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Pandemie Kann COVID-19 Diabetes auslösen?

Autor: Dr. Karin Kreuel

Bei Befall der Betazellen und des exokrinen Pankreas bringt das Coronavirus den Glukosehaushalt auch bei Nicht-Diabetikern aus dem Gleichgewicht. Bei Befall der Betazellen und des exokrinen Pankreas bringt das Coronavirus den Glukosehaushalt auch bei Nicht-Diabetikern aus dem Gleichgewicht. © iStock/celsopupo
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Mittlerweile ist es Gewissheit, dass SARS-CoV-2 nicht nur primär die Lunge befällt, sondern alle Organe schädigen kann. Auch das Pankreas. Seither verstärkt sich der Verdacht, dass eine Infektion an der Pathophysiologie des Diabetes betei­ligt sein könnte.

Bei fast allen Patienten mit COVID-­19-Symptomen sehen wir einen gestörten Glukosemetabolismus. Zudem wissen wir, dass eine Diabeteserkrankung das Risiko für schwere Verläufe einer SARS-CoV-2-Infektion erhöht“, erklärte Professor Dr. Francesco­ Dotta­ von der University of Siena. Erklärungen dafür sieht der Endokrinologe im direkten Befall der Betazellen durch das Virus sowie des umgebenden exokrinen Pankreas und dessen Mikrostruktur. Erschwerend hinzu kommt, dass Diabetespatienten eine systemisch erhöhte Insulinresistenz aufweisen und im Zuge der Erkrankung mehr inflammatorische Zytokine ausgeschüttet werden. 

ACE2-Expression liegt selten über 2 %

Um den Tropismus und die Schädigungen durch SARS-CoV-2 an Organen wie dem Pankreas zu untersuchen, entwickelte Professor Dr. Shuibing­ Chen­, Weill Cornell Medicine in New York City, mit ihrem Team Zell/Organoid-Modelle aus humanen pluripotenten Stammzellen (hPSC). Damit gelang es ihnen erstmals, den Befall der pan­kreatischen Inselzellen nachzuweisen. Darauf aufbauend untersuchten die Forschenden die Expression von ACE2 und TMPRSS2 als bekannte Eintrittsfaktoren von SARS-CoV-2 in Wirtszellen. 

Mittels auf scRNA-Sequenzen basierenden Untersuchungen konnten sie Daten anderer Wissenschaftler bestätigen. „Die ACE2-Expression im endokrinen Pankreas und explizit in den Betazellen ist mit weniger als 2 % sehr gering“, führte Prof. Chen die Ergebnisse aus. Jedoch fände man auch im Lungengewebe kaum mehr als 2 %. Lediglich in den mukösen Zellen der Nase lassen sich bis zu 6 % nachweisen. 

Die Gruppe fand weitere Eintrittsfaktoren für SARS-CoV-2, etwa Neuropilin-1, FURIN und CTSL. So bestätigten sie auch deren Expression in Betazellen. Die infizierten Zellen zeigten eine verstärkte Chemokin-, aber verminderte Insulinsekretion. Aufgrund der höheren Expression von Alpha- und azinären Zellmarkern, inklusive Glukagon und Trypsin-1, vermuteten die Forschenden eine zelluläre Transformation. 

Dem Enzym auf der Spur

„Der ACE2-Expressionslevel bestimmt die SARS-CoV-2-Infektiosität, zumindest in den Atemwegen“, sagte Prof. Dotta. Durch ACE2-Isoforme und -Antikörper konnte man die ACE2-Expression in der pankreatischen Mikrovaskulatur nachweisen. Diese scheint dabei eher in Perizyten als in Endothelzellen stattzufinden. Auch in den endokrinen Inselzellen wurde ACE2 detektiert, dort vor allem in Betazellen, weniger in Glukagon-produzierenden Zellen, wobei insbesondere die Funktion der kurzen ACE2-Isoformen noch entschlüsselt werden muss.

Ein Trajektorie-Analyse bestätigte, dass SARS-CoV-2 über den EIF2-Signalweg eine Betazell-Transdifferenzierung induzierte, die durch Trans-ISRIB* reversibel ist. Im Labor ließ sich auch die Insulinsekretion durch Trans-ISRIB wieder normalisieren, ebenso wie die Sekretion einiger Zellmarker und der durch die Infektion vermehrt gebildeten Stressgranula in den Betazellen.  „Ob durch die Coronapandemie wirklich eine Diabetespandemie auf uns zurollt, darauf werden uns erst die laufenden Long-COVID-Studien eine Antwort geben“, fasste Prof. Dotta zusammen. Bis dahin könnten die Erkenntnisse auch dafür genutzt werden, potenzielle Medikamente für die Behandlung von COVID-19 zu entwickeln.

* Integrated Stress Response Inhibitor

Kongressbericht: EASD Annual Meeting 2021