
Gut vorbereitet auf Hitzewellen Ein Aktionsplan sollte das ganze Praxisteam einbeziehen

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Diese Frage stellt sich heutzutage vermutlich kaum noch jemand. Laut Dr. Robin Maitra, Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt in Hemmingen, unterscheidet der Deutsche Wetterdienst zwei Hitzewarnstufen anhand der gefühlten Nachmittagstemperatur: über 32 °C und über 38 °C. Aus medizinischer Sicht besonders schutzbedürftig sind bei derartigen Werten ältere, chronisch kranke und multimorbide Patientinnen und Patienten. „Da haben wir es mit Hochrisikogruppen zu tun und diese werden ganz wesentlich auch in der hausärztlichen Praxis betreut“, betont der Kollege in der neuen Folge des Podcasts O-Ton Allgemeinmedizin. Das oft über Jahrzehnte gewachsene Vertrauenverhältnis gilt es zu nutzen.
Kolleginnen und Kollegen rät er, sich frühzeitig daran zu machen, die Medikamentenpläne z. B. von Herz- und Nierenkranken oder allgemein älteren Personen durchzugehen und mit Hinweisen für den Hitzefall zu versehen. Denn viele Präparate beeinflussen die Thermoregulation oder die Flüssigkeitsbalance, wirken bei Hitze zu stark oder zu schwach. Im Mittelpunkt stehen Diuretika, Psychopharmaka oder anticholinerge Wirkstoffe. So könne man beispielsweise notieren, dass ab 30 °C Außentemperatur dieses oder jenes Diuretikum reduziert werden solle und dies beim nächsten Kontakt mit der oder dem Betreffenden besprechen. „Jeder vulnerable Patient, jede Patientin hat dann eine individuelle Einschätzung von mir und ist damit auch schon mal selber sensibilisiert.“ Natürlich gebe es auch Menschen, die man mit einem solchen Rat nicht allein lassen könne. In diesen Fällen sei es besonders wichtig, nahestehende Angehörige oder Nachbarn in die Betreuung einzubeziehen.
Tödlicher Sommer
Die Warnungen sind eindringlich: Dieser Sommer könnte alle Temperaturrekorde sprengen. Es drohen ausgetrocknete Böden, vermehrt Waldbrände und tausende Hitzetote. 2023 und 2024 gab es davon rund 6.000 – laut RKI eine mittelhohe Anzahl.
Nach den Daten des Deutschen Wetterdienstes waren die Sommer auch in den letzten beiden Jahren zu warm. Im Vergleich zur international gültigen Referenzperiode (1961 bis 1990) lagen die Durchschnittstemperaturen um 2,3 bzw. 2,2 °C höher als die für Deutschland „normalen“ 16,3 °C, schreibt Dr. Matthias an der Heiden vom RKI, Berlin.
Deutliche regionale Unterschiede gab es bei der Zahl der Hitzewochen mit mindestens einem heißen Tag (> 30 °C). Die nördlichen Bundesländer hatten mit ca. drei Tagen die wenigsten, Bayern und Baden-Württemberg mit etwa neun die meisten. Der Osten war stärker betroffen als der Westen. Im Durchschnitt registrierte man sechs bis sieben Hitzewochen. Zum Vergleich: Im Rekordsommer 2018 waren es siebeneinhalb. Damals lag die Wochenmitteltemperatur bei 26,5 °C, in den vergangenen beiden Jahren dagegen „nur“ bei rund 23,4 bzw. 23,3 °C.
Die Wochenmitteltemperatur errechnet sich aus den Tag- und Nachtwerten. Ab einem Schwellenwert von etwa 20 °C kann man von einem kausalen Einfluss der Temperatur auf die Mortalität ausgehen. Ein Hitzschlag lässt sich leicht als hitzebedingter Todesfall identifizieren, bei Menschen mit Grunderkrankungen ist der tödliche Einfluss hoher Temperaturen dagegen schwer zu belegen. Somit taucht er in der Todesursachenstatistik nicht auf. Es braucht daher statistische Verfahren, um die Gesamtzahl hitzebedingter Sterbefälle zu schätzen.
