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Kranke Mandeln richtig behandeln

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Ein Peritonsillar­abszess lässt sich in der Regel per Nadelaspiration oder Inzisionsdrainage behandeln. Ein Peritonsillar­abszess lässt sich in der Regel per Nadelaspiration oder Inzisionsdrainage behandeln. © Science Photo Library/Marazzi, Dr. P.
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Die Indikation für die Tonsillektomie wird immer strenger gestellt, dafür erfolgen mehr Tonsillotomien – wegen des geringeren Risikos. Ein HNO-Arzt erläutert, in welchen Fällen eine vollständige Resektion der Mandeln bei Kindern heute noch gerechtfertigt ist und wann die partielle Entfernung Vorteile bringt.

Bei der kompletten oder subkapsulären Tonsillektomie (TE) werden die Gaumenmandeln vollständig reseziert und hyperplastische Rachenmandeln im Bedarfsfall gleich mit entfernt (Adenotonsillektomie, ATE). Ein relativ neues Verfahren ist die subtotale/intrakapsuläre/partielle Tonsillektomie (SIPT). Je nach Technik bleibt dabei ein schmaler Streifen des Tonsillengewebes oder nur die Kapsel erhalten, schreibt Professor Dr. Jochen­ P. Windfuhr­, HNO-Arzt an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach.

Im Rahmen der Tonsillotomie (TT) werden nur die Gewebsanteile medial des Gaumenbogens entfernt, ohne größere Gefäße an der Kapsel zu eröffnen. Im Gegensatz zur TE sind die Kinder bereits unmittelbar postoperativ symptom- und schmerzfrei. Allerdings entwickeln sich aufgrund des verbliebenen Restgewebes in etwa 3 % Rezidive (Tonsillitis, Obstruktion), die ggf. einen erneuten Eingriff erfordern. Ein entscheidender Vorteil der Tonsill­otomie ist das wesentlich seltenere Auftreten von Nachblutungen.

Hämorrhagien treten vor allem nach TE auf. Sie können sich auch nach scheinbar komplettem Abheilen des Lokalbefunds noch ereignen und im Einzelfall sogar zum Tod des Kindes führen. Deshalb empfiehlt Prof. Windfuhr eine regelmäßige HNO-ärztliche Kontrolle der Wunden.

Zur Therapie entzündlicher und obstruktiver Krankheitsbilder eignen sich beide Verfahren (TE und TT). Die adenotonsilläre Hyperplasie, die auch einseitig und sogar nach einer Tonsillotomie noch auftreten kann, macht sich meist mit habituellem Schnarchen bemerkbar. Sie kann aber auch bereits im Kindesalter ein – eventuell schweres – obstruktives Schlafapnoesyndrom auslösen. Unbehandelt drohen Wachstums- und Verhaltensstörungen, kognitive Defizite und kardiovaskuläre Erkrankungen. Deshalb sollten Kinder mit Tonsillenhyperplasie, die ungewöhnlich laut schnarchen, von Pädiater und HNO-Arzt untersucht werden.

Spontanremission möglich, aber nicht vorhersehbar

Therapeutisch erzielt die Adenotonsillektomie eine bessere Wirkung als die alleinige Entfernung von Gaumen- oder Rachenmandeln. Sie wird für Kinder empfohlen, die mindestens zwei Jahre alt sind. Alternativ darf man bei Kindern mit moderaten Symptomen und fehlender Hypox­ämie ein halbes Jahr kontrolliert zuwarten. Der wichtigste Risikofaktor für die Schlafapnoe bei Kindern ist neben der adenotonsillären Hyperplasie die Adipositas (s. Kasten­), entsprechend wirkt eventuell schon eine Gewichtsabnahme.

Risikofaktoren für Schlafapnoe

  • Übergewicht bzw. Adipositas
  • kraniofaziale Anomalien
  • neuromuskuläre Erkrankungen
  • Mukopolysaccharidose
  • Chromosomenstörungen
  • Sichelzellanämie
  • Alter < 2 Jahre
  • niedriges Geburtsgewicht
  • positive Familienanamnese

Kinder mit rezidivierenden Halsschmerzen infolge von Tonsillitis und/oder Pharyngitis profitieren von einer TE nur, wenn ein schwerer Verlauf vorliegt, der sich anhand der Paradise-Kriterien ermitteln lässt. Dazu zählen z.B. mindestens sieben Tonsillitis-Episoden in den vergangenen zwölf Monaten oder mindestens dreimal jährlich in den zurückliegenden drei Jahren (s. Tabelle). Bei rezidivierenden Tonsillopharyngitiden mit moderatem Verlauf ist eine Wait-and-see-Strategie über sechs bis zwölf Monate erlaubt. Sie eröffnet die Chance auf eine Spontanremission, die möglich, aber im Einzelfall nicht vorhersehbar ist.
Paradise-Kriterien zur Tonsillektomie-Indikation bei rezidivierenden Halsschmerzen
Kriterium
Definition
Patientenalter 3–15 Jahre
Anzahl der Tonsillitis-Episoden
  • mindestens sieben im vergangenen Jahr oder
  • mindestens fünf jährlich in den letzten zwei Jahren oder
  • mindestens drei jährlich in den letzen drei Jahren
Episoden-Definition: ­Halsschmerz und mindestens eines der vier Zeichen
  • Temperatur > 38,3 °C
  • druckdolente oder > 2 cm große zervikale Lymphknoten
  • Tonsillenexsudat
  • Nachweis betahämolysierender Streptokokken Gruppe A
bisherige Therapie Antibiotika gegen Streptokokken (bei jeder Episode)
Dokumentation
  • ärztliche Dokumentation aller Episoden oder
  • Beobachtung zweier aufeinderfolgender Episoden durch einen Arzt
nach Windfuhr JP. HNO 2020; 68: 543-552

Bei unter 5-Jährigen auch an ein PFAPA-Syndrom denken

Die Therapie des Peritonsillar­abszesses richtet sich nach der Ausprägung. Eine sofortige TE ist nur bei besonderen Problemen bzw. relevanten Tonsillitiden bzw. vorbehandeltem Abszess in der Anam­nese indiziert. Bei Erstereignissen oder komplikationsfreiem Verlauf genügt meist eine Nadelaspiration bzw. Inzisionsdrainage. Wenn Kinder unter fünf Jahren rezidivierende Fieberschübe mit Halsschmerzen erleiden, rät Prof. Windfuhr, auch an ein PFAPA*-Syndrom zu denken. Die Symptome lassen sich mit einem Kortikosteroid lindern, allerdings verkürzen sich die Zeitintervalle zwischen den Fieberschüben. Wegen der Spontanremission­ innerhalb von drei Jahren ist eine Tonsillektomie nur in Einzelfällen indiziert.

* Periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis und Adenitis

Quelle: Windfuhr JP. HNO 2020; 68: 543-552; DOI: 10.1007/s00106-020-00884-3