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Bringt „Jamaika“ eine neue Diskussion zur Sterbehilfe?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Palliativmedizin kann helfen, aber manche Patienten wollen lieber Hilfe beim Sterben haben. Palliativmedizin kann helfen, aber manche Patienten wollen lieber Hilfe beim Sterben haben. © fotolia/bilderstoeckchen
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Im Ringen der Parteien um die Zielsetzungen der neuen Legislaturperiode könnte auch wieder um das Thema Sterbehilfe gefochten werden. Die Selbstbestimmung am Lebens-ende ist gesellschaftlich wie juristisch weiter in der Diskussion.

Wenn es in privaten Gesprächen mit Freunden, Verwandten und Kollegen darum geht, wer im Falle eines Falles Sterbehilfe in Anspruch nehmen würde, wird häufig geäußert, dass man dieses Recht für angemessen hält. Und das System in der Schweiz oder in Holland wird vielfach dahin gehend kommentiert, dass Sterbehilfe auch hierzulande offiziell und ohne kommerzielle Hintergründe verfügbar sein sollte.

Mehrheit der Menschen würde Verwandten helfen

Eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des Südwestrundfunks zeigt, dass viele Menschen der Suizidhilfe durch Ärzte und Angehörige offen gegenüberstehen. 53 % der Befragten hatten angegeben, dass sie persönlich einem schwerstkranken Angehörigen mit der Beschaffung eines zum Tode führenden Medikamentes helfen würden, sein Leben zu beenden. 34 % würden in einem solchen Fall nicht helfen, der Rest enthielt sich bei dieser Frage. Nachgehakt wurde von dimap auch konkret bezüglich des seit 2015 gültigen § 217 StGB zum Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe. Auf die Frage „Wie finden Sie das Gesetz, das auch Ärzten enge Grenzen setzt, die wiederholt Schwerstkranken beim Suizid helfen wollen?“ antworteten mehr als die Hälfte der Interviewten, dass sie das schlecht (34 %) bzw. sehr schlecht (23 %) finden.

Quelle: SWR

DGHS-Präsident hofft auf erneute Thematisierung

Doch das „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ spricht dieses Recht auf unterstützten Freitod indirekt ab. Ärzten, die human helfen könnten, wird darin bei „geschäftsmäßigem Handel“ eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe angedroht. An welchem Punkt steht die Diskussion dazu? Die Freien Demokraten wollen sich laut Wahlprogramm neben dem Ausbau von Palliativmedizin und Hospizwesen für eine Abschaffung des § 217 StGB einsetzen: „Die Strafandrohung für die Beihilfe zur Selbsttötung eines Schwerkranken schafft eine erhebliche Grauzone für Palliativmediziner, beeinträch­tigt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und verletzt das Selbstbestimmungsrecht als Kern der Menschenwürde.“ Gefordert wird eine bundeseinheitliche Regulierung, unter welchen Umständen die ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung sanktionsfrei ist, „sodass dem Wunsch nach Beihilfe zum Freitod vom Arzt oder von der Ärztin entsprochen werden darf“.

DGHS-Präsident hofft auf erneute Thematisierung

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS), Professor Dr. Dieter Birnbacher, hofft nun, dass sich die FDP – sofern „Jamaika“ seinen Lauf nimmt – beim Erarbeiten des Koalitionsvertrages auch für das Thema Selbstbestimmung am Lebensende starkmacht. „Die Aufrechterhaltung des Verbots der professionellen Unterstützung eines Suizids von schwer und unheilbar Leidenden ist schließlich mit einem liberalen Selbstverständnis unvereinbar“, so der Philosoph und Ethiker. Die Patientenschutzorganisation DGHS bietet unter anderem Rechtsschutz bei der Durchsetzung von Patientenverfügungen. Als Sterbehilfeorganisation versteht sie sich nicht. Viele Menschen würden sich jedoch auch mit der Bitte um einen Rat, eine konkrete Anleitung oder den Hinweis auf einen geeigneten Sterbehelfer an die Gesellschaft wenden, so eine Sprecherin. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS), Professor Dr. Dieter Birnbacher, hofft nun, dass sich die FDP – sofern „Jamaika“ seinen Lauf nimmt – beim Erarbeiten des Koalitionsvertrages auch für das Thema Selbstbestimmung am Lebensende starkmacht. „Die Aufrechterhaltung des Verbots der professionellen Unterstützung eines Suizids von schwer und unheilbar Leidenden ist schließlich mit einem liberalen Selbstverständnis unvereinbar“, so der Philosoph und Ethiker. Die Patientenschutzorganisation DGHS bietet unter anderem Rechtsschutz bei der Durchsetzung von Patientenverfügungen. Als Sterbehilfeorganisation versteht sie sich nicht. Viele Menschen würden sich jedoch auch mit der Bitte um einen Rat, eine konkrete Anleitung oder den Hinweis auf einen geeigneten Sterbehelfer an die Gesellschaft wenden, so eine Sprecherin. Anfragen dieser Art per Telefon oder Brief seien in den vergangenen Jahren stetig gestiegen: „2015 zählten wir 120 ernsthafte Auskunftsersuchen, im Jahr 2016 waren es 200 und im laufenden Jahr waren es bis Juni bereits 122.“ Aber auch in Veranstaltungen vor Ort und bei anderen humanistischen Organisationen komme die Frage häufig auf, wie angesichts des § 217 ein „Notausgang“ bei schwerster aussichtsloser Erkrankung noch möglich sein könne.

