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Alle Räder stehen still, wenn der Arzt es denn nur will

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Anfang des 20. Jahrhunderts wehrten sich Ärzte gegen die Drangsalierung und protestierten. Anfang des 20. Jahrhunderts wehrten sich Ärzte gegen die Drangsalierung und protestierten. © iStock.com/oatawa
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Das Thema in unserer Praxiskolumne: Wie man für seine Interessen einsteht und welche Rolle ein gutes Netzwerk dabei spielt.

Eine erneute Drangsalierung seitens der Politik, wie sie sich jetzt über das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) anbahnt, erinnert an Ereignisse Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals musste sich jeder einzelne Arzt um die Anerkennung als Kassenarzt bemühen. Die große Zahl an Anträgen ermöglichte es den rund 22 000 Krankenkassen, ihre Verträge nur mit Ärzten abzuschließen, die bereit waren, für niedrigstes Honorar zu arbeiten. Damals wehrte sich die Ärzteschaft aber dagegen.

1900 wurde der Leipziger Verband gegründet. Er verlieh seinen Forderungen mit Streikaktionen Nachdruck. Im Jahr 1913 einigten sich dann Ärzte und Krankenkassen auf das Berliner Abkommen, was immerhin 10 Jahre Burgfrieden bescherte. Anschließend erließ die Reichsregierung im Jahr 1923 Verordnungen, die es den Krankenkassen ermöglichte, Ärzte bei zweimaligem Verstoß gegen die Bestimmungen von der kassenärztlichen Tätigkeit auszuschließen.

Ohne Kassenärzte geht es nicht

Es wurde erneut gestreikt, Ärzte weigerten sich Patienten zu behandeln, die nicht in der Lage waren, bar zu bezahlen. Daraufhin gründeten die Kassen eigene Ambulatorien. Damit konnten sie aber die medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen, es ging nicht ohne die Kassenärzte. In der Folge nahm die Regierung die Verordnungen von 1923 zurück, die Ärzteschaft hatte sich durchgesetzt.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 führte erneut zu einer Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen, der Staat reagierte und führte eine Selbstbeteiligung der Versicherten ein, um das System zu entlasten. Als die Regierung Anfang 1931 mit der Verstaatlichung des Gesundheitssys­tems drohte, einigten sich Ärzten und Krankenkassen auf einen neuen Kassenarztvertrag, einen Kompromiss, den die Regierung nach zähen Verhandlungen akzeptierte. Als Gegenleistung für diesen Kompromiss wurde jedoch ein Streikverzicht zur Durchsetzung ärztlicher Interessen verlangt.

Was liebe Kolleginnen und Kollegen, sagt uns das? Es geht nicht ohne uns und ein Staat muss und wird bei gemeinsamen Kampfmaßnahmen einlenken. Funktionieren wird das nur, wenn wir ...

  1. es endlich unterlassen, uns öffentlich und kleinkariert, zur Freude von Politik und Krankenkassen, in Hausarzt-Facharzt Grabenkämpfen zu zerfleischen,
  2. eine ambulante ärztliche Versorgung an 365 Tagen und Nächten im Jahr sicherstellen. Klappt das nicht, wird die Selbstverwaltung kippen und wir müssen uns wieder jeder für sich um Kassenverträge bemühen;
  3. unsere Patienten als Partner gewinnen.

Zum ersten Punkt, den Grabenkämpfen, erübrigt sich jeder Kommentar ... Punkt 2 heißt natürlich nicht, dass wir alle – Haus- und Fachärzte – allzeit bereit sein müssen. Aber die kollegiale Vertretung oder der ärztliche Bereitschaftsdienst müssen funktionieren. Dazu gehören auch korrekt besprochene Anrufbeantworter. Ambulante Versorgung heißt auch, dass wir es schaffen müssen, in Eigenregie unsere gemeinsamen Patienten bei Bedarf schnell einer ambulanten diagnostischen Abklärung und Therapie zuzuführen, und Patienten eben nicht zur schnellen Abklärung ins Krankenhaus einweisen. Machen wir es trotzdem, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Deutsche Krankenhausgesellschaft Geld aus dem KV-Topf fordert.

Und zum dritten Punkt: Wir müssen Patienten über Missstände aufklären, müssen sie ins Boot holen. Social Media sind dabei ein Weg; sie erreichen aber nicht alle Patienten und haben immer noch den Touch des Unseriösen.

Ich persönlich habe gute Erfahrungen gemacht mit medizinischen Vorträgen. Dann bin ich nah dran an den Menschen, die kommen, um mehr zu einem medizinischen Thema zu erfahren. Und im Anschluss habe ich die Chance, diese Menschen aufzuklären über die Umstände, in denen wir die Medizin betreiben müssen: Ich rede über aut idem, über Budgetierung von Arznei- und Heilmitteln und über das gerade vom Bundestag verabschiedete TSVG.

Und damit möglichst viele Kolleginnen und Kollegen gute Vorträge halten, könnte ich mir einen bundesweiten Austausch der Power-Point-Präsentationen vorstellen – zur Minimierung des Aufwands für den Einzelnen. Wie wär’s?

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