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Cybergrooming Gefahr aus dem Netz

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Bereits im Alter von zwölf Jahren haben viele Kinder erste Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht. Bereits im Alter von zwölf Jahren haben viele Kinder erste Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht. © Jürgen Fälchle – stock.adobe.com
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Mit der fortschreitenden Digitalisierung nimmt die sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen im Internet, in Foren und Chats zu. Die Übergänge zum sexuellen Missbrauch in der realen Welt sind fließend.

Hinter dem Begriff Cybergrooming verbirgt sich die Anbahnung sexueller Kontakte zu Minderjährigen im Internet. Mit der COVID-19-­Pandemie hat das Phänomen weiter zugenommen, es ist eine ernste Bedrohung für junge Menschen, schreibt eine Gruppe von Kinder- und Jugendpsychiatern um Dr. Frank Paulus­ vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.

Cybergrooming werde im Vergleich zu sexuellen Übergriffen in der realen Welt von den Kindern und Jugendlichen selbst eher verharmlost völlig zu Unrecht, denn es ebnet häufig den Weg zum physischen Missbrauch. Unabhängig davon haben auch rein online begangene Taten wie sexuell eindeutige Chats oder das Versenden von Fotos und Videos massive Auswirkungen auf die Opfer.

Depression, Traumatisierung und Suizidalität als Folgen

Zu den möglichen Folgen von Online-Missbrauch zählen teils lang anhaltende Probleme wie Depression, posttraumatische Belastungsstörung, Borderline- und Angst­erkrankungen. Auch selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken und der kompensatorische Konsum von Alkohol und Marihuana sind mögliche Reaktionen. Kommt es zudem zu realen Treffen mit sexuellen Handlungen, können Sexual- und Essstörungen sowie spezifische Veränderungen der Stimmungsregulation 
resultieren.

In Verdachtsfällen schafft eine gezielte Anamnese und Psychodia­gnostik Klarheit. Dabei sind folgende Fragen hilfreich:

  • Wurdest du schon einmal nach Onlinebildern oder -videos von dir mit sexuellem Inhalt gefragt?
  • Wurden dir über das Internet oder Smartphone Fragen zu Sex gestellt?
  • Wurdest du zu Cybersex aufgefordert, z.B. per Webcam?
  • Hat dich jemand, den du digital kennengelernt hast, aufgefordert, im realen Leben Sex mit ihm oder ihr zu haben?
  • Hat dir jemand Fotos oder Videos mit sexuellem Inhalt geschickt?
  • Hast du Fotos oder Videos von dir selbst mit sexuellem Inhalt verschickt?
  • Hast du eine Person im realen Leben getroffen, die du digital kennengelernt hast?
  • Hattest du im realen Leben sexuellen Kontakt mit einer Person, die du digital kennengelernt hast?

Cybergrooming ist in Deutschland als eine Form des sexuellen Missbrauchs von Kindern bis zum Erreichen des 14. Lebensjahres strafbar. Der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn kein körperlicher Kontakt stattfand. Seit Januar 2020 wird bereits der Versuch, Kinder im Internet mit einer Missbrauchsabsicht anzuschreiben, strafrechtlich verfolgt. 

Häufig besteht Verbindung zu weiteren Straftaten

Sex mit Jugendlichen unter 16 Jahren ist eine Straftat, wenn der Täter älter als 21 ist. Darüber hinaus machen sich Volljährige strafbar, wenn sie für sexuelle Handlungen mit Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Geld oder materielle Güter bezahlen. Nicht selten kommt es im Rahmen des Cybergroomings noch zu weiteren Straftaten wie zum Beispiel dem Anfertigen und Verbreiten von kinderpornografischen Fotos und Videos. Beweise für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen sowie entsprechende Hinweise aus dem ärztlichen oder psychotherapeutischen Gespräch sollten für den Fall einer Strafverfolgung sorgfältig dokumentiert werden.

Sexuelle Übergriffe sind für die Betroffenen ein traumatisches Ereignis. Die Reaktionen darauf können unmittelbar danach, aber auch erst Wochen später auftreten. Während Mädchen eher zu Internalisierungssymptomen wie Nervosität oder Traurigkeit und zu körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Herzrasen neigen, zeigen Jungen häufiger Externalisierungszeichen wie Reizbarkeit, Ungehorsamkeit, oppositionelles Verhalten oder Lügen. 

Eine posttraumatische Belas­tungsstörung wird wahrscheinlich, wenn die Symptome über mehr als vier Wochen bestehen bleiben und weitere Anzeichen wie Vermeidung, Wiedererleben oder Schlafstörungen hinzukommen. Die Betroffenen benötigen eine schnelle und gezielte Therapie, die sich auf das Trauma fokussiert. Zur psychischen Stabilisierung und Entwicklung von Stressresilienz bei emotional dysregulierten Kindern und Jugendlichen hat sich das Stress Traumasymptoms Arousal­ Regulation Treatment (START­) bewährt.

Bereits im Alter von zwölf Jahren haben viele Kinder erste Erfahrungen mit Cybergrooming gemacht. Deshalb ist es wichtig, präventive Maßnahmen möglichst früh starten zu lassen. Einen gewissen Schutz für Kinder und Jugendliche vor Cybergrooming bieten unter anderem die Teilnahme an spezifischen Präventionsprogrammen, Aufklärungsarbeit sowie resilienzbasierte Interventionen. Wichtig ist darüber hinaus, dass Eltern für eine altersgerechte Mediennutzung bei ihren Kindern sorgen und den Zugang zum Internet gegebenenfalls einschränken. 

Geringes Selbstwertgefühl ist ein Risikofaktor

Beispiele für bekannte Risikofaktoren für Cybergrooming sind:

  • Verschicken oder Veröffentlichen von provokativen Bildern und Videos („Sexting“)
  • Persönlichkeitsmerkmale, die für ein geringes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sprechen, sowie psychische Probleme
  • Streit im familiären Kontext oder mit Freunden
  • hohe Nutzung von Onlinespielen und hohe Pornografieexposition

Quelle: Paulus FW et al. internistische praxis 2023; 66: 502-520