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Verspeiste Wachtel führte zur Rhabdomyolyse

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Giftige Exemplare kann man weder am Geschmack noch am Geruch erkennen. Giftige Exemplare kann man weder am Geschmack noch am Geruch erkennen. © iStock/annata78
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Mit massiven Schmerzen in Armen und Beinen kommt ein 78-Jähriger in die Notaufnahme. Dort fällt eine ungewöhnlich hohe Kreatinkinase auf, Ursache unklar. Erst als die Freundin die gleichen Symptome entwickelt, kommt langsam Licht ins Dunkel.

Der fulminante Anstieg der Krea­tinkinase auf 14 903 U/l ist ebenso wie die Gliederschmerzen die Folge einer akuten Rhabdomyolyse. Aber dabei bleibt es nicht. Noch in der Nacht muss der Mann wegen eines hypertensiven Lungenödems auf die Intensivstation, berichten Dr. Matthias Janneck vom Hamburger Albertinenkrankenhaus und sein Kollege. Außerdem kommt es zu einem anurischen Nierenversagen und die linksventrikuläre Funktion geht bei dem zuvor gesunden Patienten ebenfalls massiv in die Knie.

Doch wie kam es dazu? Statine nimmt der Senior keine, auf Fernreisen war er nicht. Die Ursache wird allmählich klar, als die Lebensgefährtin des Patienten wegen ähnlicher Symptome stationär eingewiesen wird. Die einzige Verbindung: Beide haben am gleichen Tag einen auf dem Markt gekauften, angeblichen Fasan gegessen. Zu diesem Vogel lässt sich aber in der gesamten Literatur kein passendes Krankheitsbild finden – wohl aber zur Wachtel. Und siehe da: Auf Fotos erkennt der 78 Jährige den kleinen Verwandten als das verzehrte Geflügel wieder.

In 10–40 % der Fälle versagen die Nieren

Der Konsum von Wachteln (Coturnix coturnix), vor allem wilder, gilt als seltene Ursache einer akuten Rhabdomyolyse, die dann den passenden Namen „Coturnismus“ trägt. Innerhalb von Stunden nach der Geflügelmahlzeit kommt es zur Auflösung von Muskelfasern und in 10–40 % der Fälle zum nachfolgenden akuten Nierenversagen. Im Gegensatz zu anderen Nahrungsmittelvergiftungen fehlen neurologische und gastro­intestinale Symptome meist.

Das Tückische: Geschmack und Geruch des belasteten Wachtelfleisches bleiben völlig unauffällig. Auch Kochen und Einfrieren schützen nicht vor einer Intoxikation. Dafür hat der Coturnismus eine günstige Prognose: Die meisten Patienten genesen innerhalb von Wochen vollständig. Unklar ist derzeit noch, ob das Nierenversagen nur durch die Rhabdomyolyse oder auch durch eine Giftwirkung ausgelöst wird und ob es einen direkt toxischen Effekt auf das Herz gibt. Der geschilderte Fall legt Letzteres nach Meinung der Autoren nahe.

Zur Pathogenese existieren bisher nur Spekulationen: Möglicherweise führt eine vermehrte Aufnahme von Schierlingsamen zu einer Akkumulation des darin enthaltenen Giftes in der Muskulatur der Vögel. Auch wenn die Erkrankung eher selten auftritt, empfehlen die Autoren, bei Patienten mit Rhabdomyo­lyse nach Geflügelverzehr auch einen Coturnismus in Betracht zu ziehen. Eine spezielle Therapie steht nicht zur Verfügung, forcierte Diurese und Alkalisierung des Urins können die Ausscheidung von Myoglobin und Toxin fördern.

Quelle: Janneck M, Schmiedel S. Hamburger Ärzteblatt 2019; 73: 34-35