neuen Gesetz eine bundesweite Öffnung von Allgemeinen Ortskassen (AOK) und Betriebskrankenkassen (BKK) zuzulassen, ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angesichts der massiven Proteste seitens der Kassen abgerückt. Deshalb steht jetzt auch nicht mehr das Faire-Kassenwahl-Gesetz, sondern das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG, Drucksache 19/15662) auf der Agenda im Bundestag.

Der Ersatzkassenverband vdek, BKK-Dachverband und IKK e.V. sprechen nun von einem ausgewogenen Gesamtpaket, das keinesfalls wieder aufgeschnürt werden dürfe. Mit der Einführung einer Regionalkomponente im morbiditäts­orientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) würden endlich regional faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Krankenkassen geschaffen, ohne Geld aus der Versorgung abzuziehen.

Neuerungen beim Finanzausgleich

Das FKG soll im Frühjahr 2020 in Kraft treten. Zu den Neuregelungen zählen:
  • Regionalkomponente: Regionale Über- und Unterdeckungen im Finanzausgleich sollen abgebaut und somit gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Krankenkassen geschaffen werden. Durch die Regionalkomponente soll auch der Marktkonzentration einzelner Kassen entgegengewirkt werden.
  • Krankheits-Vollmodell: Künftig soll das gesamte Krankheitsspektrum (statt bisher 50 bis 80 Krank­heiten) im RSA berücksichtigt werden. Das erhöht die Zielgenauigkeit des Finanzausgleichs und verringert Über- und Unterdeckungen für den Großteil der Versicherten.
  • Risikopool: Hochkostenfälle sollen dadurch abgefedert werden, dass die Krankenkassen für jeden Leistungsfall 80 % der Leistungsausgaben erstattet bekommen, die über 100 000 Euro pro Jahr hinausgehen.
  • Mit der Einführung einer Vorsorgepauschale wird der Anreiz für Krankenkassen gestärkt, die Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen ihrer Versicherten zu fördern.
  • Versichertenindividuelle Berücksichtigung von Arzneimittelrabatten: Systematische Über- und Unterdeckungen sollen vermieden und Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden. Wirtschaftlichkeits­anreize zum Abschluss von Rabattverträgen durch die Krankenkassen bleiben erhalten. Quelle: BMG

Auch die im Gesetzentwurf vorgesehene Manipulationsbremse im RSA-Jahresausgleich stößt bei diesen Verbänden auf Zustimmung. Sie sei ein geeignetes Präventionsinstrument, um mit auffälligen Morbiditätsgruppen umzugehen, heißt es. Ulrike Elsner, Vorstandschefin des vdek, zeigt sich zufrieden, weil „jegliche Kodieranreize in Verträgen zur besonderen Versorgung von Versicherten ausgeschlossen werden“.

Manipulationsbremse für schwarze Schafe

Die Manipulationsbremse, so erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Karin Maag anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Dezember, soll sicherstellen, „dass es sich für einige schwarze Schafe unter den Kassen nicht mehr lohnt, Ärzte ausschließlich für die Dokumentation von Diagnosen zu bezahlen, um sich so ungerechtfertigt höhere Zuweisungen zu erschleichen“. Wenn sich Diagnosekodierungen bei bestimmten Krankheiten auffällig erhöhen, sollen die Kassen dafür keine Zuweisungen mehr bekommen. Auch sollen generell vertragliche Regelungen künftig unzulässig sein, bei denen bestimmte Diagnosen als Voraussetzung für die Vergütung vorgesehen werden. Wie Maag betonte, dürften jedoch gute, an Dia­gnosen gekoppelte Versorgungsverträge nicht verhindert werden. „Darüber werden wir in den nächsten Wochen reden müssen.“

Voraussetzung für eine aufwandsgerechte Vergütung

Dass es hierzu tatsächlich noch Gesprächsbedarf gibt, zeigen auch die mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf. Die bislang geplanten Regelungen würden zahlreiche Verträge zur besseren Versorgung von Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen in Gefahr bringen, mahnen die Allianz Deutscher Ärzteverbände und die AOK. Es müsse im Gesetzestext klargestellt werden, dass die Angabe von Diagnose in den Verträgen weiter möglich sei, betonte der Chef des AOK-Bundesverbandes Martin Litsch. Schließlich sorge die genaue Definition der Diagnosen und der erforderlichen medizinischen Maßnahmen erst dafür, dass eine faire und aufwandsgerechte Vergütung der Ärzte vereinbart werden könne. Litsch verwahrte sich zudem gegen die Behauptung, dass Ärzte und Kassen gemeinsam und systematisch Patienten-Diagnosen manipulierten: „Diese Behauptung ist bis heute nie belegt oder gerichtlich dingfest gemacht worden.“ Er könne sich absolut nicht vorstellen, dass Ärzte für ein paar Euro bewusst Diagnosen manipulierten und ihre Patienten auf dem Papier kränker machten, als sie seien. Laut Litsch sind ohne Klarstellung u.a. das Versorgungsprogramm der AOK Sachsen-Anhalt für Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen, das Facharzt-Programm der AOK Baden-Würt­temberg sowie regionale Verträge für Patienten mit Lungenkrebs, Diabetischem Fußsyndrom oder mit psychischen Erkrankungen gefährdet. Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von Medi Geno Deutschland und Vertreter der Allianz Deutscher Ärzteverbände, warnte vor einem „drastischen Eingreifen in die Gestaltung bestehender, aber auch künftiger Versorgungsverträge“. Dass laut Gesetzesbegründung weiter Vergütungen für bestimmte Krankheiten möglich sein sollen, sofern sie an die Kapitel oder Obergruppengliederungen des ICD-Systems oder an einen „allgemeinen Krankheitsbegriff“ anknüpfen, reicht ihm nicht. Dies sei nur eine scheinbare Entschärfung. Dürfe man beispielsweise bei einem Vertrag zur Versorgung von Diabetespatienten nur die ICD-Obergruppe Diabetes mellitus hineinschreiben, bleibe völlig unklar, ob Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 gemeint sei. Es handele sich jedoch um zwei verschiedene Krankheiten mit verschiedenen Ursachen und unterschiedlichen Patientengruppen. Die geplanten Änderungen bezeichnet Dr. Baumgärtner als „versorgungspolitischen Rückschritt“. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung verweist in ihrer Stellungnahme auf die Begründung des Gesetzentwurfes, nach der keine sinnvollen Verträge verhindert oder unterbunden werden sollen. „Sofern dieser Grundsatz erhalten bleibt, können die Reformvorschläge in der Tat neben einer verbesserten Kodierung wesentlich zu einer verbesserten Versorgungsausrichtung insbesondere von Selektivverträgen wie beispielsweise solchen nach § 73b SGB V beitragen“, so die Vertragsärztespitze. Handlungsleitendes Ziel müsse dabei die Verbesserung der Patientenversorgung sein. Nicht überzeugt von den bisherigen Gesetzesformulierungen zeigt sich auch Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Hauärzteverbandes. Das grundsätzliche Vorhaben des Gesetzgebers, dem Prinzip „Geld gegen Diagnose“ ein Ende zu setzen, sei ohne Zweifel richtig. „Unter dem Deckmantel der Manipulationsresistenz schießt der Gesetzgeber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf allerdings weit über das Ziel hinaus.“

Medical-Tribune-Bericht

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