Der entscheidende § 217: „stark religiös motiviert“

Der Düsseldorfer Psychologe Professor Dr. Wolfgang Klosterhalfen legte im Dezember 2016 Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen § 217 ein. Er bezeichnet diesen – mit Blick auf die seinerzeit überwiegenden Ja-Stimmen vor allem durch christliche Bundestagsabgeordnete – als „stark religiös motiviert“. Das Gesetz mache es nun „den meisten Menschen in Deutschland unmöglich, am Lebensende schweres Leiden durch ärztliche Sui­zidhilfe abzukürzen“. Die Zulassung von Dr. Klosterhalfens Verfassungsbeschwerde wurde von der Kammer des 2. Senats einstimmig im Juli 2017 abgelehnt (Az.: 2 BvG 2507/16) – wegen nicht unmittelbarer Betroffenheit. Gleichzeitig wurde eine weitere Beschwerde mehrerer Mediziner gegen § 217 nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie, wie es heißt, nicht entsprechend begründet sei. Damit ist aber noch nicht das letzte juristische Wort gesprochen: Elf weitere Verfassungsbeschwerden zum Thema Sterbehilfe sind nach Angaben des BVerfG derzeit anhängig, wobei ein Verhandlungs-/Entscheidungstermin allerdings noch nicht absehbar ist. Beschwerdeführer sind laut Bundestag Sterbehilfevereine und deren Mitarbeiter, Palliativmediziner sowie schwer kranke Menschen, die über einen begleiteten Suizid nachdenken. Der Bundestag wurde im Februar nach Empfehlung des Rechtsausschusses beauftragt, eine Stellungnahme zu den Streitverfahren abzugeben, auch sollte der Bundestagspräsident einen Prozessbevollmächtigten bestellen. Das ist laut BVerfG auch geschehen. Prof. Klosterhalfen jedenfalls gibt nicht auf. Er plant bis Mitte Januar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen weiteren Vorstoß. Zurzeit ist er noch auf der Suche nach der richtigen juristischen Unterstützung. Eine andere Hoffnung besonders jener schwer kranken Menschen, die sich bereits persönlich mit dem Thema Selbsttötung auseinandersetzen, liegt seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom März 2017 (s. Kasten) auf dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Bundesverwaltungsgericht erkennt Ausnahmen an

Grundsätzlich ist es nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Hiervon ist unter dem Aspekt des Selbstbestimmungsrechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen pallia­tivmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht. Unter diesen Bedingungen darf der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaubt, nicht verwehrt sein. Deshalb hätte das BfArM prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben war.

BVerwG-Urteil vom 2. März 2017, Az.: 3 C 19.15

Der Ausgangspunkt der hinter dem Urteil liegenden Geschichte liegt lange zurück: Im Jahr 2004 beantragte eine Frau mit einer hochgradigen, fast kompletten Querschnittslähmung, die unter Krampfanfällen und starken Schmerzen litt, beim BfArM den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung. Das Institut lehnte ab. Ein Widerspruchsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln war zunächst ohne Erfolg, ebenso erfolglos waren Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht Münster und eine Verfassungsbeschwerde. Erst nachdem der angerufene EGMR 2012 urteilte, dass der Kläger (die Ehefrau hatte sich 2005 mithilfe eines Schweizer Vereins für Sterbehilfe das Leben genommen) einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften, wurde das von Vorinstanzen abgewiesene Klageverfahren wieder aufgenommen. Die Leipziger Richter beurteilten den Versagensbescheid des BfArM schließlich als rechtswidrig und stellten klar: „Der Zugang zu einem Betäubungsmittel, das eine schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, darf in extremen Ausnahmesituationen nicht verwehrt werden.“

BfArM will erst nach Rechtsgutachten entscheiden

Derzeit liegen beim BfArM bereits 61 Anträge bezüglich der Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels vor. Bis es rechtskräftige Entscheidungen hierzu gibt, wird es aber wohl noch dauern. Auf Anfrage der Medical Tribune erklärte ein BfArM-Sprecher: „Die besondere Tragweite des Urteils erfordert eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den rechtlichen Auswirkungen und möglichen Konsequenzen.“ Erst auf dieser Basis, in die auch ein vom BfArM beauftragtes Rechtsgutachten einfließen soll, könne das BfArM über die Anträge entscheiden.

Daran müssen sich die Liberalen messen lassen

Bleibt noch die Chance auf eine politische Klarstellung, was im Einzelfall hinsichtlich einer assistierten Selbsttötung rechtens ist und was nicht. Unterstützer gibt es – wie die Diskussion um das Gesetz im Jahr 2015 deutlich machte – in allen Fraktionen. Was es jetzt braucht, ist, dass die Diskussion im Bundestag wieder neu aufgegriffen wird. Hier können die Liberalen beweisen, dass sie sich tatsächlich an politische Zusagen halten.
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