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Krebsvorsorge und -therapie Transgender oft noch benachteiligt

Autor: Dr. Daniela Erhard

Onkologische Daten zeigen, dass Transpersonen im Hinblick auf Tumorerkrankungen schlechtere Zugänge zum Gesundheitssystem haben. Onkologische Daten zeigen, dass Transpersonen im Hinblick auf Tumorerkrankungen schlechtere Zugänge zum Gesundheitssystem haben. © Pixel-Shot – stock.adobe.com
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Menschen, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht nicht identifizieren, werden gesellschaftlich häufig diskri­miniert. Eine Zusammenschau onkologischer Daten verdeutlicht nun auch, dass Transpersonen im Hinblick auf Tumorerkrankungen einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem haben.

Die Erkenntnis, dass man Männer und Frauen bei vielen Tumorerkrankungen nicht in einen Topf werfen sollte, ist noch vergleichsweise jung. Doch lässt sich diese Dichotomie auch auf Transgender anwenden? Also Menschen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen zum Zeitpunkt der Geburt aufgrund anatomischer Merkmale zugewiesen wurde, und die dieses vielleicht sogar geändert haben.

Ein italienisch-amerikanisches Team um Dr. Alberto Leone vom Istituto Nazionale dei Tumori in Mailand wollte wissen, wie es um die Häufigkeit, Risikofaktoren sowie Prävention und Behandlung von Krebserkrankungen in der Gruppe der Transmänner und -frauen im Vergleich zu Cispersonen bestellt ist. Dafür trugen sie die Daten aus entsprechenden Publikationen zusammen, die bis Ende 2021 erschienen waren.

Statistisch auswerten ließen sich ihre Funde nicht. Dafür variierten die berücksichtigten Studienpopulationen und epidemiologischen Parameter in den Originalarbeiten zu stark. Trotzdem stellten die Wissenschaftler:innen ein deutliches Ungleichgewicht zwischen trans und cis fest. So sind Erstere an einigen Krebsarten nicht nur häufiger erkrankt, sondern sterben auch etwa doppelt so oft an einem Tumor.

Der Blick auf Brustkrebs er­gab in der Mehrzahl der Studien, dass Transpersonen eher häufiger – nämlich zwischen 33- und 78-mal – von einem Mammakarzinom betroffen sind als Cismänner, aber seltener als Cisfrauen. Daher empfehlen die Autor:innen allen männlich geborenen Personen nach einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie hin zur Frau sowie weiblich geborenen, die im Zuge ihrer Transition zum Mann auf eine Mastektomie verzichten, dieselbe Brustkrebsvorsorge wie Cisfrauen. Nach dem aktuellen Stand nehmen Transpersonen die bestehenden Angebote aber mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit wahr (adjustierte OR 0,27–0,53).

Vom Prostatakarzinom sind natürlicherweise nur männlich geborene Menschen betroffen. Untersuchungen existieren lediglich für Personen nach Hormontherapie. Bei ihnen waren Tumoren um 80 % seltener als unter Cismännern. Allerdings bestehe die Gefahr, so die Autor:innen, dass eine langfristige Einnahme geschlechtsangleichender Hormone aggressivere oder kastrationsresistente Tumorklone fördern könne. Daher raten sie Transfrauen zum üblichen Screening – wobei unter Hormontherapie ein PSA von 1 ng/ml als Obergrenze dienen sollte.

Definitionen

  • Transmann: Person, die bei Geburt weiblich definiert wurde, sich selbst aber als Mann identifiziert und als Mann lebt
  • Transfrau: Person, die bei Geburt männlich definiert wurde, sich selbst aber als Frau identifiziert und als Frau lebt
  • Cisgender: Person, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifiziert und dementsprechend lebt
  • Genderdivers: Person, die sich nicht in das binäre Geschlechtssystem, also Mann oder Frau, eingruppiert

Unterschiede zur Allgemein­bevölkerung ergaben sich auch hinsichtlich Hirntumoren. Offenbar erkranken Transfrauen mindestens 4-mal häufiger an Prolaktinomen und Meningeomen als Cisgender, Transmänner öfter an Somato­tropinomen.

Deutlich höhere Inzidenzen virusassoziierter Entitäten

Auffällig war die Diskrepanz ebenfalls bei virusassoziierten Krebs­erkrankungen. Die Inzidenzen für Kaposi-Sarkome, Analkarzinome und Non-Hodgkin-Lymphome sind unter Transgendern und gender­diversen Personen um ein Vielfaches höher als unter Cisgendern beiderlei Geschlechts. Speiseröhren-, Leber- und Gallengangskarzinome treten häufiger auf als unter Cisfrauen. Ähnliche Beobachtungen habe man auch hinsichtlich HPV-assoziierter und AIDS-definierender Tumoren gemacht, so Dr. ­Leone und Kolleg:innen. 