Dr. an der Heiden berücksichtigte in seiner Modellierung zum einen die offizielle Bevölkerungsstatistik sowie Ergebnisse der Bevölkerungsprojektion für das Jahr 2024. Zum anderen analysierte er die Wochenmitteltemperaturen in der Sterbewoche eines Menschen und in bis zu drei Vorwochen, um auch verzögerte Temperatureffekte zu erfassen. Letztlich kam er mit seiner Schätzung für das vorletzte Jahr auf 3.100 hitzebedingte Sterbefälle, für 2024 auf 2.800. Betrachtet man den Zeitraum von 1992 bis 2024, so gab es die meisten Hitzetoten in 1994 und 2003 mit je über 10.000. Besonders fiel auch 2018 mit 8.500 hitzebedingt Verstorbenen auf. „Seit 2013 wird eine Verdichtung von Sommern mit mittlerer und hoher Anzahl hitzebedingter Sterbefälle sichtbar“, so Dr. an der Heiden.
Stadtmenschen sind durch Hitze besonders gefährdet
Durch den Klimawandel muss man in Deutschland vermehrt mit extremen Hitzeperioden und weitreichenden gesundheitlichen Risiken rechnen.Vor allem vulnerable bzw. alte Menschen leiden unter hohen Temperaturen und entwickeln vermehrt Schwindel, Verwirrtheit, Erschöpfung, einen Hitzschlag oder sie sterben hitzebedingt. Besonders gefährdet sind diejenigen, die in der Stadt leben, denn dort kommt es aufgrund des hohen Versiegelungsgrads und begrenzter Grünflächen zum sog. Hitzeinseleffekt.
Um diesen aufzulösen, sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich, für die u. a. der Deutsche Städtetag Best-Practice-Beispiele und Hitzeaktionspläne parat hat. Hinweise, wie sich jeder einzelne bei großer Hitze verhalten sollte, liefert u. a. der „Hitzeknigge“ des Umweltbundesamtes (s. Kasten rechts).
Quelle: an der Heiden M. Epid Bull 2025; 19: 3-9; DOI: 10.25646/13135
Um die Patientinnen und Patienten bestmöglich vorzubereiten, plädiert Dr. Maitra generell für niedrigschwellige und alltagsnahe Aufklärung – direkt im vertrauten Arzt-Patienten-Gespräch. „Ich halte nicht viel von großen Klimasprechstunden. Das überfordert die Leute.“ Stattdessen nutzt er Vorsorgeuntersuchungen oder Check-ups, um gezielt auf Risiken durch Hitzewellen hinzuweisen und entsprechende Verhaltenstipps zu geben.
Bei Themen wie Trinkmenge, Essverhalten, Sport und Aufenthalt im Freien kann Dr. Maitra zufolge das Praxisteam bereits vorfühlen und wertvolle Tipps geben. Denn oft kennen auch die Mitarbeitenden die Patientinnen und Patienten schon lange und können deren aktuelle Situation einschätzen. Ob am Empfang, bei der Blutentnahme oder beim Hausbesuch – frühzeitige Hinweise durch geschulte Mitarbeitende wirken präventiv. „90 % der Arbeit passieren, bevor die Leute im Sprechzimmer sind“, weiß Dr. Maitra aus eigener Erfahrung.
Randtermine für vulnerable Personen reservieren
Damit der Praxisalltag an erwartbar heißen Tagen für alle angenehm bleibt, hat Dr. Maitra einen Aktionsplan aufgestellt. Dieser sieht z. B. vor, dass die Person, die morgens als Erste die Praxis betritt, die Fenster öffnet und querlüftet, um kühle Luft einzulassen. Ab 8 Uhr bleiben die Jalousien dann unten, um direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden. In den Räumen kommen Ventilatoren und Lüftungsgeräte zum Einsatz, Trinkwasser steht im Wartezimmer bereit. Und für vulnerable Patientinnen und Patienten reserviert das Praxisteam Termine zu Beginn und am Ende der Sprechzeiten, wenn die Außentemperaturen erträglicher sind.
Zum Schluss richtet Dr. Maitra noch einen eindringlichen Appell an die Kolleginnen und Kollegen: „Das Klima wird uns beschäftigen, ob wir wollen oder nicht. Die Zunahme an Erkrankungen wird gewaltig sein. Wir haben als Hausärztinnen und Hausärzte einen unglaublichen Hebel.“ Der Schlüssel liegt in Aufklärung, Organisation und Teamarbeit. Was es dabei alles zu bedenken gibt, erfahren Sie in der neuen Folge von O-Ton Allgemeinmedizin. Hören Sie rein!
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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