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Asymptomatische Bakteriurien Harnkeime in Ruhe lassen

Autor: Michael Brendler

Der alleinige Nachweis coliformer Bakterien in der Urinkultur ist kein ausreichender Grund für eine Antibiotikatherapie.
Der alleinige Nachweis coliformer Bakterien in der Urinkultur ist kein ausreichender Grund für eine Antibiotikatherapie. © Science Photo Library/Varney, Jim
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Eine Bakteriurie ohne Symptome führt gerade in Pflegeeinrichtungen häufig zum unnötigen Einsatz von Antibiotika. Warum ist das so? Und welche Gegenmaßnahmen sind Erfolg versprechend?

Ein drastischer Fall: Bei der moderat dementen Bewohnerin eines Pflegeheims fallen zunächst eine neue, ungewohnte Verwirrtheit und eine verwaschene Sprache auf. Als die Pflegekräfte zusätzlich den „ungewöhnlichen Geruch“ des Urins bemerken, wird mit Zustimmung des Arztes eine Urinprobe genommen. E.-coli-positiv lautet der Befund aus dem Labor, der Arzt setzt daraufhin ein Antibiotikum an. Als sich die Symptome der Frau innerhalb von fünf Tagen deutlich verschlechtern und eine rechtsseitige Schwäche dazu kommt, überweist man sie ins Krankenhaus. Dort wird schließlich die Diagnose Schlaganfall gestellt. Auf diese Idee hätte man schon früher kommen können, glauben Prof. Dr. Katrina Piggott vom Sunnybrook Health Sciences Centre in Toronto und Kollegen. Sie kritisieren die Fixierung auf die positive Urinkultur, zumal jegliche Infektionssymptome bei der Patientin fehlten.

Unnötige Antibiose birgt zahlreiche Risiken

Behandelt man eine asymptomatische Bakteriurie (ASB) antibiotisch, setzt man Patienten unnötigerweise potenziellen Nebenwirkungen aus. Diese reichen von leichten Hautausschlägen über eine Candidiasis bis zu schweren allergischen Reaktionen, Nierenschäden und Arzneimittelinteraktionen. Zudem ist eine solche Übertherapie stets mit der Gefahr einer Resistenzentwicklung verbunden und dem Risiko, dass das schützende Mikrobiom der Harnwege geschädigt wird.

Studien zufolge sind immerhin 30–50 % aller Heimbewohner ohne Blasenkatheter von einer ASB betroffen. In 30–80 % dieser Fälle werden Antibiotika gegeben. Die Prävalenz symptomatischer Harnwegsinfektionen liegt dagegen bei weniger als 2 %, schreiben die Autoren. Eine ASB antibiotisch zu behandeln, um eine symptomatische Infektion zu verhindern, sei wenig Erfolg versprechend.

Eine der wichtigsten Ursachen der Übertherapie sehen Prof. Piggott und Kollegen im allzu großzügigen Einsatz von Urinteststreifen und Urinanalysen im Labor. Sie würden sogar nach Stürzen, bei mangelnder Nahrungsaufnahme, Lethargie oder Delir veranlasst, lautet ihre Kritik. Sie schlagen deshalb u.a. vor, in Pflegeheimen den Zugang zu Teststreifen und Urinkultur-Anforderungsbogen zu erschweren. Außerdem plädie ren sie dafür, die Loeb-Minimum-Kriterien für die Einleitung einer Harnwegsinfektionsdiagnostik in Langzeitpflegeeinrichtungen (s. Kasten) zu berücksichtigen. Mit Postern, Gesprächen und Schulungen müsse man zudem das Heimpersonal besser aufklären.

Loeb-Minimum-Kriterien

Folgende Kriterien sollten bei Pflegeheimbewohnern erfüllt sein, um die Suche nach einem Harnwegsinfekt zu rechtfertigen:

bei Personen ohne Blasenkatheter:

  • akute Dysurie oder
  • Fieber > 37,9 °C bzw. Anstieg um > 1,5 °C plus Vorliegen einer der folgenden Bedingungen: frisch aufgetretener oder zunehmender Harndrang, suprapubische Schmerzen, ausgeprägte Hämaturie, Inkontinenz oder klopfempfindliches Nierenlager

bei Personen mit Blasenkatheter:
mindestens eines der folgenden Kriterien ist erfüllt

  • Fieber (> 37,9 °C bzw. Anstieg um 1,5 °C) ohne anderen erkennbaren Grund
  • neu aufgetretenes klopfempfindliches Nierenlager
  • Delir

nRigor

Quelle: Piggott KL et al. BMJ 2023; 382: e075566; doi: 10.1136/bmj-2023-075566.