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Kasuistik Malignom statt Impfreaktion

DGIM 2022 Autor: Dr. Sonja Kempinski

Momentan werden den Impfungen gegen SARS-CoV2 viele unerklärliche Beschwerden zugeschrieben. Dabei ist die Impfreaktion meist nur eine von zahlreichen Differenzialdiagnosen. Momentan werden den Impfungen gegen SARS-CoV2 viele unerklärliche Beschwerden zugeschrieben. Dabei ist die Impfreaktion meist nur eine von zahlreichen Differenzialdiagnosen. © iStock/Mohammed Haneefa Nizamudeen; Science Photo Library/WEBPATHOLOGY
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Impfreaktion auf Coronavakzin – so lautete die Entlassdiagnose eines Mannes, der mit Fieber, Nachtschweiß und Hautausschlag in der Klinik gelandet war. Doch in Wahrheit war die Ursache eine ganz andere.

Wegen einer Synkope war der 69-Jährige im Sommer 2021 in die Notaufnahme gekommen. Außerdem litt er unter einem makulopapulösen Hautausschlag, Nachtschweiß, Fieber bis 40 °C und Übelkeit. Auch das Labor wies etliche Auffälligkeiten auf: Erhöht war neben Bilirubin, LDH, Leberwerten und NT-proBNP auch das Kreatinin mit 2,1 mg/dl. Nach stationärer Aufnahme auf die Innere besserte sich der Zustand des Patienten und er konnte wenige Tage später wieder nach Hause. Die Diagnose im Entlassbrief: Impfreaktion nach BNT162b2.

Doch einen Monat später erschien der Mann wieder in der Notaufnahme. Nun ging es ihm bei deutlich reduziertem Allgemeinzustand und erneutem Fieber bis 40 °C richtig schlecht, schilderte Prof. Dr. ­Andreas ­Neubauer, Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie am Universitätsklinikum Marburg. Aufgrund einer ausgeprägten Anämie mit einem Hb von 6,7 g/dl meldeten die Kollegen wegen des Verdachts auf eine Blutung eine Gastroskopie an und nahmen Kreuzblut ab.

Unterdessen trafen die Laborwerte ein. Danach hatte der Patient eine normochrome Anämie, wobei die Retikulozyten deutlich unter der Norm waren und das Ferritin erhöht. Eine gastrointestinale Blutung erschien nun nicht mehr wahrscheinlich, die Gastroskopie erübrigte sich. Allerdings war der Coombs-Test positiv, es handelte sich demnach um eine autoimmune hämolytische Anämie. Dazu passten wiederum die extrem niedrigen Retikulozyten so gar nicht. „Irgendwas war also immer noch komisch“, formulierte der Referent.

Jetzt entschlossen sich die Kollegen zu einer Knochenmarkspunktion. Es zeigte sich ein buntes Bild mit inflammatorischem Aspekt, ohne Hinweis auf eine hämatologische Systemerkrankung. Die Immunfärbung mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern ergab keinen Hinweis auf einen Befall durch ein NHL der B-Zellreihe. Auffällig war jedoch die Vermehrung eher gesunder Plasmazellen, die das Bild eines autoimmunen Prozesses widerspiegelte.

Gerade rechtzeitig kam schließlich das Ergebnis der Eiweißelektrophorese: Es lag eine polyklonale Gammopathie vor. Nun stand eine Lymphknotenbiopsie an, zumal sich klinisch schon zu Beginn ubiquitär kleine, weiche Lymphknoten hatten tasten lassen. Die Histologie brachte die Diagnose an den Tag: Der Patient litt an einem angioimmunoblastischen T-Zell-Lymphom (AITL). Typisch für diese seltene Erkrankung sind kleine, weiche, rosenkranzförmig angeordnete Lymphknoten, wie sie auch bei dem 69-Jährigen zu finden waren, erklärte Prof. Neubauer.

Das AITL gehört zu den peripheren T-Zell-Lymphomen. Es beruht auf einer klonalen CD4-Expansion, wobei man das treibende Antigen noch nicht kennt.

Viren und Mutationen im Erbmaterial der Tumorzellen

Oft finden sich Viren im Genom, beispielsweise Herpesviren. Bei 80 % der Patienten tauchen epigenetisch wirksame Mutationen in den Tumorzellen auf, die man von den akuten myeloischen Leukämien kennt (z. B. Mutationen von TET2 oder IDH2).

Unbehandelt führt diese aggressive Erkrankung zum Tod. Therapiert wird mit mehreren CHOP-Zyklen, worauf auch dieser Patient schnell und gut ansprach. Nach einer autologen Stammzelltransplantation geht es dem Mann heute wieder exzellent, berichtete Prof. Neubauer.

Nachtschweiß, Fieber und Hautausschlag waren bei diesem Patienten also nicht der vorangegangenen Impfung zuzuordnen, betonte Prof. Neubauer. Interessanter­weise gab es in seiner Klinik zwei weitere Fälle von AITL, die zunächst ebenfalls als Reaktion auf eine Impfung mit dem Vakzin von BioNTech fehlgedeutet worden waren. „Eine typische Falle, an die man immer denken muss“, kommentierte die Vorsitzende der Sitzung, Prof. Dr. ­Rieke ­Alten, Schlosspark-Klinik Berlin. Denn momentan würden den Impfungen gegen SARS-CoV2 viele unerklärliche Beschwerden zugeschrieben. Dabei ist die Impfreaktion meist nur eine von zahlreichen Differenzialdiagnosen, die man im Kopf haben sollte, erinnerte die Rheumatologin.

Quelle: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin