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Corona: Alternativen zu derzeitigen Bekämpfungsstrategien

Autor: Kathrin Strobel

Ein statistisches Modell auf Grundlage von DIVI-Intensivregister und aktuellen Fallzahlen könnte ein tagesaktuelles Ampelsystem ermöglichen. Ein statistisches Modell auf Grundlage von DIVI-Intensivregister und aktuellen Fallzahlen könnte ein tagesaktuelles Ampelsystem ermöglichen. © iStock/sorbetto
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Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie richten sich hauptsächlich nach der Anzahl an Infektionen pro Woche. Doch diese Strategie hat deutliche Schwächen.

Öffnen, schließen, öffnen, schließen – so läuft die Pandemiebekämpfung vonseiten der Politik hierzulande seit vielen Monaten. Dabei richten sich die Entscheider hauptsächlich nach der 7-Tage-Inzidenz. Doch mit der gibt es ein Problem: „Die Positivitätsrate, die durch die Presse getrieben wird, ist ganz schwer interpretierbar“, erklärte Professor Dr. Andreas­ Stang vom Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie des Universitätsklinikums Essen. Denn mit jeder Anpassung der nationalen Teststrategie ändert sich die Vortestwahrscheinlichkeit. Werden lediglich Menschen mit Symptomen getestet, ist diese entschieden höher, als wenn man asymptomatische junge Leute screent, so der Epidemiologe. Die Positivitätsrate hängt also entscheidend von der jeweils verfolgten Teststrategie ab.

Und es gibt weitere Kritikpunkte am PCR-Test im Kontext der Pandemiebekämpfung. Zu nennen sind z.B. die unklare Dunkelziffer und die hohe Variabilität der Testergebnisse in Abhängigkeit von der Präanalytik. Zudem hängt die Anzahl positiv getesteter Menschen von der Menge der eingesetzten Tests ab. Und zu guter Letzt sagt ein positiver Test allein noch nichts über die Infektiosität des Patienten aus. 

Ein wichtiger Parameter im Hinblick auf die Infektiosität ist der cycle threshold (Ct, s. Kasten). Man muss davon ausgehen, dass zwischen 30 und 60 % der positiv getesteten Patienten nicht infektiös sind, sagte Prof. Stang. „Hier muss mehr unternommen werden. Wir brauchen eine Standardisierung der Ct-Werte, damit wir sie ernsthaft miteinander vergleichen können und damit auch fairer werden bei Isolation und Quarantäne.“ Denn ein positiver PCR-Test alleine könne nicht automatisch zu einer Isolation der getesteten Person oder zur Quarantäne von Kontaktpersonen führen. Aus denselben Gründen eignet sich auch der R-Wert nicht als Maßstab für die Festlegung von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.

Was ist der Ct-Wert?

Der cycle-threshold-Wert ist ein relatives Maß für die Viruslast: Je höher der Wert ausfällt, desto niedriger war die ursprüngliche Viruskonzentration in der Probe. Er gibt an, ab welcher Wiederholung des PCR-Zyklus die Anzahl der erzeugten Kopien exponentiell ansteigt.

Alle Datenkörper, die derzeit verwendet werden, haben ihre Schwächen, räumte der Experte ein. Mit die zuverlässigste bundesweite Datenquelle mit den validesten Werten sei das DIVI**-Intensivregister. Auf Basis der Daten zu Intensivbettenkapazitäten und den aktuellen Fallzahlen lässt sich ein statistisches Modell*** erstellen und täglich anpassen. Es sagt die jeweils kommenden drei Wochen voraus und kann als eine Art tagesaktuelles Ampelsystem genutzt werden, erklärte Prof. Stang. Mit Hilfe der prognostizierten Werte ließe sich feststellen, welche Maßnahmen regional oder überregional sinnvoll wären. „Das ist das Konzept, hinter dem ich stehen kann und was ich epidemiologisch für vertretbar halte“, so das Fazit des Kollegen. Neben der PCR spielen Schnelltests eine immer größere Rolle im Pandemiegeschehen. Viele sehen in ihnen den Schlüssel zur Rückkehr zu einem normalen Leben. Doch „wollen wir das in Kauf nehmen, was durch anlassloses Massentesten entstehen wird?“, fragte Prof. Stang. Denn sobald Massenschnelltestungen in der Bevölkerung ohne begründeten Anlass (Symptome, Risikokontakte) durchgeführt werden, wird es eine große Zahl falsch-positiver Testergebnisse geben (Stichwort Vortestwahrscheinlichkeit) – mit allen logischen Konsequenzen wie PCR-Folgediagnostik, Isolation und Quarantäne für Betroffene und Kontaktpersonen etc. Die Beantwortung der Frage, welche Konsequenzen man aus diesen Überlegungen ziehen sollte, sei aber nicht Aufgabe der Wissenschaft. „Das ist eine gesellschaftspolitische Frage“, erklärte der Epidemiologe. „Die Wissenschaft hat die Hochrechnung – die Politik muss entscheiden, ob sie das will.“ Unabhängig davon, welche Teststrategie zukünftig verfolgt wird, muss das Prinzip AHA + L wieder konsequenter eingehalten werden. Die vielversprechendste Maßnahme zur Bekämpfung des Virus bleibt aber das Impfen, betonte Prof. Stang. Die aus Israel veröffentlichten Daten ergeben ein klares positives Signal: „Absolut beeindruckend, was die Impfung leisten kann.“

Quelle: 22. COVID-19 Update*

* 22. COVID-19 Update: News – Epidemiologie – Update Vakzinierung vom 12.04.2021, streamed-up.com
** Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
*** sog. ARIMA-Modell