Zur Früherkennung von Dysplasien an Anus oder Zervix halten sie daher Pap-Tests für sinnvoll – ähnlich wie im Falle von Brustkrebs eine Vorsorgeleistung, die von Transpersonen bisher nur unzureichend genutzt wird. Studien zufolge bereitet der Zervikalabstrich bei Transmännern aber auch regelmäßig den Ärztinnen und Ärzten Probleme, denn dieser fällt hier einer Studie zufolge 10-mal häufiger unzureichend aus.

Einen wesentlichen Risikofaktor, vor allem für die letztgenannten Krebstypen, stellen sexuell übertragbare Infektionen dar. In den USA beträgt die Prävalenz für eine HIV-Infek­tion in der Gruppe der Transgender rund 14 %, unter Transfrauen sogar knapp 19 % – und liegt damit klar über der Quote von 2 % bei Transmännern. HPV-Infektionen seien in dieser Personengruppe ähnlich hoch wie in der Allgemeinbevölkerung, schreiben die Autor:innen. Aus ihrer Sicht ein weiterer Grund, warum jeder junge Mensch gegen diese Viren geimpft werden sollte.

Stärkeren Tabak- und Alkoholkonsum machten die Forschenden in den meisten Studien als weiteren Unterschied aus. Ihre Recherchen ergaben aber auch, dass ein Drittel der Trans- und genderdiversen Personen in einer Befragung berichtete, im Zuge von Untersuchungen oder Behandlungen im Jahr zuvor diskriminiert worden zu sein. Viele fühlten sich ausgegrenzt, unverstanden, ignoriert oder auch bevormundet. Vier von zehn krebserkrankten Transpersonen teilen die Erfahrung, mit dem falschen Pronomen ange­redet zu werden. Auch dies könne eine bessere Versorgung behindern. Nach Ansicht der Autor:innen sollte man die Themen daher stärker in Fortbildungen und im Studium adres­sieren. 

Quelle:
Leone AG et al. JAMA Oncol 2023; DOI: 10.1001/jamaoncol.2022.7173

Dichotom ist überholt

Trotz der zunehmenden Therapie-Individualisierung in der Hämato-Onkologie rückt der Einfluss des Patient:innen-geschlechts auf Ätio­logie, Diagnostik, Krankheitsverlauf und Therapiestrategien von onkologischen Erkrankungen erst in der neueren Vergangenheit in den Fokus der Wissenschaft. Bislang betrifft diese Neuorientierung allerdings überwiegend die dichotome Unterscheidung „männlich – weiblich“. Hierunter wird im Allgemeinen das Geschlecht verstanden, welches Menschen bei der Geburt aufgrund der körperlichen Geschlechtsmerkmale zugewiesen wird. 

Weltweit wird der Anteil der Menschen, die sich als trans* identifizieren – also jene, die sich nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren –, in der vorliegenden Arbeit auf 0,3–0,5 % geschätzt. Bislang gibt es keinerlei Handlungs­empfehlungen für die Prävention, Früherkennung oder Behandlung von Krebserkrankungen in dieser Patient:innengruppe. Die fehlende Datenlage bedingt sicher auch eine Unsicherheit auf Seiten der Behandler:innen. Das Bewusstsein für Unterschiede im Präventiv- wie auch im Risikoverhalten, aber auch in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, muss in der Gesellschaft und bei Behandler:innen gestärkt werden. 

Die hier diskutierte Arbeit nähert sich diesem Thema umfassend an. Die Autor:innen zeigen, dass in der Versorgung von trans* Menschen mit Krebs­erkrankung verschiedene Aspekte berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich gilt es, wie in allen Teilbereichen der Medizin, zunächst auf Notwendigkeit der Daten­generierung hinzuweisen, um evidenzbasierte Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Daten zur ­Geschlechtsidentität und zur sexuellen Orientierung, welche in klinischen Studien aber auch im Behandlungsalltag erhoben und in den Krebs­registern erfasst werden, können hierzu beitragen. Auch die Berücksichtigung der Geschlechts­identität in Screenings und Früh­erkennungsprogrammen stellt einen wichtigen Faktor dar.

Grundsätzlich sind trans* Menschen in unserer Gesellschaft Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt; viele haben im täglichen Leben Ablehnung erfahren. Dementsprechend ist es, wie eigentlich in jedem Patient:innen-kollektiv, notwendig, einen geschützten Raum und eine offene Atmosphäre zu schaffen, in der sich Patient:innen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität sicher und verstanden fühlen. 

Die alleinige Erfassung von „männlich/weiblich“ in der medizinischen Dokumentation ist überholt und bedarf einer Überarbeitung. Ein offener und vorurteilsfreier Umgang mit Geschlechts­identität und sexueller Orientierung im ärztlichen Behandlungsalltag trägt zur Entstigmatisierung bei. Auch der Abbau von Hemmnissen bei der Inanspruchnahme von Screenings und Früherkennungsprogrammen oder generell des Gesundheitssystems ist unabdingbar, um die onkologische Versorgung von trans* Menschen zu verbessern. 

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Geschlechtersensible Onkologie geht über die dichotome Unterscheidung „männlich – weiblich“ hinaus. Bislang ist die Versorgung von trans* Menschen mit Tumor­erkrankungen unzureichend adressiert und verdient unsere Beachtung.